Käthe Lachmann (47) zählt zu den bekanntesten deutschen Komikerinnen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Aufgrund einer Angsterkrankung zog sich die Wahl-Hamburgerin schließlich von der Bühne zurück.
Frau Lachmann, wann und wie hat sich die Angst in Ihrem Leben erstmals bemerkbar gemacht?
Das war in einem Urlaub mit der Familie in Südtirol. Ich muss so um die zwölf, dreizehn Jahre alt gewesen sein. Plötzlich hatte ich furchtbare Angst und konnte gar nicht sagen, warum. Die Berge schienen mich zu erdrücken, das Atmen fiel mir schwer, ich hatte Todesangst. Am liebsten wollte ich nur noch mit meiner Mutter in der Pension bleiben, wo ich mich einigermaßen sicher fühlte. Man schrieb es der Pubertät zu, und als ich das zu Hause immer noch manchmal hatte, dass ich nicht raus wollte vor lauter Angst, hat eine Bekannte meiner Mutter, die medizinische Masseurin war, mich massiert, weil sie sagte, das sei bei diesen „Pubertätssymptomen" gut.
Von welchen körperlichen Symptomen wird die Angst bei Ihnen begleitet?
Mein Herz rast, ich bekomme schwer Luft, die Hände werden kalt, mir wird schwindelig, die Kehle ist zugeschnürt, die Knie weich, ich kann mich nicht mehr konzentrieren.
In Brühl haben Sie erstmals einen Auftritt abgebrochen. Was war da passiert?
Tja, Brühl war wohl der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich hatte ja schon einige Zeit immer wieder mit großen Ängsten auf der Bühne gestanden und es jedes Mal dennoch ganz gut gemeistert. Ich hatte „Angst vor der Angst", wollte am liebsten gar nicht zu dem Auftritt fahren, weil ich mich fürchtete, dass ich auf der Bühne wieder sehr große Angst haben würde. Ich stand heulend in Hamburg auf dem Bahnhof und katastrophisierte immer weiter vor mich hin. Aber ich fuhr trotzdem.
Auf der Bühne dann wurde die Angst immer schlimmer, ich bekam schnell keine Luft mehr, mein Puls schlug wie verrückt, mir wurde heiß, ich konnte gar nicht mehr sprechen und war mir sicher, ich sterbe jeden Moment. Da stolperte ich von der Bühne.
Wissen Sie, was die Angst tief in Ihrem Inneren ausgelöst hat? Gab es zum Beispiel ein bestimmtes Ereignis in Ihrer Kindheit?
Ich denke, es war nicht ein einziges traumatisches Erlebnis. Bestimmt hat zur Entstehung der Ängste geführt, dass mich meine Mutter wegen einer postnatalen Depression ziemlich direkt nach der Geburt nicht selbst versorgen konnte, sondern bei ihrer Mutter untergebracht hat. Andere unbewusste Verhaltensmuster von meinen Eltern (und mir) haben gewiss auch einen Teil dazu beigetragen.
Dabei würde ich schon sagen, dass ich eine glückliche Kindheit hatte, aber wegen verschiedener Umstände habe ich mich wohl nie richtig von meiner Mutter abgenabelt. Sie ist gestorben, bevor ich das konnte und mir das mithilfe meiner Therapeutin bewusst geworden ist.
Wie ist es Ihnen gelungen, Ihre Erkrankung zunächst geheim zu halten? Hat man Ihnen bei Bühnenauftritten nichts angemerkt?
Ich glaube schon, dass man auf der Bühne manchmal gemerkt hat, dass ich schwer geatmet habe. Das war aber auch immer die Krux: Zu meiner immensen Anspannung kam immer noch hinzu, dass sie sich verstärkte, wenn ich das Gefühl hatte, man merkt sie mir an. Freunde, Menschen, die mich kennen, haben mir schon manchmal rückgemeldet: „Du hast so geschnauft." Im Alltag habe ich meinen Freunden gegenüber schon erzählt, wenn ich vor etwas Angst hatte. Außer, als die Angst, mit anderen zu essen und zu trinken, dazukam. Das fand ich doch zu blöd! Da habe ich schon manchmal so getan, als hätte ich keinen Hunger oder eine Magenverstimmung. Aber nur anfangs. Das habe ich dann nur noch bei Fremden beibehalten.
Wem haben Sie sich als Erstes anvertraut?
Meiner Mutter. Sie war freundlich und fürsorglich, hat mich aber wohl erst richtig verstanden, als ich ihr mit etwa einundzwanzig Jahren ein Buch geschickt habe mit dem Titel „Ängste, Panik und Phobien", in dem die Angststörung als „richtiges" Krankheitsbild beschrieben wird und mir nach dem Lesen ein Stein vom Herzen fiel. Ich war nicht verrückt, das hatten auch andere! Ärzte befassten sich damit! Meine Mutter sagte mir nach der Lektüre: „Was hast du durchmachen müssen." Sie machte mir dadurch klar, dass sie es bis dahin gar nicht richtig nachvollziehen konnte. Nun, ganz nachvollziehen kann man Ängste und Panikattacken wohl auch nur, wenn man sie aus eigener Erfahrung kennt.
Wie haben die Ängste Ihr Leben verändert?
Lange Zeit wollte ich sie einfach nur loswerden, und das ging ja auch immer mal für eine gewisse Zeit. Inzwischen weiß ich aber, dass sie mir helfen, mich persönlich weiterzuentwickeln. Juhu, ich werde jetzt mit 47 allmählich erwachsen! Was aber nicht heißt, dass meine kindlichen Anteile wegfallen. Die Gewichtung wird anders und ich denke, das ist auch gut so.
Wie wurden Sie behandelt?
