Bei „Königsplätzchen – Die Hundekekserei" in Wilmersdorf kommen nicht nur die Vierbeiner auf ihre Kosten. Die Kekse, die Bäcker und Konditormeister Matthias Schellhorn für seine tierischen Kunden backt, sind aus Bio-Zutaten, die auch Zweibeinern schmecken.
King Kalle hält Hof in Wilmersdorf. Mit Thron, rotem Teppich und bei repräsentativen Terminen auch mit Umhang und Krone. Im Alltagsgeschäft hält es der royale Rauhaardackel allerdings eher schlicht: Er trägt Halsband und Dreiecktuch, und sein Kumpel Richard Löwenherz, genannt Ricky, leistet ihm Gesellschaft, wenn ihr Herrchen Matthias Schellhorn arbeitet. Der mit rotem Samt ausgekleidete und goldfarben lackierte Königsthron steht zudem höchst bürgerlich, aber auf Maß eingepasst, im Durchgang vom Ladengeschäft zur Backstube von „Königsplätzchen – Die Hundekekserei".
Hundekekse – was für ein Quatsch ist das denn? Vegetarisch und vegan? Schnickschnack für überkandidelte Hundehalter? So mag es anmuten, zumal Matthias Schellhorn mit theatergleichem Schaufenster, Facebook- und Instagram-Accounts seiner beiden Hunde, auf seiner Website und in Blog-Postings nichts auslässt, um die Geschichte von King Kalle mit Spiel- und Erzählfreude zu inszenieren.
„Ich habe dem Hund einiges zu verdanken"
Doch die Geschichte ist zunächst einmal eine bewegende. Der 47-Jährige ist Bäcker und Konditormeister, arbeitete lange Jahre ausschließlich für Menschen. Er wurde 2009 auf dem Weg zur Arbeit Opfer eines Überfalls. Danach traute er sich kaum noch aus dem Haus, vor allem nicht in der Dunkelheit. Ende 2012 erkrankte seine Mutter Erika unheilbar an Krebs. Ihre Wünsche, im eigenen Haus zu bleiben und ihren Dackel Kalle durch Matthias Schellhorn und seine Schwester gut versorgt zu wissen, erfüllten die Geschwister. Und wie! Als die Mutter sich selbst nicht mehr mit Kalle beschäftigen konnte, aber an seinem Leben teilhaben sollte, richtete Schellhorn eine Facebook-Gruppe ein. Zwischen Schellhorn und Kalle war es wahrlich keine Liebe auf den ersten Blick: „Der Hund war das Ein und Alles meiner Mutter", erinnert er sich. „Ich habe den regelrecht gehasst." Der Hund ließ ihm aber in anderer Hinsicht keine Wahl – er musste mit Kalle hinausgehen, egal zu welcher Tageszeit und ohne lange zu fackeln. Ehefrau Iris wusste rasch Bescheid, dass da ein besonderes Ding lief. „Meine Frau hat nach kurzer Zeit gesagt: ‚Ich sehe doch, ihr zwei seid ein Herz und eine Seele. Geh zu deiner Mutter und sag ihr, dass du den Hund nimmst.‘" So geschah es. Kalle trug sicher seinen ganz eigenen Teil dazu bei, Schellhorn über den Verlust der Mutter im Januar 2013 hinwegzutrösten. „Ich habe dem Hund einiges zu verdanken."
Vom Hundebesitzer zum Hundekeksbäcker brauchte es noch einige weitere Schritte. Denn mit Kalle kamen die Nahrungsmittel-Allergien ins Haus – unter anderem auf beinah alle Sorten Fleisch. „Es gab auch keine Leckerli, die ich ihm hätte geben können. Überall waren Unmengen von Zusatzstoffen drin", erinnert sich Schellhorn. „Da habe ich mir gedacht: Das kannst du selbst und das kannst du besser." Der Profi experimentierte mit Plätzchen aus Reismehl und anderen Bio-Zutaten herum. Die gefielen nicht nur Kalle. Auch die Facebook-Freunde wollten bald gern davon für ihre Vierbeiner abhaben. „Ich hatte mir gedacht, das machst du in der Küche nebenbei", erzählt Schellhorn. Falsch gedacht. Wer Tiernahrung herstellen will, muss strenge Auflagen erfüllen sowie dem Veterinäramt genaue Zutatenlisten zur Verfügung stellen und jede neue Sorte vor der Produktion ins Labor schicken. Damit niemand auf die Idee käme, etwa – für Hunde giftige – Schokoladen-Kekse zu fabrizieren. „Die Kekse sind so gründlich geprüft wie kein Lebensmittel für Menschen", sagt Schellhorn nachdenklich. 2015 eröffnete er „Königsplätzchen", sein kleines Ladengeschäft mit Backstube, nahe dem Rüdesheimer Platz.
