Auf keinen Fall nur in St. Moritz hängen bleiben! Es lohnt sich, auch das Umland mit grandioser Natur und traditionellen Dörfern zu entdecken. Und nicht weit entfernt davon kann man einen Abstecher ins traumhafte Tessin machen.
Die Region um St. Moritz gilt als das Gipfelparadies schlechthin. Man muss aber nicht die ganze Ferienzeit auf den Bernina, Piz Nair, Labalb oder den Piz Corvatsch stürmen: Auch Streifzüge durch Almen und Arvenwälder sind ein Erlebnis. Jetset-Flair ist nicht alles, gleich nebenan steht die wunderschöne romanische Kirche noch im Dorf, schmeckt das Bündnerfleisch in der urgemütlichen Arvenstube der Dorfwirtschaft doppelt so gut.
Es nötigt Respekt ab, wie die Bergdörfer Zuoz, Celerina und Champfer gut vom Tourismus leben, trotzdem ihre Eigenständigkeit bewahrt haben. Sie laden mit dem Charme ihrer Ursprünglichkeit zum genussvollen Verweilen ein.
Wer in St. Moritz hängen bleibt, verpasst viel: die wildromantische Schlucht rund um Bergell, das mit typisch gemauerten Häusern, teilweise mit Sgraffito-Schmuck, punktet. Das lässige Silvaplana, Bever mit seinen verwunschenen Gärten. Das kleine Madulain mit seinen urigen Engadiner Holzhäusern. Und natürlich Sils Maria. Während St. Moritz für Glanz und Glamour steht, gilt Sils Maria als beflügelnder Ort für Geist und Gedanken. Nietzsche, Hermann Hesse, Thomas Mann, Dürrenmatt, Chagall, Musil waren süchtig nach Sils. „Wir schlürfen die Luft hier wie französischen Champagner", schrieb Richard Strauss. Die Gäste heute trinken das prickelnde Getränk im berühmten „Waldhaus Sils".
Das mit der Champagnerluft ist im Südwesten des Kantons nicht viel anders. Splügen ist eins der schönsten Bündner Orte. Gleich hinter den Häusern ragen die Berge in den Himmel, Italien ist nicht weit, San Bernadino und der Splügenpass liegen vor der Haustür. Besucher wandern auf uralten Routen, etwa auf der Via Spluga. Die 64 Kilometer lange Strecke führt über den Splügenpass und durch Splügen selbst, vorbei an Häusern mit Holzfensterläden, Blumenkästen und bemoosten Steinschindeln auf den Dächern. So schön, weshalb auch wieder das „Bodenhaus" – 1722 erbaut – gefragt ist, in dem einst Queen Victoria und Einstein nächtigten.
Mit dem Postauto ist es nicht weit bis Zillis, einem kleinen Ort im Schamstal auf 900 Meter. Besucher lieben Wanderungen auf der Via-Spluga zu Graubündens berühmtester Schlucht, der Via Mala. Die an einigen Stellen nur wenige Meter breite, dafür 300 Meter tiefe Schlucht wird von drei Brücken überspannt. Von der „Wildener Brücke" war Goethe schwer beeindruckt. Er war 1788 hier und hat sie gemalt.
Grandiose Natur bietet der einzige Schweizer Nationalpark im Viereck Zernez/Schanf/Ofenpass/Scuol. 1914 wurde er als erster Park Mitteleuropas eingeweiht, 1979 zum Unesco-Biosphärenreservat ernannt. Dank des konsequenten Schutzes der Natur wachsen auf 172 Quadratkilometern 650 verschiedene Pflanzenarten, sind wieder Steinböcke, Gämsen, Rotwild, Murmeltiere, Schneehasen, Eidechsen, zahlreiche Vögel (darunter auch der seltene Bartgeier) in freier Wildbahn zu sehen. Die Natur bleibt völlig sich selbst überlassen. Strenge Regeln müssen beachtet werden. Das Fernziel ist ein Zustand, wie er vor dem Eintreffen des Menschen vor 5.000 Jahren herrschte.
