Erst kam der Schock, dann die verzweifelte Suche nach dem, worum es eigentlich geht. Zwei Jahre nach dem Brexit-Votum ist immer noch nicht klar, wie die Trennung über die Bühne gehen soll.
Das historische Ereignis schafft es derzeit nur noch sporadisch auf die Titelseiten. Das bedeutet nicht, dass irgendetwas geklärt ist. Im Gegenteil. Zwei Jahre nach dem, was eigentlich keiner so wirklich auf dem Schirm hatte, bleibt weiter unklar, wie die Zeit nach vollzogenem Brexit aussehen soll und kann.
In der Nacht vom 23. Juni 2016 rangen sich Politiker in den europäischen Hauptstädten mühsame Sätze ab, um den Ausgang des Brexit-Votums zu kommentieren. Wirklich damit gerechnet hatte kaum einer, waren doch zuvor einige andere wacklige Abstimmungen am Schluss immer noch knapp zugunsten der EU ausgegangen. Einen echten Plan B gab es nicht. Übrigens auch keinen wirklichen Plan A der Brexit-Befürworter.
Nach dem ersten tiefen Durchatmen machte dann schnell das Wort vom „heilsamen Schock" die Runde. Der Brexit hatte nichts anderes gezeigt, als dass dieses Europa als mal geliebte, mal verhasste Selbstverständlichkeit ein höchst fragiles Gebilde ist, zu dem es keinen Plan B zu geben schien. Zu festgemeißelt schien alles in den über 20.000 Gesetzen, die im Laufe der Jahrzehnte den „alten Kontinent" zu einem Gebilde verwoben hatten, das einzigartig ist. Das einst große Empire wollte aber noch ein Stück einzigartiger sein.
Herausgekommen ist erst einmal ein handfester Konflikt auf der Insel selbst, der deutlich gemacht hat, dass Europaphobie alleine noch kein politisches Konzept ist. Bis heute kämpft Premierministerin Theresa May bei jedem Schritt der Brexit-Verhandlungen um Zustimmung. Wer allerdings darauf gesetzt hatte, dass die Briten mit ein wenig Abstand zum Referendum und angesichts der Diskussionen, die dann endlich eher mit Fakten als Emotionen geführt wurden, sich eines Besseren besinnen, lag wieder einmal falsch. Dass da der Wunsch einmal mehr Vater des Gedanken war, belegen die jüngsten Regionalwahlen. Ukip, die Treiber des Brexit, versanken zwar in der Versenkung. Was in gewissem Sinn folgerichtig war, denn die große selbst gesetzte Mission war schließlich erfüllt. Aber Mays Tories wurden nicht, wie vielfach vorausgesagt, abgestraft, was sie angesichts der Umstände sogar als Zustimmung verbuchen konnten.
Womöglich erklärt sich vor diesem Hintergrund auch die jüngste Äußerung von Außenminister Boris Johnson, der ein Scheitern der Verhandlungen mit der EU nicht mehr ausschloss. Das wäre dann die härteste aller Brexit-Varianten. Dass sich der Brexit-Befürworter ein Vorbild an Trumps „Verhandlungs"-Stil nimmt, lässt ahnen, wie sich der Tonfall in den weiteren Verhandlungen ändern wird.
Johnson schließt Scheitern nicht aus
Der „heilsame Schock" hat im Rest-Europa der 27 Staaten nur wenig spürbare Wirkung gezeigt. Die sichtbarste ist vielleicht der nächste Schritte zu einer Verteidigungsunion, die zeigen sollte, dass man sich in „Europa-27" sehr wohl einigen kann. Tatsächlich stand dabei London eher auf der Bremse. Aber das Leben der Menschen ändert sich dadurch nicht wirklich. Mit einigen Verständigungen im Sozialbereich gibt es tatsächlich Fortschritte. Aber ein grundsätzliches Umdenken der bisherigen Fiskal- und Wirtschaftspolitik etwa hin zu einem sozialen Europa ist nicht ernsthaft in Sicht. Dabei wäre das insbesondere angesichts der nach wie vor hohen Jugendarbeitslosigkeit zwingend geboten, um Vertrauen zurückzugewinnen. Auch Macrons Vorschläge zu einer Bildungsunion harren auf Antwort. In beiden Fällen geht es um die Zukunft des alten Kontinents.
Dass die Wirtschaft ungewisse Rahmenbedingungen verabscheut, ist kein Geheimnis. Einige Auswirkungen sind bereits spürbar, auf beiden Seiten. Aber unklare Verhältnisse sind kein Investitionsanreiz. Und was für „die Wirtschaft" gilt, gilt erst recht für die Menschen, Europäer auf der Insel und Briten auf dem Festland. Bisherige Selbstverständlichkeiten sind mit Fragezeichen versehen.
Europa steht inzwischen noch vor zusätzlichen erheblichen Herausforderungen: Trump, Erdogan, Putin, der Nahe Osten, China, das „vergessene" Afrika, alle stehen alleine schon jede für sich für ein massives Problem. Da wirkt das Gezerre, welchen Brexit es letztlich geben soll, gelegentlich etwas nebensächlich. Tatsächlich aber ist dieser Brexit ein echter Lackmustest, zu was „die Europäer", Briten inklusive, fähig, in der Lage und willens sind.
Zwei Jahre nach dem Brexit-Votum ist ein Jahr vor der nächsten Europawahl. Das kann wie eine drohende Belastung klingen, aber auch wie eine große Chance. Derzeit kann man aber kaum den Eindruck gewinnen, dass das in den EU-Hauptstädten als solche wahrgenommen und behandelt wird.