Keine Einigung bei der Lebensmittelampel, aber Zucker, Fett und Salz sollen in deutschen Lebensmitteln reduziert werden. Darauf haben sich die Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern auf ihrer Konferenz in Saarbrücken geeinigt.
Auf der mittleren politischen Ebene scheint es derzeit harmonischer zuzugehen als auf Bundesebene. Weil bei der Konferenz der Verbraucherschutzminister der Länder (VSMK) in Saarbrücken die Beschlüsse noch schneller gefasst wurden als erwartet, bat man die wartenden Journalisten anderthalb Stunden früher zur Pressekonferenz, um die Ergebnisse zu verkünden: ein verbraucherfreundlicher Rechtsrahmen für Algorithmen im Internet, Künstliche Intelligenz, verbraucherfreundliche Kennzeichnungen an Lebensmitteln und Langlebigkeit von Produkten waren nur einige von zahlreichen Punkten während der Konferenz, die diesmal unter Vorsitz des Saarlandes stattfand.
Bundesministerin Katarina Barley (SPD) nutzte die Gelegenheit, noch mal auf den „großen Schritt" für Verbraucher hinzuweisen, den die Große Koalition kürzlich möglich gemacht habe: die Musterfeststellungsklage, kurz auch Sammelklage genannt. Die Opposition stimmte geschlossen dagegen, kritisierte Mängel im Gesetz und die große Eile, mit der es durch den Bundestag gepeitscht wurde. Der Grund für die Eile jedoch liegt darin begründet, dass Ende des Jahres die Schadenersatzansprüche vieler Kunden an Volkswagen wegen des Dieselskandals verjähren – so könnten sie sich noch zeitig unter dem Schutz dieses Gesetzes zusammentun und gemeinschaftlich über beauftragte Verbraucherverbände gegen VW klagen. „Damit wird nicht nur das Schadensersatzverfahren verkürzt, sondern so werden auch die Gerichtsverfahren effizienter, die Gerichte entlastet", so die Bundesverbraucherschutz- und -justizministerin. Grundsätzlich liegen die Umweltminister und Verbraucherschutzminister hier auf einer Linie: Der Verbraucher soll nicht der Leidtragende des Betruges sein.
Viele Regelungen nur sinnvoll auf EU-Ebene
Der Dieselskandal spielte damit eine kleine Nebenrolle in der Konferenz, weit wichtiger waren der deutschen Ministerriege jedoch andere Themen. Geplante Obsoleszenz zum Beispiel. Hinter diesem etwas sperrigen Begriff verbergen sich kaputte Haushaltsgeräte oder Drucker. Die sollen nach Einschätzung des saarländischen Umwelt- und Verbraucherschutzministers Reinhold Jost (SPD), gleichzeitig Vorsitzender der diesjährigen VSMK, nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen, damit sich der Konsument alsbald auch ein neues Gerät kauft. „Und dem wollen wir in Zukunft gesetzgeberisch entgegentreten", so Jost. Die Minister empfehlen daher, eine Informationspflicht darüber einzuführen, wie lange ein Produkt mindestens hält und welche Verschleißteile es besitzt. Langlebige Produkte wie technische Geräte sollen eine Gewährleistungsfrist von fünf Jahren erhalten, Sicherheits-Updates sollen verpflichtend werden, auch über die zweijährige Gewährleistungsfrist hinaus. „Außerdem sollte der Bund die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen zügig umsetzen", so Jost. Darin enthalten sind zum Beispiel Sicherheitsstandards für internetfähige Produkte, die für Verbraucher mit einem Gütesiegel kenntlich gemacht werden sollen. Zügig ja, aber ohne Hast: Denn solche Regelungen bedürfen der Einigung auf europäischer Ebene, um Wirksamkeit zu entfalten, denn die Hersteller von IT-Geräten in ganz Europa, die ihre Produkte in Deutschland verkaufen, werden dabei ein Wörtchen mitreden wollen.
Gleiches gilt für die Forderung der Minister, transparentere Kriterien bei Online-Algorithmen anzulegen. Eine Daten-Ethikkommission sollte nach Meinung von Bundesverbraucherschutzministerin Barley in der Lage sein, diese Kriterien zu beurteilen. Bislang berufen sich Unternehmen, die solche Algorithmen beispielsweise zur dynamischen Preisfestlegung bei Flugbuchungen oder zum genauen Angebotszuschnitt für bestimmte Kundengruppen nutzen, auf ihr Geschäftsgeheimnis. Aber die Verbraucherschützer „wollen nicht den Algorithmus – wir verstehen ihn sowieso nicht – sondern die Kriterien, die dazu führen", so Katarina Barley.
Wichtigstes Thema jedoch war die Ernährung: Vor allem allzu süßen, fettigen und salzigen Lebensmitteln soll es nun an den Kragen gehen. Seit Langem gibt es EU-Strategien, die Rezepturen dieser ungesunden Lebensmittel zu verändern. Jüngstes Beispiel: Um einer geplanten Zuckersteuer zu entgehen, hat Coca Cola seine Rezeptur in Großbritannien geändert und die zugesetzte Menge teilweise halbiert und stattdessen mit anderen Süßstoffen versetzt. In Deutschland hat sich diesbezüglich jedoch kaum etwas getan. „Das liegt an der sehr heterogenen, sehr mittelständisch geprägten Lebensmittelwirtschaft in Deutschland", so Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. „Wir müssen auch an den Bäcker an der Ecke denken." Der Prozess dauere daher sehr lange. Im Übrigen habe man bereits 2013 Maßnahmen gegen zu viele Fette eingeleitet. Das ließ Dirk Behrendt (Die Grünen), Justiz- und Verbraucherschutzsenator Berlins, nicht durchgehen. „Seit elf Jahren arbeitet die EU daran, diese Rezepturen zu verändern und hat dies auch in vielen Ländern bereits geschafft. In Deutschland jedoch gab es bisher keine politischen Maßnahmen dagegen." Nun soll die Bundesregierung nach Aufforderung der Verbraucherschutzminister verbindliche Zielmarken und einen konkreten Zeitplan zur Umsetzung der EU-Maßnahmen vorlegen. Dies gelte vor allem „angesichts einer hohen Zahl übergewichtiger Kinder" in Deutschland, so Minister Jost. Sie sollen zudem vor Lockwerbung ungesunder Lebensmittel geschützt werden. Geprüft werden soll hier, ob ein Verbot dieser Werbung ausgesprochen werden kann.
Zwischen Verboten und mündigem Bürger
Hinsichtlich einer möglichen Zuckersteuer in Deutschland gab es keine Einigung, auch eine Lebensmittelampel bleibt umstritten. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) favorisiert eine europäische Lösung und hat der Ampel bislang eine Absage erteilt. Die Verbraucherschutzminister und -senatoren insbesondere von Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen jedoch verlangen weiterhin eine „vereinfachte farbliche Visualisierung der Werte für Zucker, Fette und Salz" – und die Prüfung einer Zuckersteuer. Doch auch auf dieser Ebene schießt Bayern derzeit quer: Staatsminister Marcel Huber hält diese ordnungspolitischen Maßnahmen für nicht sinnvoll, sie stünden „dem Verbraucherleitbild des selbstbestimmten, mündigen Bürgers" entgegen und stellten daher „keinen Mehrwert für den Verbraucher" dar, so die Erklärung. Also auch auf Länderebene nicht alles eitel Sonnenschein. Jetzt aber sind erst einmal der Bundestag und die Regierung gefragt, die Forderungen der Minister und Senatoren zu prüfen und in Gesetze zu gießen.