Die Berliner Blockade 1948/49 führte die Welt erneut an den Rand eines Krieges. Doch Stalins Erpressungsversuch scheiterte dank der Luftbrücke, die die Berliner Bevölkerung elf Monate lang aus der Luft mit dem Nötigsten versorgte.
Wolfgang K. verstand die Welt nicht mehr: Gerade hatten die Sowjets im Zweiten Weltkrieg die von Hitler verordnete Hungerblockade Leningrads mit Hunderttausenden von Toten durchlitten. Und nun griffen sie in Friedenszeiten zum gleichen Mittel, zur Aushungerung von 2,2 Millionen West-Berlinern. Und das, um eines politischen Zieles willen. Unbegreiflich! Der damals 18-jährige Abiturient erinnert sich noch Jahrzehnte später lebhaft an die Zeit der Abschnürung West-Berlins von den westlichen Besatzungszonen.
Im Rückblick wissen wir: Die Berliner Blockade 1948/49 war der erste Höhepunkt des Kalten Krieges, in dem sich die Siegermächte von 1945 nun als ideologische und machtpolitische Gegner gegenüberstanden. Es ging nochmal gut. „Hurra, wir leben noch!" jubelt am Ende ein Riesenplakat auf dem Kühlergrill eines mit Blumen geschmückten Reisebusses, Fahrtziel Hannover. Und mit ihm jubeln Dutzende von Frauen und Männern, die sich mit strahlenden Gesichtern um den Bus gruppiert haben.
West-Berliner in Siegerpose. Man schrieb Donnerstag, 12. Mai 1949. Nach elf langen und belastenden Monaten war die Blockade überstanden. Ein Aufatmen ging durch die westliche Welt. Begonnen hatte das Drama in der Nacht zum 24. Juni 1948, als die Sowjets, neben Amerika, England und Frankreich die vierte Besatzungsmacht in Nachkriegsdeutschland und Herren des Ost-Sektor Berlins, den West-Berlinern erst das Licht abdrehten und dann alle Zufahrtswege nach Westdeutschland abschnitten.
Ziel Moskaus war es, das wie eine Insel inmitten der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gelegene West-Berlin von den Westzonen zu isolieren, die neue D-Mark-Währung von dort fernzuhalten und die Westalliierten zum Rückzug aus Berlin zu zwingen. Man werde die Westsektoren „wie eine abgeschnürte Warze" austrocknen, verkündete ein hoher Sowjetoffizier.
Kein Wunder, dass neben Betroffenheit auch Angst viele West-Berliner erfüllte. Angst davor, dass die drei Westalliierten trotz aller Versprechungen am Ende ihre Rechte in Berlin aufgeben könnten, erinnert sich Wolfgang Sch., der damals 16 Jahre alt war. Doch General Lucius D. Clay, der US-Militärgouverneur, wies ein Zurückweichen entschieden von sich: „Wenn Berlin fällt, folgt Westdeutschland als nächstes." Dies war ganz im Sinne der nach dem damaligen US-Präsidenten benannten „Truman-Doktrin", die bedrohten Staaten Hilfe bei der Abwehr des Kommunismus zusicherte.
So dachte auch Ernst Reuter (SPD), der gewählte Oberbürgermeister Berlins. Bei einer SPD-Kundgebung vor mehr als 70.000 Zuhörern warnte er am 24. Juni 1948 in einer flammenden Rede vor einer Politik des Nachgebens. Diese würde am Ende „die völlige Unterwerfung unter einen fremden Willen" zur Folge haben. „Dann gibt es nur noch Befehlen und Gehorchen. Und im Hintergrund stehen unsere alten Bekannten, die wir nur zu gut kennen: die Gefängnisse und die KZs."
Reuters Zuhörer verstanden. Die ehemaligen Konzentrationslager Hitlers in der Sowjetische Besatzungszone – etwa Buchenwald bei Weimar und Sachsenhausen nördlich Berlins – waren zwischenzeitlich zu Gefängnissen für Gegner des kommunistischen Regimes in Ost-Berlin und „unverbesserliche" Anhänger der freiheitlichen Demokratie umfunktioniert worden.
Die Zeit drängte. Große Not drohte den drei Westsektoren Berlins. Die Lebensmittelvorräte reichten nur für 36 Tage, Kohle gab es noch für 45 Tage. Die Beteiligten waren tief verbittert. US-Militärgouverneur Clay: „Es war einer der brutalsten Versuche der neueren Geschichte, eine Massenaushungerung als politisches Druckmittel zu benutzen." Überlegungen, die Blockade mit Panzern zu brechen, wurden verworfen. Stattdessen begegneten die Westmächte der sowjetischen Herausforderung mit einer beispiellosen technischen Großoffensive. Sie versorgten die eingeschlossene Millionenstadt mehr als ein Jahr lang aus der Luft. Ein enormes Vorhaben: Der Tagesverbrauch West-Berlins belief sich auf schätzungsweise 13.000 Tonnen Lebensmittel und Versorgungsgüter. Aus der ganzen Welt, aus Texas und Japan, aus Hawaii und Alaska, zogen Amerikaner und Engländer alle nur verfügbaren Transportmaschinen zusammen. Frankreich beteiligte sich wegen des Indochina-Krieges nur marginal an der „Luftbrücke".
