„In the Cut – Der männliche Körper in der feministischen Kunst" nennt sich eine Ausstellung, die noch bis zum 30. September in der Stadtgalerie Saarbücken zu sehen ist.
Die mit Spannung erwartete Ausstellung zeigt nackte Tatsachen, den Mann aus den Augen von Künstlerinnen betrachtet. Die Vorsehung sorgt dafür, dass ich nach Betreten des Raumes, in dem die Reden vor der Eröffnung gehalten werden, eine ältere Dame in weißer Spitzenbluse kennenlerne: Eunice Golden, eine der 19 Künstlerinnen, die ausstellen. Die Amerikanerin zieht mich durch ihre Lebendigkeit in den Bann. 92 Jahre ist sie alt. Ich versuche auf der Stelle ihr das Rezept eines gelingenden Alterns zu entlocken. Die breite Krempe ihres Hutes wippt, als sie fröhlich erwidert: „I am an artist!" Kunst hält jung.
Sie erzählt, dass sie zuletzt in den 70er-Jahren in Deutschland gewesen sei, jetzt hat sie die weite Reise nach Saarbrücken auf sich genommen. Ein Hauch von Triumph schwingt in meiner Stimme: „Saarbrücken, not Berlin!" Sie nickt und lacht. Als die Oberbürgermeisterin Charlotte Britz die anwesenden Künstlerinnen begrüßt und Goldens Name fällt, ist die agile Lady nicht mehr zu halten: „I can,t see her." Mitgereiste Familienmitglieder eilen herbei und bahnen ihr den Weg in die vorderen Reihen.
Ich bin neugierig auf die Werke von Eunice Golden. Großformatiges und Farbintensives sehe ich. Die Beschriftung verrät: Die Werke stammen aus den 70er-Jahren. „Wie findest du das?", frage ich einen Besucher, den ich kenne. Auch er staunt: „Frisch und neu!" Eines der Werke zeigt zwar unzweifelhaft einen Penis, aber weitere Körperteile scheinen sich einer Zuordnung zu entziehen. Der Mann merkt an: „Das versteh’ ich nicht." „Ich glaube, das muss man nicht verstehen", entlaste ich ihn.
Kunst bringt Menschen zusammen. Auf dem Boden kniet eine Dame, um ihr Smartphone auf Höhe eines kleinen Monitors halten zu können. Ich trete hinzu, sehe auf dem Bildschirm einen liegenden männlichen Körper, ein aufgerecktes Glied. Im Vorbeigehen lasse ich die Bemerkung „Aha, das interessiert Sie" fallen. „Warten Sie!" ruft die Angesprochene. Ich warte. Der Aufgereckte ist verschwunden. Eine kleine rosa Kinderplastikgießkanne schiebt sich von oben ins Bild. Schwupp, da ist er wieder! Wir giggeln wie Pubertierende. Kunst darf Spaß machen! Ein Mann erklärt mir wenig später, als ich ihn auf das ultimative Mittel gegen Erektionsstörungen aufmerksam machen will: „Diese Gießkanne gibt es schon. Sie ist blau." Meinen verständnislosen Blick wahrnehmend schiebt er nach: „Viagra!" Das witzige Video trägt den Titel „Blumenbeet" und wurde von Anna Jermolaewa 2011 erdacht. Überhaupt entpuppen sich die Videoarbeiten als echte Hingucker. Einige offenbaren das, worum es im Kern in dieser Schau geht: Das Machtgefüge zwischen den Geschlechtern.
Aude du Pasquier Grall dreht Rollen und Machtgefüge um. Sie ist die Fotografin, der Mann ist das Model. Der Mann hat sich den Anweisungen der Frau-Fotografin in einem exzessiven Shooting zu unterwerfen. In Frankreich wurde ihre Videoinstallation „The Male Cycle No. 4" 2002 zensiert. In Saarbrücken ist die Videoarbeit zu erleben. Das Kunst-Stück hat es in sich. Kunst kann provozieren. Eine erotisch-ästhetische Fotografie ist ihr „Orangenmann". Bei diesem männlichen Akt wird eine Orange zum sonst üblichen Feigenblatt. Der Mann ist schön. Alles ist inszeniert. Von einer Frau.
Eindrucksvoll, dabei einfach bei der Wahl der Mittel, entblößt Julika Rudelius angezogene Männer. In der Frankfurter Bankenmeile hat sie die Herren im öffentlichen Raum im Businessdress gefilmt und richtet dabei den Blick zumeist auf deren Gesäß. Auf den vier Monitoren dechiffrieren wir jedoch mehr. Männer posen untereinander, Status zelebrierend mittels Körpersprache und Insignien wie Chronograf und Smartphone. Sowohl das Gehabe, als auch die Einheitlichkeit frappiert. Der Anzug als Uniform. Aber halt, da greift sich einer unter das Hemd, da leckt sicher einer die Lippen, kleine verräterische Gesten. Mann inszeniert sich selbst. Ein Seh-Stück erster Güte!
„Ungewohnt" höre ich an diesem Abend als Reaktion auf das Gebotene, sowohl von Frauen als auch von Männern, am häufigsten. Kein Wunder. Der nackte weibliche Körper ist durch die Jahrhunderte als Bildthema der Kunstgeschichte bekannt – der männliche Blick auf den weiblichen Körper. Der erotische Blick auf den männlichen Körper durch Künstlerinnen erscheint dagegen ungewohnt.
