Politiker und Manager sind in Aufruhr. Und die 15.000 Briten in Berlin und Brandenburg? Die sind recht entspannt, auch die Gewerbetreibenden. Wie zum Beispiel Buchladen-Inhaber Paul Gurner.
Paul Gurner betreibt im Berliner „In-Bezirk" Prenzlauer Berg den Bücherladen „Saint Georges Bookshop". „Für uns ist der Brexit kein Thema." Das habe gleich mehrere Gründe: „Wir verstehen uns als internationaler Buchladen, bei mir arbeiten drei Neuseeländer, ein Deutscher und ich als Brite. Da versteht es sich ja irgendwie von selbst, dass wir gegen den Brexit sind und dem Thema keinerlei Raum geben wollen. Wir verstehen uns als unpolitischer Bücherladen, der englischsprachige Literatur aus der ganzen Welt verkauft." Deshalb sei der Brexit wohl auch für seine Kunden kein Thema. „Als die Entscheidung damals fiel, haben ein paar Leute gefragt, wie ich das sehe. Aber allen war wohl sehr schnell klar: Ich bin Europäer aus Überzeugung." Seitdem sei Ruhe. Mehr mag Gurner zum Thema Brexit ohnehin nicht sagen. Auch dazu, wie sich die Preise für die Beschaffung englischer Literatur von der Insel seit dem Referendum verändert haben, kommt ein trockenes „no comment." Fest steht jedenfalls: Die Preise für Waren aus Großbritannien haben sich seit der Entscheidung für den EU-Austritt um gut fünf Prozent verteuert.
Höhere Kosten – dieses Problem kennen Alexander Hamilton und sein Team nicht, auch sie sind mit Gedrucktem befasst. Gerade hat er in Berlin Neukölln die dritte Filiale seines „Book Nook" eröffnet. „Book Nook" könnte man als Bücherecke übersetzen. Und genau das will Hamilton sein: Ein gemütlicher Laden, in dem man auf dem Sofa sitzt, Tee trinkt und gebrauchte Bücher kauft. Die kommen vor allem aus Berlin. „Der Brexit ist deshalb auch für uns kein Thema. Wir sprechen nicht darüber." Auch die Kunden im Laden oder beim Teetrinken auf den Sofas redeten nicht darüber.
„Ich bin Europäer aus Überzeugung"
Ortswechsel, wenn auch nicht weit weg: Ebenfalls in Neukölln betreibt Dale Darr den Laden „Broken English". Hier gibt es englische Lebensmittel und Präsente. Schon im Schaufenster begrüßt ein Porträt der Queen die Kunden, Kaufpreis: 20 Euro. Ein solches Porträt ist auf der Insel ein beliebtes Präsent für Geburtstage oder Partys. Im Laden selber gibt es alles, was das Herz von Großbritannien-Fans höher schlagen lässt, selbst Dutzende Sorten englischer Orangenmarmelade und Süßigkeiten, gefüllt mit Whisky oder Pfefferminzcreme. Wer mag, kann auch einen Union Jack, die englische Fahne, kaufen. Wer das „Broken English" betritt, soll sich eben sofort „very british" fühlen. Um das Thema Brexit muss sich Darr dennoch keine Gedanken machen. Aus Altersgründen hat sie bereits eine Filiale ihres Geschäftes geschlossen, die andere in Neukölln folgt im nächsten Jahr. Eigentlich eine traurige Sache, wie auch ein Mitarbeiter findet: „Damit geht eine mehr als 20jährige britische Erfolgsgeschichte in Berlin zu Ende." Wenn das „Broken English" im Frühjahr nächsten Jahres seine Türen zum letzten Mal öffnet, dürften die konkreten Folgen des Brexits zumindest für Dale Darr noch nicht zu spüren sein. Und auch abgesehen vom Geschäftlichen hat sie sich rechtzeitig abgesichert: Einen deutschen Pass besitze Dale Darr bereits seit vielen Jahren.
Derweil boomt der Tourismus auf der Insel. Sabine Kalkmann vom britischen Tourismuswerber „VisitBritain": „Die Tourismuszahlen boomen und brechen immer neue Rekorde." Ursache dafür sei vor allem der schwache Kurs des britischen Pfunds. „Wer zu uns kommt, kann sich im Moment einfach eine Menge mehr leisten." Kostete ein britisches Pfund vor knapp zwei Jahren noch 1,30 Euro, so liegt der Umtauschkurs heute nur noch bei etwas über 1,10 Euro. Kalkmann: „Das führt etwa dazu, dass London momentan förmlich von Touristen überschwemmt wird. Das ist absolut untypisch für normale Sommer. Früher kamen die Menschen im Frühjahr oder Herbst."
Das Pfund steht günstig für den London-Trip
Das muss nicht so bleiben. Bei Flugreisen und im Tourismus wird der Austritt Großbritanniens aus der EU zuallererst zu spüren sein. Vorsorglich schlagen Deutschlands Reisemanager und Politiker Alarm: „Ich halte es für denkbar, dass mit dem Ende der EU-Mitgliedschaft am 31. März 2019 die Vertragsgrundlage für den Flugverkehr zwischen dem Königreich und den EU-Staaten fehlt", sagte Anfang der Woche Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, auf einem Kundenforum des Reiseanbieters American Express. Das bedeutet, eine Fülle von Flugverbindungen aus den EU-Staaten nach Großbritannien könnten ersatzlos gestrichen werden. Davon wären vor allem Geschäftsleute betroffen, da der Anteil von Business-Reisenden gerade nach London extrem hoch ist. Bei Easyjet machen sie ein Drittel aller Passagiere aus.