Noch bis 1956 war das Osttiroler Villgratental im Winter kaum zu erreichen. Heute werden Qualitätsprodukte aus der Region bis in die USA oder nach Asien verkauft. Daran hat das Marketingnetzwerk „Kraftwerke" einen ordentlichen Anteil.
nd jetzt geht’s ins Wilderertal", kündigt Busfahrer Franz breit grinsend an, als er im Örtchen Sillian von der gut ausgebauten Straße auf eine schmale, deutlich kurvigere abbiegt. Sichtlich freut er sich über die erstaunten Blicke seiner Fahrgäste. Was habe es denn damit auf sich? Franz legt los. Anfang der 80er-Jahre sei der Wilderer Pius Walder unter immer noch nicht ganz geklärten Umständen erschossen worden. Das sorgte für reichlich Medienwirbel und die literarische Umsetzung des Themas und brachte dem bis Mitte der 50er-Jahre nur im Sommer erreichbaren Tal den Beinamen ein.
Der übrigens bei den Bewohnern des Osttiroler Villgratentals, das westlich und südlich an die italienischen Nachbarn grenzt, gar nicht gern gehört wird. Vielmehr versteht man sich als Synonym für nachhaltigen Tourismus – und hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder hartnäckig gegen alle Bemühungen gewehrt, eine Skischaukel bauen zu lassen. Man hat sich ganz bewusst gegen den Massentourismus positioniert. Was wiederum dazu beigetragen hat, dass in dem rund zehn Kilometer langen Tal südwestlich der Bezirkshauptstadt Lienz traditionelle Strukturen in Teilen erhalten geblieben sind.
Die Almwirtschaft funktioniere noch ganz gut, auch die Pflege der wichtigen Almwiesen, sagt Vroni Leiter vom Wurzerhof. Das Mähen der steilen Hänge sei zwar sehr mühsam, die Pflege der Flächen aber wichtig. So könnten Erdrutsche und Lawinenabgang im Winter verhindert werden. Gerade hat die dunkelhaarige, resolute Frau ein wenig Stress – die Abreise ihrer Gäste steht an. Im Falle des Wurzerhofs sind das knapp 20 Besucher aus dem Münchener Raum, die einen Teil des 300 Jahre alten Hofs als Selbstversorger für ihren Urlaub gemietet hatten.
Denn die Vermietung der Haushälfte mit Bauernstube, großer Küche und Schlafräumen in der ersten Etage sei für sie überlebenswichtig, sagt Vroni. Ohne diese Einnahmen könne der historische Hof inklusive Landwirtschaft, angeschlossenem Sägewerk und kleinem Heimatmuseum nicht existieren. Man denke nur an die Auflagen durch die Denkmalbehörden, die jede Sanierungsaktion zu einer echten Investition machten!
Netzwerk und Siegel „handmade in the Alps"
Vielleicht für die Leiters auch ein Grund, weshalb sie gemeinsam mit anderen Betrieben vor mehr als sechs Jahren die „Kraftwerke Villgraten" gegründet haben. Sie sind ein Zusammenschluss von regionalen Betrieben, die alten Traditionen mit Sinn für Qualität und Design geschickt ins 21. Jahrhundert hinübergeholfen haben. Auf dem Wurzerhof beispielsweise wird das in der hauseigenen Mühle verarbeitete Korn nach Demeter-Standard zu einem würzigen Bauernbrot verbacken.
