In Deutschland leben mehr als 100.000 Briten. Als EU-Bürger im Ausland benötigen sie keine Aufenthaltserlaubnis. Durch den Brexit könnte sich vieles ändern, fürchten Kris Garfitt und David Polkinhorn, Engländer, die im Saarland leben.
Europäische Reisende bitte rechts, Nicht-EU-Staatsbürger bitte links einordnen. In weißen Lettern auf blauem Grund ist diese Anweisung am Frankfurter Flughafen nicht zu übersehen. Kris Garfitt ordnet sich, wie alle seine Kollegen, in der EU-Schlange ein und darf ohne größere Kontrollen nach Deutschland einreisen. Garfitt, eine 26-jährige Frohnatur mit blonden Locken, arbeitet seit September 2016 als Posaunist bei der Deutschen Radiophilharmonie in Saarbrücken. Als Orchestermusiker ist er nicht selten auf Dienstreisen außerhalb der EU. Welche Probleme dabei durch den EU-Austritt seiner Heimat im kommenden Jahr auf ihn zukommen werden, weiß er noch nicht.
November 2016. Kris Garfitt ist seit gerade mal zwei Monaten in Saarbrücken, als die Entscheidung der Briten über den EU-Austritt ansteht. Er reist nach London und stimmt gegen den Brexit. An einen Austritt glaubt kaum einer. Kris Garfitt ist zuversichtlich, wie auch sein Onkel daheim in Sheffield, mit dem er telefoniert. „Wir waren uns alle so dermaßen sicher, dass die Wahl pro EU ausfallen würde, dass er spaßeshalber zum Buchmacher ging und 50 Pfund auf den Brexit setzte", erzählt Garfitt. Sollte es unerwartet doch schiefgehen mit dem Verbleib in der EU, würde wenigstens ein satter Gewinn als Trost bleiben. Tags darauf, als das Ergebnis ins Haus flatterte, hatte Onkel Garfitt 1000 Pfund mehr auf dem Konto – und sein Neffe ein Problem.
Zum Spaß auf den Brexit gewettet
„Was nun passiert, wissen wir alle nicht. Aber wir haben schon 2016 erste Auswirkungen gespürt", sagt Garfitt. „Mein Rückflug am selben Abend von London nach Deutschland hatte drei Stunden Verspätung und ich dachte: Na toll, schon gehen die Probleme los." Neben dieser Anekdote, die er mit Augenzwinkern erzählt, gab es ein tatsächliches Problem. Zum Zeitpunkt der Abstimmung lebte er noch in einer WG. 300 Euro kostete die Miete, umgerechnet 230 Pfund, die der Vermieter von Garfitts Konto einzog. Doch nach der Entscheidung für den EU-Austritt sackte die britische Währung schlagartig ab. Der Wechselkurs war im Keller, weshalb die Miete von einem Tag auf den anderen auf 270 Pfund hochschnellte. „40 Pfund mehr und das nur wegen der veränderten Kurse", erinnert sich Garfitt.
Was es bedeutet, kein EU-Mitglied zu sein, sieht er an seiner Freundin. Sie ist Koreanerin, arbeitete in Saarbrücken mit einem Zeitvertrag. Als der auslief, musste sie schnell handeln. Innerhalb von drei Wochen brauchte sie einen neuen Job, sonst hätte Sie zurück nach Korea gemusst. Sie fand eine Stelle in Cottbus – ebenfalls befristet auf ein Jahr. Solche Probleme dürfte Kris Garfitt dank seines unbefristeten Arbeitsvertrags zwar nicht bekommen, die Unsicherheit aber bleibt.
„Vor allem die Tatsache, dass ich oft in andere Länder reise, macht mir Sorgen", sagt er. „Ich nehme gern an Musikwettbewerben teil, die sind in Frankreich, Skandinavien und anderen Ländern. Ich weiß noch nicht, ob ich in Zukunft ein Visum für jede dieser Reisen beantragen muss."
