Die beinamputierte italienische Rennikone Alessandro „Alex" Zanardi bestreitet am 24. und 25. August in Misano als Gastfahrer für BMW zwei Läufe im Deutschen Tourenwagen Masters.
Ich fühle mich wie ein Kind im Bonbonladen und freue mich riesig darauf, beim Heimrennen mit einem BMW M4 DTM an den Start zu gehen", sagt Alex Zanardi in einer Presse-Aussendung von BMW. „Als Motorsport-Fan hatte ich den Trip zum ersten DTM-Nachtrennen überhaupt eingeplant. Dass ich aber nun selbst im Cockpit sitzen und an den beiden Läufen teilnehmen werde, ist einfach nur fantastisch."
Der Münchener Autobauer wird dem beinamputierten 51-jährigen Italiener für die beiden Rennen einen „für seine Bedürfnisse modifizierten" Rennwagen zur Verfügung stellen. Der ehemalige Formel-1-Pilot (41 Grand Prix zwischen 1991 und 1999) und Williams-Teamkollege von Ralf Schumacher wisse, dass der Einsatz „eine der härtesten Herausforderungen ist, denen ich mich in meiner Rennsportkarriere je gestellt habe". Die drei DTM-Hersteller Mercedes, Audi und BMW können in diesem Jahr einen Gastfahrer außerhalb der Wertung einsetzen. Für seine zahlreichen Anhänger und Bewunderer in aller Welt konnte es für Alex Zanardi kaum eine schönere Nachricht geben.
Rückblick: Zanardi wurde bei einem Rennen der Indy-Car-Serie am 15. September 2001 auf dem Lausitzring in einen fürchterlichen Unfall verwickelt, nach welchem ihm beide Beine amputiert werden mussten. Zanardi, damals 35 Jahre alt, startete für das Team von Rennsportchef Mo Nunn, führte seit Langem wieder ein Rennen an. Nach dem letzten Boxenstopp kam es zu einer folgenschweren Kollision mit dem Wagen des Kanadiers Alex Tagliani. Bei der Boxenausfahrt geriet Zanardi auf den Grünstreifen, der die Rennstrecke von der Boxenausfahrt trennt, und schleuderte unkontrolliert auf die Strecke, wo er von Tagliani mit 320 km/h quasi „ins Herz" getroffen wurde. Sein Wagen wurde dabei in zwei Teile gerissen. Zanardi musste sieben Mal wiederbelebt werden und verlor beide Beine oberhalb der Knie. Nach seinem Unfall war der Italiener wochenlang im Unfallklinikum in Berlin behandelt worden. „Berlin ist die Stadt, in der mein Leben gerettet und in der ich ein zweites Mal geboren wurde", sagt der behinderte Extremsportler.
Seine menschliche Tragödie hielt den charismatischen Italiener jedoch nicht davon ab, sich ins Leben zurückzukämpfen und seine Karriere im Motorsport in den folgenden Jahren fortzusetzen. Nur zwei Jahre später, 2003, nahm der zähe Zanardi in einem auf ihn zugeschnittenen BMW 320i beim Saisonfinale der Tourenwagen-EM in Monza/Italien teil, 2004 bestritt er die komplette Saison im Tourenwagen. Zwischen 2005 und 2009 startete Zanardi für BMW in der Tourenwagen-WM mit einem speziell umgebauten Wagen, in dem er mit der Hand Gas geben und die Bremse mit der Prothese des rechten Beins bedienen konnte. Am 29. August 2005 gewann Zanardi als erster Körperbehinderter den WM-Lauf in Oschersleben. Zwei weitere Rennsiege feierte er 2006 in Istanbul und 2008 im tschechischen Brünn. 2015 bestritt er mit Timo Glock und Bruno Spengler das 24-Stunden-Rennen in Spa.
Seinen bisher letzten offiziellen Renn-einsatz hatte Zanardi am 16. Oktober 2016 als Gaststarter beim Saisonfinale der Italien GT Championship in Mugello. Dabei gab er sein Debüt im BMW M6 GT3 – und feierte im Sonntagsrennen einen sensationellen Sieg. Ab 2010 konzentrierte sich Zanardi auf seine zweite Leidenschaft, das Paracycling. Er startete in dieser Disziplin eine erfolgreiche Karriere. So eroberte er mit dem Handbike bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016 vier Goldmedaillen und insgesamt zehn WM-Titel.
