Madrid und Rom heizen die Diskussion um Wachstum und Defizit an
Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es in der Eurozone mehr Lichtblicke als Schattenseiten. Das Wachstum in etlichen Mitgliedsländern lag deutlich über zwei Prozent, der private Verbrauch zog an, die zuvor horrend hohen Arbeitslosenraten gingen zurück, die Staatsschulden explodierten nicht mehr. Knapp zehn Jahre nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise standen die Zeichen auf Konsolidierung. Das galt – mit Abstrichen bei Griechenland – auch für die ehemaligen Sorgenkinder Spanien, Portugal und Italien.
Dieses Bild relativer Stabilität erhält in diesen Tagen Risse. Erstmals in der Geschichte des demokratischen Spaniens wurde ein Ministerpräsident durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Dem Sozialisten-Chef Pedro Sánchez gelang es, zusammen mit den linken Populisten von Podemos sowie Regionalparteien aus Katalonien und dem Baskenland eine Mehrheit gegen den Amtsinhaber Mariano Rajoy zu organisieren. Egal, wen der neue Premier Sánchez ins Kabinett holt: Es wird eine wackelige Regierung, früher oder später sind Neuwahlen wahrscheinlich.
Der Ruf nach höheren sozialen Leistungen, mehr staatlichen Investitionen und damit Haushaltspolitik auf Pump wird auf jeden Fall lauter werden. Ohne die Duldung von Podemos kann Sánchez nicht regieren. Die Partei hat sich den Kampf gegen Ungleichheit durch öffentliche Ausgaben-Programme auf die Fahnen geschrieben. Auch die Sozialisten hatten in der Vergangenheit immer wieder gegen einen zu strengen Sparkurs in der Eurozone gewettert. Der eine oder andere Defizit-Hüter in Brüssel dürfte in den kommenden Wochen nervös nach Madrid schauen.
Auch Italien stehen unruhige Zeiten bevor. Die neue Koalition aus der Anti-Establishment-Bewegung Fünf Sterne und der rechtspopulistischen Lega ist ein Kabinett auf Abruf. Ein Grundeinkommen für alle, eine drastische Senkung der Einkommenssteuersätze sowie frühere Verrentungen sind nicht finanzierbar: Sämtliche Maßnahmen würden ein Loch von jährlich bis zu 130 Milliarden Euro in den Haushalt reißen.
Schon heute beträgt Italiens Staatsverschuldung 2,3 Billionen Euro. Das ist der höchste nominale Wert in der EU. Nur Griechenland hat, gemessen an der eigenen Wirtschaftsleistung, noch mehr Außenstände. Dennoch dürfte der Schuldenberg im Zuge der Koalitionspläne von Fünf-Sterne-Partei und Lega deutlich größer werden. Das neue Kabinett wird daher versuchen, an den Defizit-Obergrenzen der EU zu rütteln, um mehr Spielraum für staatliche Ausgaben herauszuholen. Die Regierungen in Rom und Madrid werden in dieser Frage an einem Strang ziehen.
Und schließlich: Griechenland hat zwar dank dreier üppiger Hilfspakete leichte Fortschritte beim Wachstum erzielt. Doch im August laufen die internationalen Finanzspritzen aus, die mit strengen Auflagen verbunden waren. Ob Athen künftig allein zurechtkommt, darf bezweifelt werden. Deshalb wird die griechische Regierung ihre alte Forderung nach einem Schuldenschnitt erneut aufs Tapet bringen.
Südeuropa ist plötzlich wieder die schwache Flanke der EU. Dies wird die Diskussion um Haushaltsstabilität und Wirtschaftswachstum in der Gemeinschaft befeuern. Gleichzeitig steigt der Druck für eine Reform der Eurozone. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Debatte durch die Forderung nach Investitions-Programmen in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro angestoßen – unter der Aufsicht eines europäischen Finanzministers. Auf diese Weise sollten die Kluft zwischen Nord und Süd verkleinert und die Lebensverhältnisse angeglichen werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt Macron entgegen – aber nur ein bisschen. Sie brachte einen gemeinsamen „Investivhaushalt im unteren zweistelligen Milliardenbereich" ins Spiel. Zudem soll ein Europäischer Währungsfonds (EWF) Staaten, die aufgrund äußerer Umstände ins Schlingern geraten sind, kurzfristig Kredite gewähren. Doch im gleichen Atemzug hält Merkel den Daumen auf der Schatulle. „Solidarität unter Europartnern darf nie in eine Schuldenunion münden, sondern muss Hilfe zur Selbsthilfe sein", mahnt die Kanzlerin. Wie viel Geld soll Brüssel künftig in die Hand nehmen (dürfen), um die Konjunktur in schwächelnden Ländern unter Dampf zu setzen? Mit Blick auf die Lage im Süden dürfte es beim EU-Gipfel Ende Juni heiß hergehen.