Und ein Visum zu beantragen kann für einen Briten schwieriger sein, sagt David Polkinhorn. Der 39-Jährige aus Cornwall ist Kris Garfitts Kollege, aber schon viel länger im Saarland. 2003 bekam er seine Stelle. Heute ist er im saarländischen Homburg längst heimisch geworden. „Wir Briten haben keinen Personalausweis. Das bedeutet, wenn wir ein Visum beantragen, geben wir unseren Pass ab und können uns nicht mehr ausweisen." Deshalb besitzt er zwei britische Pässe. Wer das nicht tut, ist künftig als Nicht-EU-Ausländer ohne Ausweisdokument, wenn sein Pass gerade bei einer Visumsstelle ist.
„Ich würde mich über Informationen freuen"
Polkinhorn hofft deshalb, dass es Grundsatzregelungen zwischen der EU und Großbritannien geben wird. „Wir alle wissen nicht, wie es sein wird. Wir haben auch von der Botschaft bislang keine Informationen bekommen", sagt er. „Ich hoffe aber, dass wir eine ähnliche Regelung bekommen werden, wie sie zwischen der EU und Norwegen besteht, wo es ja gute Verbindungen gibt." Dass es schwieriger werden dürfte, zeigt schon die bisherige Regelung für EU-Ausländer. „Ich habe keine Arbeitserlaubnis, mit meinem EU-Pass bewege ich mich in Deutschland ganz normal", sagt Polkinhorn. „Ich musste vor Jahren nur einmal beim Ausländeramt mitteilen, dass ich jetzt hier bin."
Zwei Jahre nach der Brexit-Abstimmung rückt der Stichtag im Jahr 2019 nun immer näher. Und die Engländer im Saarland müssen weiter abwarten, was auf sie zukommt.
„Natürlich", gesteht David Polkinhorn, „je näher der Brexit kommt, desto unsicherer werden wir. Ich würde mich freuen, wenn wir mal ein paar Informationen aus England bekommen würden." An der Integration der Briten im Saarland dürfte ein Verbleib zumindest im Falle von Kris Garfitt und David Polkinhorn zumindest nicht scheitern. Polkinhorn hat ein deutsches Konto und einen deutschen Führerschein, „den ich dann vermutlich in einen britischen Führerschein umtauschen müsste", wie er sagt. Vor wenigen Wochen ist der 39-jährige Tuba-Spieler Vater geworden. Sein erstes Kind ist in Homburg geboren und besitzt dadurch automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. „Mag sein, dass diese Tatsache alles einfacher für mich macht", sagt er. Seine Frau ist Russin. Sie hat ohnehin eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis. „Ich hoffe, dass meine Arbeitserlaubnis pro forma wird. Hier im Saarland ist mein Lebensmittelpunkt." Missen will er das Land auf keinen Fall mehr: „Ich liebe diese Lebensart hier im Saarland. Die Menschen sind nett, es ist ein zweites Zuhause geworden." Bald komme er an den Punkt, an dem er länger im Saarland lebt als in England.
Davon ist Kris Garfitt noch weit entfernt: „Was passiert, wenn Theresa May sagen würde: Wer nicht fünf Jahre in Großbritannien war, muss es verlassen?", fragt er. „Das wird mit Sicherheit nicht passieren, aber rein hypothetisch: Dann würde das die EU genauso machen und ich bin seit 2015 hier." Die Unsicherheit bleibt also bei den Briten im Saarland. Und sie wird weiter bestehen – mindestens bis zu dem Tag, an dem endlich Klarheit darüber herrscht, wie genau der Brexit vonstattengehen wird. Eines dürfte schon jetzt klar sein. An der Schlange am Flughafen werden Kris Garfitt und David Polkinhorn ihre Kollegen in Zukunft bis zur Abfertigung der Einreise verlassen müssen. Für sie geht es dann zur Nicht-EU-Einreise.