Vom 7. bis 10. Juni verwandelt sich St. Ingbert in eine Filmhochburg. Dann startet das erste Bundesfestivals junger Film 2018 „filmreif!". Die Gäste erwartet dabei ein Feuerwerk aus Bildern.
Alex ist wirklich zu beneiden. Er ist jung, führt ein aufregendes Studentenleben und hat eine schöne Freundin. Doch plötzlich bringt eine unverhoffte Diskobekanntschaft den jungen Mann dazu, alles infrage zu stellen: Ist er überhaut der Mensch, für den er sich bis dahin gehalten hat, oder schlummern in ihm auch ganz andere unbekannte Seiten? Auf der Suche nach seinem wahren Ich entdeckt Alex eine zweite, ihm verborgene Identität. Diese lässt sich allerdings mit seinem Alltag überhaupt nicht vereinbaren. Alex stürzt in eine schwere Krise aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt.
Mit „Irgendwo dazwischen" widmet sich die Saarbrücker Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Schacke dem Thema der Transsexualität. „In unserer Gesellschaft werden Transsexuelle nur wenig akzeptiert und oft tabuisiert", bedauert die 23-jährige „filmreif!"-Teilnehmerin. „Darum finde ich es umso wichtiger, die Gesellschaft damit zu konfrontieren und dabei die Ernsthaftigkeit des Themas nicht zu vergessen." Die Studentin der Hochschule für Musik Saar erspart ihrem Filmprotagonisten nichts: Alex kämpft mit Diskriminierung, Verachtung und sogar Gewalt. „Ein starker, mutiger Kurzfilm der seinen Platz im Wettbewerb eindeutig verdient hat", kommentiert Jörn Michaely.
Im Saarland ist Michaely kein Unbekannter. Als Regisseur und Drehbuchautor betreute er auch schon die Jugendjury beim „Filmfestival Max Ophüls Preis" (MOP). Mit „filmreif!" geht der Filmemacher einen Schritt weiter und initiiert zusammen mit Produzent Fabian Roschy – Roschy übernimmt dabei die organisatorische und Michaely die künstlerische Leitung – im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Film-Autoren das Bundesfestival junger Film 2018.
Einreichen durften alle Regisseure, die nicht älter als 29 Jahre waren, die Filme sollten nicht länger als 20 Minuten dauern. „Das ist auch etwas, was uns beispielsweise vom ‚Max Ophüls Preis‘ unterscheidet", erklärt Michaely. Beim MOP rücken Erstlingswerke in den Vordergrund, „filmreif!" legt den Fokus dagegen gezielter auf den Nachwuchs und ermöglicht unter anderem auch Schulklassen, ihre selbst gedrehten Filme zu präsentieren.
Alle Regisseure sind unter 30 Jahre
Weitere Notwendigkeit für die Teilnahme beim Festival: die Anwesenheitspflicht. „So wie in der Schule", scherzt der Künstlerische Leiter. „Nein, aber Spaß beiseite. Bei ‚filmreif!‘ geht es auch um die Vernetzung innerhalb der Filmbranche. Die Saarländer, die zwar schon untereinander gut vernetzt sind, bekommen dadurch die Möglichkeit, bundesweit Kontakte zu knüpfen. Und vielleicht entdeckt der ein oder andere das Saarland für sich als Filmstandort. Deswegen war es uns auch sehr wichtig, dass mindestens ein Mitglied der Filmcrew zum Bundesfestival nach St. Ingbert anreist."
Die Anzahl der eingereichten Filme toppt ihre Erwartungen: 300 Kurzfilme aus dem ganzen Bundesgebiet und sogar Österreich trudelten in der Bewerbungsphase in St. Ingbert, dem Schauplatz des viertägigen Festivals, ein. „Mit so vielen Einreichungen haben wir überhaupt nicht gerechnet", gibt Michaely offen zu. 72 davon wählte das Organisationsteam anschließend in den Wettbewerb, die die vierköpfige Jury bewerten wird.
„Bei qualitativ unterschiedlichen Stoffen ist es natürlich ein Leichtes, ein Urteil zu fällen", spricht Michaely aus Erfahrung. „Doch was passiert, wenn Filme ein gleich hohes Niveau aufweisen? Wenn sie alle etwas Besonderes haben und einen zum Nachdenken verleiten? Dann wird es richtig schwierig."