Und im wenige Kilometer entfernten Store des Modelabels Mühlmann wird Wolle der heimischen Schafe zu zeitlos klassischen Mänteln, Jacken und Blousons mit Finessen verarbeitet. Firmengründer Hermann Mühlmann hatte in den 60er-Jahren, so erzählt es Mitarbeiterin Hildegard Kofler, eine kleine Schneiderei in Ausservillgraten gegründet. Als Lohnschneiderei, die beispielsweise für große Sportartikelhersteller Skikleidung produzierte. Die Abwanderung großer Teile der europäischen Textilindustrie nach Asien führte beinah zum Aus des Familienbetriebs. Wenn nicht Sohn Bernd die Idee gehabt hätte, eigene Kollektionen aus den heimischen Woll- und Walkstoffen zu produzieren. Was zunächst für Stirnrunzeln sorgte. Doch die Kritiker haben mittlerweile klein beigegeben. Denn unter dem Motto „handmade in the Alps" haben Mühlmann-Jacken, -shirts oder -hosen längst ihren Kundenkreis gefunden – auch über die Grenzen Europas hinaus. Im Innsbrucker Flagship-Store, so erzählt Hildegard Kofler, kauften sogar Kundinnen aus China und Korea ein.
Ein Stückchen Handwerkskunst aus dem abgelegenen Villgratental in der großen, weiten Welt?" Klar, sagt auch Bürstenbinder Ludwig Rainer im Ort Innervillgraten ein paar Kilometer weiter. Seine Werkstatt steht voller Maschinen, Kisten stapeln sich in Regalen. Seit 1986 stellt Rainer überwiegend in Handarbeit Besen und Bürsten her und benutzt dafür nur in den seltensten Fällen Kunstfasern. Viel häufiger greift er zu Pferdehaaren oder Schweineborsten. Die seien zum Beispiel gut für Flaschenputzer geeignet, sagt der Mann mit der runden Brille schmunzelnd. Und stößt die Tür zu seinem kleinen Lager auf – auch hier Kistchen über Schachteln. Sie sind gefüllt mit kleinen Schätzen wie Haarbürsten mit handgefertigtem Griff aus Ahornholz und Wildschweinborsten. Es gibt ebenso Kleiderbürsten, Massagebürsten und Schuhbürsten in unterschiedlichen Größen und mit verschiedensten Holzgriffen. Ludwig Rainer öffnet Schachtel um Schachtel und hat zu den Produkten immer eine Geschichte parat.
Tradition und 21. Jahrhundert verbinden sich
Meist sind es Aufträge in speziellen Stückzahlen, die er für Kunden in Österreich, viel häufiger aber für solche im Ausland fertigt. Denn längst sind Ludwig Rainers Besen und Bürsten als Qualitätsprodukte über Österreichs Grenzen hinaus bekannt. Nicht nur, aber vielleicht auch wegen der gemeinsamen Werbung mit den anderen Betrieben der „Kraftwerke". Ob Traditionshof, Kunstschmied oder Modelabel – gemeinsam wird eine Onlineplattform betrieben, die auch auf die individuellen Webauftritte der Firmen verlinkt. Allein darüber würden regelmäßig Besucher der Region zu ihm finden, erzählt Rainer. Vor Ort gibt es zusätzlich Flyer oder Prospekte zu den anderen Betrieben der „Kraftwerke".
Das Wichtigste sei natürlich, dass man darüber spreche, weshalb man sich ein Stück weit gemeinsam vermarkte, sagt Josef Mühlmann, der Juniorchef des Hotels und Restaurant „Gannerhof". Den historischen Hof von 1719 haben bereits seine Eltern nach und nach restauriert und schonend modernisiert. Sie haben geschickt die Verbindung zwischen alpiner Tradition und den Anforderungen des 21. Jahrhunderts hergestellt. Diese setzt sich in Josefs Küche – „so weit wie möglich mit hochwertigen Produkten aus der Region" – fort. Dafür wurde er schon mehrfach ausgezeichnet.
Natürlich bringe ihm das Kunden, sagt Josef, der sich auch als „Villgrater Unikat" bezeichnet. Ebenso wichtig finde er aber auch, Teil der „Kraftwerke" zu sein. Ein Begriff, der längst außerhalb des früher abgeschiedenen Tals zum Synonym geworden sei. Dafür, dass es auch heute durchaus gelingen kann, alte Handwerkskunst und Traditionen auf hohem Niveau und allen Massentrends zum Trotz weiterzuführen.