Geschmäcker sind auch bei Hunden verschieden
Einer der „Königsplätzchen"-Klassiker ist der knochenförmige „Kallebanana"-Keks. Bananen, Äpfel, Dinkelvollkornmehl, Haferflocken, ein bisschen Olivenöl und Salz sind darin enthalten. Sonst nichts. Der Teig wird in einer Knetmaschine geknetet, in einer „handbetrieben Ausrollmaschine aus den 60er-Jahren, die es so nicht mehr gibt," ausgewalzt, mit „ganz normalen" Plätzchenformen von Hand ausgestochen – in Dackel-, Knochen-, Herz- oder anderen Formen, die Schellhorn gefallen. In zwei Öfen werden sie abgebacken – und fertig. Ich beiße in einen Keks hinein. Er ist fest und trocken, erstaunlich bananig. „Mit etwas Honig wäre der für Menschen prima", sage ich. „Ich verrate Ihnen was: Ich esse die gern warm mit Nussnougatcreme", gesteht Schellhorn lachend. Auf Honig verzichtet er wegen der Kunden, die ihre Hunde vegan ernähren. Stattdessen verwendet er Agavendicksaft. Unter den 14 Standardsorten, von denen Schellhorn jeden Tag zwei bis drei produziert, sind zwei glutenfreie und einige „Funktionskekse": zur Zahnreinigung, für den frischen Atem, fürs Clicker-Training bei der Hundeerziehung oder besonders kleine für Welpen. „Hunde werden immer allergischer aus denselben Gründen wie Menschen", erzählt Schellhorn. „Es liegt oft am schlechten Futter." Die „Königsplätzchen" erfüllen zwar auch die Wünsche der Besitzer, sind aber vom Hund aus gedacht. Nur was den Vierbeinern schmeckt, wird aus Bio-Zutaten gebacken und kostet im Verkauf 2,99 Euro bis 4,39 Euro je 100 Gramm.
Damit es Kalle nicht langweilig wird, hat er seit zwei Jahren Gesellschaft – Richard Löwenherz vom Butzelwald. Ein schwarzer Rauhhaardackel mit dem charakteristischen Altherrenbart. Kalle ist stolze elf Jahre alt und hat, wie es dem König gebührt, einige repräsentative Pflichten. Er ist Botschafter des Vereins „Tierisch geborgen" in Magdeburg und Unterstützer der „Berliner Tiertafel". Jungspund Ricky hält dagegen Kalle und Herrchen auf Trab. Mit ihm geht Schellhorn auch zweimal wöchentlich zehn Kilometer laufen. Das käme für King Kalle nicht infrage. Er erhielt beim „Lichtenrader Dackelrennen" bereits anno 2007 als „langsamster Dackel" einen eigenen Pokal. „Mit Ricky rede ich beim Laufen", sagt der passionierte Langstreckenläufer Schellhorn. Und schiebt leise nach: „Ich glaube, der Hund weiß mehr über mich als meine Frau."
Kalle und Ricky würden ihr Herrchen unüberhörbar so energisch verteidigen wie ihr Revier. Unmissverständlich schallt uns ihr Gebell entgegen, als wir die Backstube im hinteren Ladenteil betreten wollen. Beinah täglich steht Schellhorn dort; montags und morgens ist fürs Publikum geschlossen. „Die Kekse dürfen ja nicht vergaren, wenn ich vorne einen Kunden zu einem Regenmäntelchen berate." Etwas Zubehör und Trainingsspielzeuge wie „Zergel" oder „Schnupperkugeln" gibt es bei „Königsplätzchen" ebenfalls zu kaufen. Die Kunden kennen Kalle, Ricky und den „Plätzchenprinzen", wie Schellhorn sich nennt, meist aus dem Internet; der Großteil des Verkaufs läuft online.
Drei Stunden täglich verbringt Schellhorn mit den diversen Facebook-Auftritten und der Pflege des Onlineshops. Er postet in den Social Media, schreibt Blogposts und verabschiedet die Fangemeinde täglich mit einem gereimten Abendgruß. Aber nur wer in Wilmersdorf persönlich vorbeikommt, kann Hunde und Herrchen so richtig und live kennenlernen.
Der Fotograf trifft etwas später ein. Auch er wird gleich mit Keksen von der Etagere auf dem Ladentresen versorgt. Er hatte als ausgewiesener Feinschmecker-Fotograf reklamiert, anders als bei einem Restaurantbesuch, dieses Mal gar nichts zu probieren zu bekommen. Weit gefehlt! Er erhält gleich einen „Kalleschnüff"-Keks – eine Art Kräuter-Grissini aus Dinkel, mit Olivenöl und „mit Hefe gelockert", wie Schellhorn verrät. Dieser herzhaft-würzige Knusperkeks würde gut zu einem Bierchen passen. Wir könnten es nicht schöner sagen als Schellhorns Sohn: „Eine Schüssel Tzatziki dazu, und der Abend ist gerettet."
Bei den „Muttertagsherzen" müssen wir uns dagegen beeilen. Sie sind – so wie die Kürbiskekse, Marzipanmonde oder „Kalles Kracheier" – Saisonkekse. Das sommerliche Herz führt Apfel, Mohrrübe und Leinsamen im Dinkelmehlteig mit sich. Sie schmecken gut – und sind so ausdrücklich gesund wie die ersten Öko-Kekse seinerzeit in den frühen 80er-Jahren. Die Geschmäcker sind darüber hinaus bei Hund wie Mensch individuell verschieden. Ein Kunde, der regelmäßig das Modell „Kallefrisch" mit Tofu und Tomate für seinen Hund kauft, nimmt für sich selbst immer „Kallelob"-Kekse, Kleeblätter mit Mandeln, mit. So lecker können – Achtung, Langbezeichnung – „Ergänzungsfuttermittel für die Tiere, die nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, aus rein pflanzlichen Zutaten" auch für Menschen sein.