Der erotische Mann als Kunst
Beim Entree, dem Einstieg zu „In the Cut", begreift man auf der Stelle die Programmatik der Schau, die mit ungefähr 140 Werken bestückt ist. Mit der Direktorin der Stadtgalerie, Dr. Andrea Jahn, stehe ich wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung vor dem Werk der französischen Künstlerin Orlan, „Der Ursprung des Krieges" (1989), das sich auf Gustave Courbets „Der Ursprung der Welt" (1866), bezieht. Courbet lenkt unseren Blick auf die behaarte Scham und mit dem Titel auf die Leben schenkende Fähigkeit der Frau sowie deren Bedeutung für die Menschheit. Orlan präsentiert den erigierten Penis und mit dem Titel die Überlegung, dass es Männer sind, die Kriege entfachen. Andrea Jahn merkt an: „Das ist mir zu wenig. Weibliche Körper aufs Gebären festzuschreiben und männliche aufs Kriegführen, das würde nur die Strukturen bestätigen, mit denen wir zu kämpfen haben." Bei Orlan sei der männliche Körper zudem „verletzlich, erotisch und sexuell verfügbar". Solche Kunst kratzt mutmaßlich am Selbstverständnis des Patriarchats.
„Eine solche Ausstellung hat es bis heute nicht gegeben", ließ die Stadtgalerie-Leiterin in ihrer Eröffnungsrede aufhorchen. „Das hat verschiedene Ursachen", sagt sie und zeigt auf eine farbenfrohe Malerei – mein Auge muss den nackten Mann samt Pimmel erst zusammensuchen. „Das ist das erste Bild von einer Künstlerin über einen erotischen Mann. Es ist von Carolee Schneemann von 1957. Das hängt in unserer Ausstellung! Über 2.000 Jahre europäische Kunstgeschichte und die Männer haben tatsächlich immer den Blick auf den menschlichen Körper bestimmt – auch auf den eigenen." Carolee Schneemann sei von der Akademie geflogen, weil sie Akte von sich selbst gemalt hatte. Andrea Jahn ruft beinahe: „Das, was männliche Studierende tun durften, durfte sie nicht!"
Ich zeige auf das Video von Eunice Golden aus den 60er-Jahren und bekenne: „Ziemlich eklig." „Ach, so? Das überrascht mich jetzt. Das ist doch lustig, liebevoll, verspielt", meint mein Gegenüber. Das männliche Genital wird mit Schlagsahne, Früchten und Schokosoße garniert – bis zum totalen Gematsch. Es gehe darum, mit dem Körper spielerisch umzugehen, will mir die Kuratorin klarmachen, und gesteht zu, dass es schon etwas mit Sehgewohnheiten zu tun habe.
Eunice Golden hat über ihre Werke gesagt, dass sie für die damalige Zeit zu radikal gewesen seien. „Ja", bestätigt die Direktorin der Stadtgalerie, „das hat sie auch ihre Professur gekostet." Wir blicken auf ein großformatiges Ölgemälde: „Purple Sky" (1969) – der purpurfarbene Himmel. „Der Phallus ist bedrohlich, das ist eine Kampfansage", erfahre ich über die Körperlandschaft.
In einer Video-Performance schickt Alicia Framis nackte Männer mit Handtaschen auf den Catwalk. „8 de Junio, las modelos libran" hatte die Künstlerin 2006 für die Modemarke Loewe konzipiert. Die Live-Fashion-Schau wurde vom Auftraggeber abgesagt. Die Kuratorin findet: „Eine tolle Arbeit, weil die Künstlerin uns, als weiblichem Publikum, erlaubt die Männer so anzuschauen, wie wir jahrhundertelang Frauen angeschaut haben." In Spanien könne die Künstlerin dieses Video nicht zeigen, weil man dort an einer Geschlechterdefinition festhalte.
Männer mit Handtaschen
Umzingelt von zehn großformatigen Fotos, darauf ein Paar beim Liebesspiel. „Warum hängt die Fotoserie im Museum und nicht im Schlafzimmer der Künstlerin?", frage ich. Die Künstlerin Susan Silas ist mit ihrem Partner abgelichtet. Mir ist das zu viel und zu privat. „Was haben wir denn für Konventionen? Wer darf denn Sex haben?", fragt Frau Dr. Jahn und antwortet selbst: „Junge Menschen mit perfekten Körpern. Bilder von alternden Körpern gibt es so gut wie gar nicht. Es ist eine Inszenierung von zwei Körpern, die gleichberechtigt sind und kein pornografischer Blick." Die Museumsleiterin hat umfangreiche Handouts erstellt, damit Informationen zu Künstlerinnen und Werken jedem zur Verfügung stehen. Sie bezeichnet ihre Schau, die realisiert werden konnte durch die Kulturstiftung des Bundes und den Sponsor Ursapharm, als „humorvoll, ironisch, lustvoll". Dem ist nichts hinzuzufügen. Aber halt, eine Frage hätte ich noch: „Wie wollen Sie solch eine Schau toppen?" „Also, ich habe da noch einige Ideen …"