Das 20-köpfige Team teilt sich auf. Jeder Sichter sieht sich eine überschaubare Auswahl an Wettbewerbsfilmen an und bewertet diese anhand festgelegter Kategorien. Dabei ging es Roschy und Michaely gar nicht darum, den beliebtesten Film herauszufiltern, wie er betont: „Wir wählten besondere Filme aus. So sind auch unsere Preise konzipiert: Besonderes Drehbuch, Besondere Regiearbeit – also alles, was etwas Eigenes ins sich trägt." Bei der Vorauswahl sorgt das unterschiedliche Verständnis von Besonderem für heftige interne Debatten. „Manche fanden den Film genial, andere wiederum total ‚komisch‘", beschreibt Michaely die Stimmung bei der Sichtung. Die Meinungen innerhalb des Teams gingen zum Teil weit auseinander. Für Michaely und Roschy mitunter das Signal diese Filme auf jeden Fall in den Wettbewerb aufzunehmen: „Wer möchte schon glattgebügelte Filme schauen?", fragt Michaely lächelnd, „die Filme sollen die Zuschauer bewegen, sie polarisieren."
72 Kurzfilme werden ausgewählt
Das Werk des Nürnberger Nachwuchsregisseurs Lutz Marquardt „The Girl Beyond" ist beispielsweise so ein Film. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die aus Geldnot gezwungen ist, sich der Prostitution hinzugeben. Um diese Situation ertragen zu können, bedient sich Amelie einer psychologischen List: Immer, wenn ein Freier zu ihr ins Bett steigt, flüchtet sich die zarte Amelie in ihre Kindheitserinnerung. Am liebsten als kleines Mädchen an die Seite ihrer Oma. Doch kann solch ein Verdrängungsmechanismus für immer währen? Als Amelie sich ihrer hoffnungslosen Lage bewusst wird, steht die junge Frau an einem weit aufgerissenen Fenster. Wird sie springen? „Ein sehr starker, stimmungsvoller Film", stellt Michaely den Wettbewerbsfilm vor. „Er lebt lediglich von eindrucksvollen Bildern, symbolischen Farben und kreativ kreiertem Sounddesign."
Trotz ihres jungen Alters setzen sich die heranwachsenden „filmreif!"-Teilnehmer zum Teil mir sehr ernsten Themen auseinander: fremd sein und sich fremd fühlen, Konflikte zwischen Mutter und Tochter, das Gefühl der Unterdrückung. „Ein weiteres großes thematisches Feld ist das digitale Leben und die Arbeitswelt", analysiert Michaely.
Aber auch Themen der Nachhaltigkeit und Umwelt scheinen unter Nachwuchsregisseuren besonders beliebt zu sein. „Dazu haben wir eine eigene Preiskategorie: Den Nachhaltigkeitspreis, dotiert mit 500 Euro", erzählt der künstlerische Leiter. Diesen erhält die Filmcrew, die am nachhaltigsten produziert hat. „Dazu zählen sehr viele unterschiedliche Nuancen", klärt Michaely auf. Manche Crews organisieren Fahrgemeinschaften zum Drehort, andere verzichten beim Catering auf Plastikgeschirr. „Wir waren selbst überrascht, wie umweltfreundlich Filmproduktionen sein können."
Wir lassen uns viel zu schnell beeinflussen
Auch Komödien-Fans kommen bei „filmreif!" auf ihre Kosten. Neben vielen humorvollen Filmen zeigen Roschy und Michaely auch einige animierte Kurzfilme. So wie „Am Boden der Tatsachen" von der preisgekrönten Regisseurin Monika Tenhündfeld. Dafür konnte die Charakter-Animatorin aus Vogt sogar den deutschen Schauspieler und Synchronsprecher Christoph Maria Herbst gewinnen. Ihr knapp fünfminütiger urkomischer Animationsfilm erzählt die Leidensgeschichte einer Hummel, die aus Versehen in eine Universitätsvorlesung gerät. Beiläufig bekommt die Hummel mit, dass sie – rein rechnerisch – gar nicht in der Lage sei zu fliegen. Stimmt es wirklich? Schlagartig raubt die Erkenntnis dem Insekt die ganze Selbstsicherheit und lässt es tatsächlich abstürzen. „Durch Sätze wie ‚Du schaffst das nicht!‘ und den daraus resultierenden negativen Gedanken beginnen wir an unseren Fähigkeiten zu zweifeln und geraten ins Straucheln", erzählt Tenhündfeld. „Unsere Sorgen drehen sich um Probleme, die oft nicht einmal existieren. Wir lassen uns viel zu schnell beeinflussen und hören mehr auf Außenwirkung als auf das Herz. Dieser Film soll dieses Problem auf subtile Art erzählen und uns auf ironische Weise zum Denken anregen – allerdings zum Positiven."