Von Zernez aus lohnt ein Ausflug nach Guarda. In der 200-Seelen-Siedlung schmiegen sich etwa hundert zumeist 300 Jahre alte Steinhäuser eng aneinander. Sie sind fürs Zusammenleben gebaut und gruppieren sich um die opulenten Dorfbrunnen. Obwohl im Engadiner Stil, unterscheiden sie sich durch geschmiedete Balkongitter, Sonnenuhren, Sinnsprüche und Malereien. Leicht wirken die massiven Bauten vor allem deshalb, weil sie fast flächendeckend mit renovierter Sgraffiti, Wandzeichnungen in einer ganz speziellen Technik, verziert sind.
Der Comer See ist nobel wie zu Kaisers Zeiten
Die Schweizer lieben Bähnlis. Auf spektakulären Linien schlängelt sich die Rhätische Bahn von St. Moritz durchs Engadin. Eine führt auf den Albula-Pass und weiter nach Chur, eine zweite über den Bernina ins Tessin. Beide zählen wegen ihrer Viadukte für Eisenbahn-Fans zu den schönsten Strecken der Welt.
Touristen, die Einkehr und Kultur suchen, sind im Tessin in der italienischen Schweiz mit dem milden Klima und subtropischer Vegetation richtig. Heiter, lebensfroh geht es am Lago Maggiore zu. Wichtigste Ziele sind Ascona und Locarno, das für sein alljährliches Filmfestival mit Vorführungen auf der Piazza Grande berühmt ist. Ein Hauch von Grandezza versprüht das „Grand Hotel". 1925 wurde hier Weltpolitik gemacht. Der „Vertrag von Locarno" sicherte den Frieden nach dem Ersten Weltkrieg. Dolce far niente an der Promenade im mondänen Ascona. Ein Apéro im paradiesischen Garten der „Eden Bar" ist echt romantisch.
Wer verliebt sich nicht in das „innamorato del Ticino", in das Luganese rund um den Lago di Lugano? Vom Alpinen bis ganz zum Südlichen, alles da, schwärmte Hermann Hesse. In Montagnola schrieb er „Siddhartha", „Narziss und Goldmund", „Das Glasperlenspiel". Stimmungsvoll ist eine Bootsfahrt zum verschachtelten Fischerdorf Gandria. Lugano, die Schönste im Tessin, zieht bis heute die „monde mondain" aus aller Welt an. Hier kann man Dolce Vita voll genießen: Sonne satt, Cafés, Restaurants, Nachtclubs, Magnolien, Mimosen und Lago. Tessiner Küche? Unbedingt ein Grotto besuchen – das ist Lebensart im Felskeller mit Salami, Käse, Wurst und Brot.
Der italienische Comer See ist nobel wie zu Kaisers Zeiten. Von Moritz 70 Kilometer entfernt und nur 27 Kilometer östlich von Lugano gelegen, wirkt sich der Lago wohl besonders auf Geist und Seele aus. Schon die Queen, die Kaiser Franz Josef und Wilhelm, Napoleon und Adenauer erlagen seinem Reiz. Künstler wie Leonardo da Vinci, Verdi und Stendal wurden zu künstlerischem Schaffen angeregt, von blaublütigen Amouren inmitten prachtvoller Gärten wurde gemunkelt.
Das Mediterrane entlang der Via Regina am Westufer mit Palmen und Zitronenbäumen entspricht genau dem Klischee, das bei uns die Italiensehnsucht weckte. Menaggio ist der italienischste Ort mit ockerfarbenen Renaissance-Palazzi. Wer den nostalgischen Charme altmodischer Ferienorte sucht, findet ihn in Cernobbio und Tremezzo mit Grand Hotels und Belle-Époque-Villen. Bootstouren nach Varenna zu den Gärten Cipressi und Monasteri und nach Bellagio sind eine Offenbarung. Der Charme der Jahrhundertwende macht’s und der 50er-Jahre! Sitzt man unter gestreiften Markisen an Klapptischen mit Rosendeckchen und isst den Hefekuchen Panettone, man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich Vittorio de Sica, Lieblingsregisseur der Loren und Marcello Mastroianni, um die Ecke käme.