Parteien, erst recht wenn sie Volksparteien sein wollen, geben sich alle Mühe, Volkes Wille und Meinung zu erfahren, um die „richtige" Politik zu machen. Neuerdings begibt man sich sogar auf „Zuhör-Tour", oder organisiert alle erdenklichen „Mitmach"-Formate. Woraus unschwer zu schließen ist, dass es mit dem Zuhören und Mitmachen Defizite gibt. Grundsätzlich ist es löblich, sich mal mit diesem Unbekannten namens Bürger, Wähler oder gar Mensch zu treffen. Obwohl man doch zuvor auch schon immer geglaubt hat zu wissen, was dieses merkwürdige Wesen denkt und will. Man hatte schließlich Umfragen. Mich hat lange die Diskrepanz gewundert zwischen dem, was mir Menschen erzählen, und dem, was sie gemäß Umfragen denken, bis zu einem Telefonat, das ich kürzlich belauschen durfte. Ein renommiertes Umfrageinstitut will die Meinung zum Umgang mit Flüchtlingen wissen. Darauf die Gegenfrage des Befragten: Wessen Umgang? Der Bundesregierung, der Landesregierung, der Kirchen, meiner Gemeinde…? Der Interviewer notiert: Keine Meinung. Und der Rest der Welt nimmt ein Ergebnis zur Kenntnis, das alles erforscht hat, nur nicht die Meinung des befragten Bürgers. Der sich im Übrigen, wie seine Rückfrage zeigt, sehr differenziert mit dieser gesellschaftlichen Frage zu beschäftigten scheint. Nur ist für Differenzierungen kein Platz in einer Multiple-Choice-gestützten Demokratie. Darf man sich da wundern, wenn viele Diskussionen so laufen, wie sie eben laufen: verkürzt, undifferenziert, und aufgebaut auf Umfragen, die nur die schnellen Antworten zu Reizworten liefern können? Was kein grundsätzlicher Einwand gegen Umfragen sein soll. Die können hilfreich sein, wenn man gelernt hat, richtig damit umzugehen. Die Bereitschaft dazu ist aber, sagen mir Verantwortliche aus zumindest einem der renommierten Institute, weder bei Politikern noch in den Medien besonders ausgeprägt. Wenn mit Zuhör-Touren und anderen Formaten deutlich wird, dass Umfragen und durchaus vorhandene differenzierte Meinungen nicht zwingend identisch sind, könnten sie an diesem Punkt zumindest mehr sein als nur Partei-Beteiligungs-Shows.
POLITIK
Foto: imago / Westend61
Multiple-choice-Meinung
Politik - Kolumne
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