Als er mit sieben Jahren das Buch „Weltgeschichte für Kinder" geschenkt bekam und darin eine Abbildung des brennenden Troja sah, schwor sich Heinrich Schliemann, dass er eines Tages die sagenumwobene Stadt ausgraben würde. Am 31. Mai 1873 fand er tatsächlich einen Schatz.
Manch einer der Grabungshelfer mag sich gewundert haben, als Heinrich Schliemann sie am Morgen des 31. Mai 1873 früher als sonst zur Pause schickte. Es war noch nicht einmal Frühstückszeit, doch der Archäologe wollte in diesem Augenblick unbeobachtet sein. Kurz zuvor hatte er an einer Mauer in der Nähe der Toranlage in einer Tiefe von etwa 8,50 Metern ein zerbrochenes Kupfergefäß entdeckt, das ihn neugierig gemacht hatte, schließlich sah es so aus, als würde dahinter Gold verborgen liegen. Das musste er sein – der Schatz des Priamos, des legendären Königs von Troja, nach dem Schliemann so lange gesucht hatte. In seinem Buch „Trojanische Alterthümer" schilderte Schliemann seine Entdeckung später so: „Um den Schatz der Habsucht meiner Arbeiter zu entziehen und ihn für die Wissenschaft zu retten, war die allergrösste Eile nöthig. […] Während meine Arbeiter assen und ausruhten, schnitt ich den Schatz mit einem grossen Messer heraus, was nicht ohne die allergrösste Kraftanstrengung und die furchtbarste Lebensgefahr möglich war, denn die grosse Festungsmauer, welche ich zu untergraben hatte, drohte jeden Augenblick auf mich einzustürzen. Aber der Anblick so vieler Gegenstände, von denen jeder einzelne einen unermesslichen Werth für die Wissenschaft hat, machte mich tollkühn und ich dachte an keine Gefahr."
Schliemann entdeckte Kelche, Vasen, und Speerspitzen, einen Schild, Dolche und Messerscheiden und Unmengen an Goldschmuck, insgesamt über 10.000 Einzelobjekte. Weil er fürchtete, dass man den Fund konfiszieren würde, meldete er ihn nicht den Behörden des Osmanischen Reiches, auf dessen Gebiet die Ausgrabungen stattfanden, obwohl er dazu durch die Grabungserlaubnis verpflichtet gewesen wäre. Stattdessen schmuggelte er ihn heimlich außer Landes, zunächst nach Athen, ehe er ihn 1881 „dem deutschen Volk zum ewigen Besitz" vermachte. Der Schatz kam nach Berlin ins Museum. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er als Beutekunst in die Sowjetunion gebracht und ist seit 1996 wieder öffentlich im Moskauer Puschkin-Museum zu bestaunen. In Berlin befindet sich lediglich noch eine Nachbildung.
Die Legende von Troja hat die Fantasie der Menschen schon seit Jahrhunderten beflügelt. Der griechische Dichter Homer berichtet in der Ilias-Sage vom Kampf um Troja, der Belagerung und dem Untergang dieser sagenumworbenen Stadt in Kleinasien. Nach der Entführung der schönen Helena durch Paris, den jüngsten Sohn des trojanischen Königshauses, hatte sich die griechische Armee aufgemacht, um sie und den gleichfalls geraubten Schatz von König Menelaos zurückzuholen. Bald darauf stehen die Griechen vor den Toren Trojas, schaffen es aber lange nicht, die Stadt zu erobern.
Troja fällt erst durch eine List: Die Griechen geben vor, abzuziehen und hinterlassen den Trojanern als Siegesbeute ein riesiges hölzernes Pferd, das diese nichtsahnend in die Stadt rollen. Darin versteckten sind jedoch einige der tapfersten Krieger, die nachts aus dem Bauch des Pferdes klettern und der zurückgekehrten griechischen Armee die Tore öffnen. Alle trojanischen Krieger werden getötet, die Stadt bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
Heinrich Schliemann war sieben Jahre alt, als er zu Weihnachten Georg Ludwig Jerrers Buch „Weltgeschichte für Kinder" geschenkt bekam und darin eine Abbildung des brennenden Troja sah. Er konnte nicht glauben, dass von der Stadt nichts mehr übrig sein sollte. Mit seinem Vater kam er überein, „dass ich Troja ausgraben sollte", zumindest erzählte er das später gern so. Vieles in seinem Leben hat Schliemann im Nachhinein ausgeschmückt, sodass man nicht allen seinen Äußerungen trauen kann. Die Faszination für die Antike scheint jedoch tatsächlich schon in jungen Jahren echt gewesen zu sein.
