Weltweit sterben jährlich 1,7 Millionen Menschen an einer Krankheit, die heilbar ist und daher längst überwunden sein müsste. Und doch ist die Tuberkulose noch immer die tödlichste Infektionskrankheit auf unserem Globus.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Tuberkulose, an der beispielsweise Frédéric Chopin oder Franz Kafka leidvoll gestorben waren, dank der Chemotherapie (eigentlich) heilbar. Hierzulande wird sie daher kaum mehr zur Kenntnis genommen. Obwohl selbst in Deutschland wegen der geltenden Meldepflicht jährlich zwischen 5.000 und 6.000 Neuerkrankungen registriert und bis zu 100 Todesfälle beklagt werden. Weltweit sieht die Lage ganz anders aus. Denn die Tuberkulose, früher häufig als Schwindsucht bezeichnet oder nach dem Entdecker ihres Erregers Robert Koch heute häufig auch Morbus Koch genannt, ist inzwischen die tödlichste behandelbare bakterielle Infektionskrankheit der Welt. Jährlich ist sie für 1,7 Millionen Todesfälle verantwortlich, das sind gut 4.600 pro Tag.
Die Zahl der Neuerkrankungen liegt weltweit jährlich zwischen neun und zehn Millionen. Angaben des Robert Koch-Instituts zufolge sind rund 85 Prozent davon in Afrika, Südostasien und der westlichen Pazifikregion beheimatet. Ein Viertel bis ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung soll bereits Tuberkulose-Erreger in sich tragen. Allerdings bricht die Krankheit nur bei fünf bis zehn Prozent der infizierten Erwachsenen tatsächlich aus. In den meisten Fällen gelingt es dem Organismus, die Tuberkulosebakterien erfolgreich zu bekämpfen oder sie durch Abkapselung dauerhaft einzugrenzen. Bei Kleinkindern oder immungeschwächten Personen ist das Erkrankungsrisiko allerdings deutlich erhöht. Bei HIV-Patienten gingen 2016 laut WHO 40 Prozent aller Todesfälle (mit 400.000 Betroffenen) auf das Konto der Tuberkulose. Morbus Koch zählt unverändert zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit.
Eigentlich ein Skandal. Denn die Tuberkulose könnte längst besiegt sein. Das Bakteriengenom ist entschlüsselt, die wesentlichen immunologischen Erkrankungsabläufe sind bekannt, der Medizin stehen moderne diagnostische Verfahren, wirksame Medikamente und effektive Infektionskontrollmaßnahmen zur Verfügung. Nur leider können noch immer nicht alle Menschen, vor allem die, die in ärmeren Regionen leben, nicht in vollem Umfang von diesen Errungenschaften profitieren. In der wissenschaftlichen Forschung wurde die Tuberkulose jahrzehntelang sträflich vernachlässigt, weil die Pharmakonzerne wenig wirtschaftliches Interesse an der Entwicklung neuer Wirkstoffe haben. Schließlich können die Hauptbetroffenen in den Entwicklungsländern dafür kaum Geld aufbringen. Einen hochwirksamen Impfstoff gibt es daher noch nicht. Die Behandlungsdauer von mindestens sechs Monaten ist in vielen Ländern reine Utopie.
Immerhin wurde dem brisanten Thema 2017 im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Schließlich hat sich die WHO bis zum Jahr 2035 das mehr als ehrgeizige Ziel gesetzt, die Zahl der Todesfälle um 95 Prozent und die Zahl der Neuerkrankungen um 90 Prozent zu reduzieren. Das dürfte ohne enge Zusammenarbeit und gewaltige Anstrengungen seitens der Völkergemeinschaft kaum möglich sein. Daher wurde für den Herbst 2018 eine historische Sitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen anberaumt. Nach HIV wird die Tuberkulose damit erst die zweite Krankheit sein, mit der sich die Uno auf höchster Ebene beschäftigen wird.
Resistenzen gegen Erreger
Erreger der Tuberkulose sind aerobe, unbewegliche, langsam wachsende, stäbchenförmige Bakterien (Mycobacterium tubercolosis), die von Mensch zu Mensch in der Regel mittels Speicheltröpfchen, häufig beim Husten oder Niesen, übertragen werden. Die Inkubationszeit, sprich die Spanne zwischen Infektion und messbarer Immunantwort, beträgt durchschnittlich sechs bis acht Wochen. Das Erkrankungsrisiko ist in den ersten beiden Jahren nach der Infektion am höchsten. Es ist aber auch möglich, dass die Krankheit erst Jahrzehnte später ausbricht, wenn beispielsweise im Alter das Immunsystem geschwächt sein sollte. Oder wenn sich eine Person mit HIV infiziert hat, weil die Tuberkulose inzwischen auch eine sehr große Rolle als Sekundärinfektion zum Aids-Erreger HIV spielt.
Die Erkrankung, bei der sich als Entzündungsreaktion auf die eindringenden Keime unter dem Mikroskop sichtbare Knoten (Tuberkel, daher der Name Tuberkulose) im betroffenen Gewebe bilden, manifestiert sich bei rund 80 Prozent der Betroffenen als Lungentuberkulose, kann aber prinzipiell jedes Organ betreffen. Entscheidend für eine effektive Tuberkulose-Bekämpfung ist auf jeden Fall die rasche Entdeckung Erkrankter, die Isolierung infektiöser Patienten und eine schnell einsetzende Therapie. Die ersten Symptome einer Tuberkulose sind recht unspezifisch. Leitsymptom kann aber ein Husten mit oder ohne Auswurf sein, wobei dieser mitunter auch blutig sein kann. Gelegentlich kann es zu Brustschmerzen und Atemnot kommen. Weitere mögliche Allgemeinsymptome können Appetitmangel, leichtes Fieber, nächtliches Schwitzen, Gewichtsabnahme, Müdigkeit oder allgemeines Schwächegefühl sein.
Die Behandlung der Tuberkulose erfolgt ausschließlich durch Kombination mehrerer Antibiotika. Dafür gibt es zwei Gründe. Die Tuberkulose-Bakterien können in der betroffenen Region in biologisch sehr verschiedenen Populationen vorkommen, zu deren optimaler Bekämpfung daher verschiedene Antituberkulotica jeweils am besten geeignet sind. Der zweite wichtige Grund ist eine immer mögliche Resistenz bestimmter Keime gegen ein ganz spezielles Medikament. Ein Problem, das durch eine Kombi gelöst werden kann. Dafür stehen fünf Standardmedikamente zur Verfügung: Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol, Pyrazinamid und Streptomycin. Letzteres wird inzwischen in vielen Ländern aber nicht mehr verwendet.
Als Standardbehandlung für eine Lungentuberkulose bei Erwachsenen gilt eine sechsmonatige Chemotherapie, die zunächst so lange im Krankenhaus unter Quarantäne durchgeführt werden muss, bis die Ansteckungsgefahr überwunden ist. Der Erfolg der Therapie ist allerdings ganz elementar davon abhängig, dass nicht immer mehr TuberkuloseErreger Resistenzen gegen sämtliche bei der Behandlung gebräuchlichen Antibiotika ausgebildet haben. Laut der WHO hatten sich 2016 weltweit rund 600.000 Menschen neu mit einem Tuberkulose-Bakterienstamm infiziert, der gegen einige Standardantibiotika resistent war. Bei ihnen sprach das eigentlich wirksamste Mittel Rifampicin gar nicht mehr an, und häufig konnten auch weitere Antibiotika nicht mehr helfen.