13.000 Tonnen Lebensmittel täglich
Es war das größte Lufttransport-Unternehmen der Geschichte. Alle 90 Sekunden startete oder landete ein Flugzeug in Berlin. Von Juni 1948 bis September 1949 flogen amerikanische und britische Maschinen etwa 2,3 Millionen Tonnen Güter nach West-Berlin: Lebensmittel und Medikamente, Ersatzteile und Maschinen, dazu Riesenberge von Kohle. 31 Amerikaner, 41 Engländer und sechs Deutsche kamen bei Unglücksfällen während der „Luftbrücke" ums Leben.
Unvergessen, wie Oberbürgermeister Ernst Reuter am 9. September 1948 vor 350.000 Zuhörern um Beistand flehte: „Ihr Völker der Welt, Ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt! Völker der Welt, schaut auf Berlin! Und Volk von Berlin, sei dessen gewiss, diesen Kampf den wollen, diesen Kampf den werden wir gewinnen!" Doch noch dauerte der Blockade-Alltag an.
Hunger und Kälte waren allgegenwärtig, Strom- und Gassperren ebenfalls. Wer im Osten jenseits des Brandenburger Tores Lebensmittel einkaufte, wurde verachtet. Das galt als Verrat. Um Frachtgewicht zu sparen, wurden Milch und Kartoffeln, Gemüse und Obst nur als Trockenware geliefert. Fleisch gab es als Konserven oder tiefgefroren ohne Knochen. Die kleinste Grünfläche wurde zum Gemüsegarten. Kohle zum Heizen, und Kochen war besonders rar. Deshalb fiel auch so mancher Baum in Parks und auf Friedhöfen der Säge zum Opfer. Kuriositäten blieben nicht aus. Zahnärzte bohrten mit Fußbetrieb. Ohrstöpsel aus Watte gegen das ununterbrochene Brummen der Flugzeugmotoren waren in Drogerien gefragt wie nie. Doch alle wussten: Solange die Flugzeuge brummten, wurde West-Berlin versorgt.
Die Blockadezeit schweißte die Berliner zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Ein Frontstadtgefühl kam auf. Parteipolitischer Zwist zwischen den Demokraten unterblieb, Arbeitskonflikte wurden vermieden. Der Humor aber blieb den Berlinern treu. So tauften sie die westlichen Transportflugzeuge kurzerhand „Rosinenbomber", bewahrten die Ruhe und hofften „unbeirrt", wie ein Durchhalte-Song Ende 1948 versicherte, dass ihre „Insel wieder ein schönes Festland wird". Im Frühjahr 1949 war es soweit: Berlin blieb frei, wenn auch geteilt.
Knisternde Spannung stellt sich ein, liest man Presseberichte zur Berliner Blockade. Für die „Saarbrücker Zeitung" stand von Anbeginn fest, dass man dem Stalin’schen Zugriffsversuch widerstehen müsse. Auch die Berliner Freiheitskundgebung vom 9. September 1948 fand in der Zeitung breiten Widerhall. Besonders der Kommentar des Berliner SPD-Chefs Franz Neumann zu den Terroropfern von 1933 bis 1948: „Die KZs sind die gleichen", sagte er, nur seien an die Stelle des Hakenkreuzes in der Sowjetzone Hammer und Sichel getreten.
Mitte Oktober 1948 legte Karl Hoppe, der Fraktionschef der Kommunisten im saarländischen Landtag, sein Amt nieder und verließ die Partei. Er begründete dies mit der Deckung aller „Untaten" der Sowjets, auch der Blockade Berlins, durch die deutschen Kommunisten. Für ihn aber gebe es „keinen Sozialismus ohne Freiheit des Individuums".
Stalins Rechnung ging nicht auf. Das SZ-Schlusswort zur Blockade schrieb Peter Scholl-Latour: Die Schlacht um Berlin sei zwar gewonnen, in der Ostzone aber gingen die willkürlichen Verhaftungen und die Unterdrückung der Menschenrechte weiter. Den Menschen in der DDR standen nach dem Ende der Blockade noch 40 Jahre SED-Diktatur bevor – mit Volksaufstand (1953), Mauerbau (1961), Schussbefehl und Todesstreifen für jene, die in den freien Westen Deutschlands fliehen wollten.
Er werde den Amerikanern für ihre Hilfe ewig dankbar sein, gestand noch Jahrzehnte später ein Zeitzeuge der „Luftbrücke": „Denn sie haben mich vor der braunen Pest gerettet und dann vor der roten Diktatur geschützt."