Geld hatte er genug, er suchte das Abenteuer
Schliemann ist in Neubukow in Mecklenburg geboren, aufgewachsen ist er jedoch in Ankershagen, wo sich heute auch das Heinrich-Schliemann-Museum befindet. Nachdem er die Schule abbrechen musste, weil sein Vater das Schulgeld nicht mehr bezahlen konnte, machte er zunächst eine Kaufmannslehre. 1841 wollte er nach Venezuela auswandern, doch sein Schiff strandete bereits vor der holländischen Insel Texel. Es verschlug ihn nach Amsterdam, wo er eine Anstellung in einem Handelshaus bekam. Später eröffnete er sein eigenes Handelsunternehmen in Sankt Petersburg und wurde durch das Geschäft mit Kolonialwaren und Munitionsrohstoffen zu einem der reichsten Männer Europas. Zeitweise lebte er auch in den USA und gründete dort eine Bank, die Goldgräbern ihre Funde abkaufte.
Geld hatte er genug, doch ihm fehlte das Abenteuer. Deswegen liquidierte Heinrich Schliemann seine Firma und unternahm ab 1865 mehrere Forschungsreisen, unter anderem nach Griechenland, wo er sich auf der Suche nach dem ebenfalls von Homer beschriebenen Palast des Odysseus erstmals als Ausgräber versuchte. 1868 reiste er dann das erste Mal in jene Region in der heutigen Türkei, in der man die Ruinen des untergegangenen Troja vermutete.
Bereits im 18. Jahrhundert hatte es erste Lokalisierungsversuche gegeben. 1824 hatte der schottische Zeitungsverleger und Amateurgeologe Charles Mac-Laren ein Buch veröffentlicht, in dem er die These aufstellte, dass sich Troja unter dem Hügel Hisarlik befinden würde. Dieser befand sich damals teilweise im Besitz der englischen Calvert-Familie, deren jüngster Sohn, Frank Calvert, bald ebenfalls von der Existenz Trojas an dieser Stelle überzeugt war. Er selbst führte einige Probegrabungen durch. Doch erst Heinrich Schliemann unternahm eine umfangreiche Untersuchung.
Allerdings half der Zufall: Schliemann hatte zunächst unter einem anderen Hügel gesucht und wollte, als er dort nicht fündig wurde, schon wieder abreisen; er verpasste jedoch sein Schiff und traf so zufällig auf Frank Calvert. 1870 begann er am Hügel Hisarlik mit den Grabungen und ging dabei nicht gerade umsichtig vor. Schliemann ließ einen 40 Meter breiten und mehr als 15 Meter tiefen Graben mitten durch den Hügel treiben, ohne Rücksicht auf jüngere Siedlungsschichten, in denen dadurch vieles unwiederbringlich zerstört wurde. Für dieses Vorgehen erntete er viel Kritik, wobei oft übersehen wurde, dass sich Schliemann anders als spätere Archäologen nicht auf Vorbilder stützen konnte.
Tatsächlich war Heinrich Schliemann erst der Wegbereiter der modernen Archäologie. Erst durch seine Entdeckungen und die zahlreichen Vorträge und Publikationen wurde in der Öffentlichkeit ein breites Interesse an diesem Themengebiet geweckt.
Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass noch zu Lebzeiten Schliemanns erste Zweifel aufgekommen sind, ob es sich bei seinem Fund wirklich um den Schatz des trojanischen Königs handelte. Inzwischen weiß man, dass er das nicht war. Die Funde sind stattdessen rund 1.200 Jahre älter als das vom griechischen Dichter Homer beschriebene Troja und stammen von einer anderen Hochkultur, die um das Jahr 2500 vor Christus in der Gegend lebte. In der ZDF-Sendung „Terra X" fasste Professor Ernst Pernicka vom Troja-Projekt der Universität Tübingen die heutigen Erkenntnisse der Wissenschaft wie folgt zusammen: „Heute wissen wir, dass das Troja von Homer Grabungsschicht VII ist. Schliemann hat aber in Schicht II eine verbrannte Stadt gefunden und hat sie für das homerische Troja gehalten. Heute wissen wir – er hat schlicht zu tief gegraben."
Bemerkenswert ist die Leistung Schliemanns aber dennoch. Er hat die Ruinen des bronzezeitlichen Trojas entdeckt (oder einer anderen Stadt, die sich an gleicher Stelle befand) und damit die erste Siedlung aus jener Epoche außerhalb Ägyptens und Mesopotamiens. Auch dass er später noch einmal falsch lag, als er in Mykene vermeintlich die Goldmaske des sagenhaften Königs Agamemnon entdeckte, die tatsächlich aber ebenfalls aus einer früheren Zeit stammte, schmälert sein Lebenswerk nicht. Reinhard Witte, der Leiter des Schliemann-Museums in Ankershagen, sagte schon vor einigen Jahren: Der Hauptverdienst Heinrich Schliemanns sei das Finden von Orten, die antike Geschichte beweisen.