Ich hatte verschiedene Therapien, eine Verhaltenstherapie inklusive Konfrontationstherapie, bei der ich U-Bahn und Fähre fahren – ich lebe in Hamburg – geübt habe; eine Analyse, während der meine Ängste immer schlimmer wurden, eine Reha, die mir nur insofern geholfen hat, dass ich fünf Wochen alleine weg von zu Hause ganz gut überstanden habe, was für mich eine große Leistung war.
Was halten Sie von Gesprächstherapien?
Ich halte sehr viel von Psychotherapien, ich hatte meist eine Mischform aus Gesprächs- und Verhaltenstherapie. Es kommt einfach sehr darauf an, dass man einen guten Therapeuten findet und sich dem auch vollkommen anvertrauen kann und das auch tut. Das Tolle ist: Ein Therapeut macht zuhören beruflich! Man braucht sich für nichts zu schämen, was man ihm erzählt. Im Gegenteil, das ist so ziemlich der einzige Mensch, dem man wirklich alles erzählen kann. Vorzufiltern im Kopf bringt nichts, im Gegenteil.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Medikamenten gemacht – helfen diese zuverlässig gegen Panikattacken?
Auch hier kann es etwas dauern, bis man „sein" angstlösendes Antidepressivum gefunden hat. Ich bin sehr froh, dass es Tabletten gibt, die die ganz großen Ausschläge bei einer Angst- und Panikstörung abpuffern. Man stumpft dennoch nicht ab, ist trotzdem manchmal traurig, weil etwas nicht geklappt hat, oder man hat immer noch manchmal Ängste.
Aber mir geht es so, dass ich mich mit Tabletten mehr traue und insgesamt ausgeglichener bin. Wichtig ist, sie ganz langsam einzuschleichen und das in Begleitung eines Arztes zu tun. Außerdem würde ich immer gleichzeitig eine Psychotherapie machen. Tabletten decken nichts zu, das ist meine Erfahrung. Manchmal helfen sie mir, überhaupt in der Lage zu sein, eine Therapie zu machen.
Was hat Ihnen am meisten bei der Bekämpfung Ihrer Ängste geholfen?
Ich habe jetzt erst einen achtwöchigen Achtsamkeitskurs gemacht, der mir sehr geholfen hat. Angst hat man immer vor etwas in der Zukunft. Wenn man achtsam ist, ist man im Hier und Jetzt und bei sich, man katastrophisiert nicht mehr. Und wenn doch, kann man die Gedanken betrachten und Angstgefühle da sein lassen, statt sich gegen sie zu wehren. Das ändert etwas. Ich bin immer noch am Üben, finde Achtsamkeit für Angstpatienten großartig und kann einen solchen Kurs jedem nur empfehlen.
Was kann man tun, wenn eine Panikattacke einsetzt?
Bei einer akuten Panikattacke alleine unterwegs hilft es mir, jemanden anzusprechen und zu sagen, was mit mir ist, jemanden anrufen, versuchen, in den Bauch zu atmen, sich abzulenken. So ein richtiges Geheimrezept habe ich aber nicht.
Welche Tipps können Sie anderen Betroffenen geben?
Redet darüber. Öffnet euch. Es ist viel anstrengender, die Ängste zu verstecken, als offen damit umzugehen. Ängste sind nichts, wovor man sich schämen muss. Holt euch Hilfe, sucht euch einen Therapeuten. Auch euer Hausarzt hilft euch. Übt mit lieben Menschen schwierige Situationen. Und seid stolz auf euch, wenn ihr was geschafft habt, was schwierig für euch war. Achtet eure Grenzen! Übt „Nein!" zu sagen. Schafft euch Erholungsphasen, immer wieder. Überfordert euch nicht. Seid nett zu euch!
Was denken Sie, warum seelische Erkrankungen immer noch ein Tabuthema sind, obwohl schätzungsweise jeder sechste darunter leidet?
Weil sie so schwer zu verstehen sind. Einen Gipsarm kann man sehen, eine Angststörung nicht. Weil es für die Gesunden vielleicht ein wenig unheimlich ist? Weil man es selbst als Betroffener nicht so richtig versteht, wieso der Verstand da so wenig zu melden hat.
Mit welcher Intention haben Sie Ihr Buch geschrieben?
Ich möchte helfen, das Thema psychische Erkrankungen aus der Tabu-Ecke zu holen. Ich möchte Betroffenen Mut machen, über ihre Probleme zu reden, offen damit umzugehen und sich Hilfe zu holen. Auch möchte ich Angehörigen deutlich machen, wie schrecklich eine Angststörung ist und dass wir uns wirklich nicht „anstellen" und es mit „zusammenreißen" nicht getan ist.
Was haben Sie durch Ihre Ängste gelernt?
Ich habe gelernt, dass ich meine eigenen Grenzen habe und die respektieren muss, ganz egal, was andere dazu sagen. Und dass es an der Zeit ist, den „Welpenschutz" abzulegen und erwachsen zu werden.
Wie geht es Ihnen heute?
Ganz gut, danke. Ich kann zurzeit schlecht in Gesellschaft trinken, aber sonst gehts ziemlich gut. Ich fahre wieder U-Bahn, bin schon ein paar Mal geflogen und erweitere meinen Radius immer mehr.
Von der Bühne haben Sie sich inzwischen verabschiedet. Können Sie sich vorstellen zurückzukehren, wenn die Ängste weitgehend besiegt sind?
Man soll ja niemals nie sagen, aber zurzeit kann ich es mir überhaupt nicht vorstellen.
Wie sieht Ihr Leben nach der Komik aus? Womit sind Sie aktuell beschäftigt?
Ich schreibe an einem weiteren Sachbuch und an einem Roman. Es ist herrlich, zu Hause arbeiten zu können.