„Ich habe schon immer davon geträumt"
Zudem nahm er auch schon am legendären Hawaii-Triathlon teil. In seiner Heimat ist der in Bologna geborene Südländer ein Superstar, der bewundert wird und seine Fans begeistert. Zanardis Lebensgeschichte ist eine Inspiration für viele Menschen. Für seinen möglichen DTM-Einsatz als Gastfahrer in Misano hat es laut Zanardi im April erste Gespräche mit BMW-Motorportchef Jens Marquardt gegeben. Zanardi brauchte eine Weile, um sich mit dem Gedanken als Gaststarter anzufreunden, gab dann aber grünes Licht. DTM-Rechteinhaber ITR, Mercedes und Audi stimmten seinem Vorhaben ebenfalls zu. „Die DTM gehört zu den Königsklassen im Motorsport, was Technologie, Speed und Wettbewerbsfähigkeit betrifft. Toll, dass BMW mir die Möglichkeit gibt, das Projekt anzugehen. Und das bereitet mir auf der anderen Seite auch gewisse Bedenken und sorgt dafür, dass ich diese Herausforderung mit einer Menge Respekt angehe", sagte der BMW-Werksfahrer und Markenbotschafter.
Um zu wissen, was auf ihn zukommt, war Zanardi bei den beiden Rennen auf dem Hungaroring in der Nähe von Budapest vor Ort. Dort lernte er die Abläufe, Strukturen und Prozesse in der DTM im Detail kennen. „Ich habe schon immer davon geträumt, meinem persönlichen Erinnerungsbuch an meine besten Momente im Motorsport das Kapitel DTM hinzuzufügen", betont Zanardi. „Meiner Meinung nach sind die Fahrer und die Arbeit der Teams in der DTM genauso gut wie in der Formel 1, absolute Spitzenklasse, besser geht es nicht", so seine Erkenntnis. Erstmals werde er mit der Hand die Bremse betätigen. „In der Vergangenheit habe ich für meine Beinprothese ein spezielles Bremspedal benutzt. Das wird der größte Unterschied sein zu meinen bisherigen Auftritten im Motorsport. Erste Tests hatte ich schon in einem BMW gemacht", gibt der Italiener preis.
BMW-Boss Jens Marquardt verspricht den Fans ein „großartiges Wochenende in Misano, auf das sie sich freuen können: das erste Gastspiel auf diesem Kurs, die ersten Nachtrennen der DTM überhaupt und Alex Zanardi, der als Lokalmatador das Seine dazu beitragen wird, diese Veranstaltung für alle zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Unsere Ingenieure arbeiten derzeit mit all ihrem Know-how und ihren Ideen daran, den BMW M4 DTM zielgerecht auf Alex Bedürfnisse umzubauen. Wir freuen uns, Alex in unserer BMW DTM-Familie dabeizuhaben."
Der DTM-Chef und Vorstandsvorsitzende der DTM-Dachorganisation ITR, Gerhard Berger, freut sich ebenfalls über seinen prominenten Gastfahrer. Der ehemalige Formel-1-Pilot (210 Grand Prix zwischen 1984 und 1997, zehn Siege) findet in der BMW-Pressemitteilung nur lobende Worte über den BMW-Markenbotschafter: „Seine ungemein beeindruckenden Leistungen als Athlet, aber auch sein unerschütterlicher Optimismus und seine Menschlichkeit ragen weit über den Sport hinaus und haben bereits ein Millionenpublikum weltweit inspiriert. Alex geht keine Aufgabe halbherzig an, im Gegenteil. So wie wir ihn kennen, wird er sich auch auf sein DTM-Gastspiel hochprofessionell und mit vollem Ehrgeiz vorbereiten, um vor heimischem Publikum eine Top-Leistung abzuliefern."
Der DTM-Renneinsatz in Misano ist ein weiterer Schritt auf dem Weg nach Daytona/USA, wo Alessandro „Alex" Zanardi im Januar 2019 beim legendären 24-Stunden-Rennen antreten wird.