Wo sonst die Länder versuchen, ihre Interessen gegen den Bund zu bündeln, überlagert der Streit um die Flüchtlingspolitik alle anderen Themen. Das hat auch Saar-Regierungschef Tobias Hans als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz erfahren müssen.
Als Tobias Hans (CDU) in die Fußstapfen von Annegret Kramp-Karrenbauer trat und saarländischer Ministerpräsident wurde, erbte er gleich eine Funktion mit, die ihn ins Zentrum der Berliner Politik führte. Damit geriet er auch unversehens mitten zwischen die Fronten der beiden Schwesterparteien CDU und CSU.
Turnusgemäß hat derzeit das Saarland den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz. Mit Hans ist im doppelten Sinn der Jüngste Chef der Landesväter und -mütter. Mit seinen 40 Jahren hat er gerade erst die berühmten einhundert Tage im Regierungsamt in der Saarbrücker Staatskanzlei bilanziert.
Mit der Leitung des Treffens der Landeschefs in Berlin stand Hans im Mittelpunkt der unionsinternen Gefechte. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) platzte mit einem zuvor unbekannten Positionspapier in die Sitzung der Länderchefs, um anschließend die verdutzten Kolleginnen und Kollegen sich selbst zu überlassen. „Da hat der Söder mal die ganze Party in Klump gehauen", bringt es ein Vertreter der Staatskanzlei aus Nordrhein-Westfalen auf den Punkt. Die Szene unterstrich geradezu symbolisch, wie gnadenlos die Bayern in diesen Tagen die Berliner Bühne bespielten.
Tobias Hans wollte eigentlich das von Kramp-Karrenbauer auf die Agenda gesetzte Thema weiter vorantreiben: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den Ländern (und Regionen). Zudem stand fast schon als Dauerbrenner die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems auf der Agenda. Doch die von nicht wenigen als „Phantom-Debatte" bezeichnete Auseinandersetzung um die Flüchtlingskrise entwickelte sich auf allen Ebenen zur echten Regierungskrise.
„Die ganze Party in Klump gehauen"
CSU-Innenminister Horst Seehofer gibt den Einpeitscher, er bringt die deutsche Asyl-Debatte auf bayrische Art in Gang, nachdem AfD und FDP in den Vorwochen mit der Forderung nach einem Bamf-Untersuchungsausschuss vorgelegt hatten. Vielleicht auch das ein Hintergrund für den beinharten CSU-Kurs, die sich bayrischen Landtagswahlkampf der Rechtsaußen und der liberalen Konkurrenz erwehren muss. Die Forderung der CSU: Menschen, die ihren Asylantrag in anderen EU-Ländern gestellt haben, sollen an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Das erkennt auch Tobias Hans als Rechtslage an. Doch diese Rechtslage muss auch durchgesetzt werden, und da beginnen die bekannten Probleme.
Tobias Hans ist sichtlich um Contenance bemüht, auch wenn man ihm anmerkt, dass er vor Wut platzen könnte. Seine Funktion als Vorsitzender Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist einfach umrissen. Er soll der Bundesregierung als Sprecher der Länder gegenübertreten und die Position der 16 Bundesländer vertreten. Der MPK-Vorsitz gilt immer für Jahr und endet im Oktober.
Der saarländische Vorsitz hat diesmal einige Besonderheiten zu bieten. Als Annegret Kramp-Karrenbauer als damalige Ministerpräsidentin die Kolleginnen und Kollegen zum Auftakt in Saarbrücken empfing, schien in Berlin nach der Bundestagswahl alles auf „Jamaika" hinauszulaufen. Sie verordnete der MPK das Thema von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch im Blick auf Koalitionsverhandlungen, in denen sie diesem Thema entsprechendes Gewicht verleihen wollte.
Danach kam alles anders. Statt Jamaika kam die Neuauflage der Groko und Kramp-Karrenbauer übergab nach ihrem Wechsel nach Berlin an die Spitze der CDU-Parteizentrale den Staffelstab an Tobias Hans. Der durfte zunächst die Runde der Länderchefs zu einer Sitzung in Brüssel begrüßen. Das Vorsitzland Saarland mit seiner stark europäischen Ausrichtung hatte dafür gesorgt, dass die Interessen der deutschen Länder Gehör finden, während man über den ersten europäischen Haushalt der Nach-Brexit-Ära verhandelt.
Die Hauptthemen (Agrar und Digitalisierung) hatten schließlich auch mit Schwerpunkt Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse (ländliche Regionen) zu tun. Es geht dabei, auch vor dem Hintergrund demografischer Entwicklung, aber auch der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, darum, die zunehmend konträre Entwicklung zwischen Ballungszentren und dem ländlichen Raum nicht weiter auseinanderzuklaffen zu lassen, sondern auch ländlichen Regionen mit geringer Finanzkraft eine gleichwertige Entwicklungschance durch angemessene Infrastruktur zu ermöglichen.
Die CSU dominiert zurzeit die Agenda
Der alles überlagernde Flüchtlingsstreit in der Union erstickte dieses Zukunftsthema. Hans bemühte sich, übrigens gemeinsam mit anderen Länderkollegen, die Verärgerung darüber im Zaum zu halten. In der Ministerpräsidentenkonferenz steht an seiner Seite für die „A-Länder" (SPD-geführte Länder) Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, ein Medienprofi und Schwergewicht in der SPD. Bei der gemeinsamen Abschluss- Pressekonferenz im Bundesrat schafft es Tobias Hans, das Heft in der Hand zu behalten, was in Anbetracht der Präsenz von Manuela Schwesig nicht ganz so einfach ist. Doch die hat offenbar Respekt vor ihm und dem Projekt „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse". Denn Schwesig hat diese Schwerpunktsetzung bereits mit Kramp-Karrenbauer fest vereinbart, aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Manuela Schwesig und Tobias Hans kommen aus Ländern, in denen sich diese Umbrüche und Strukturwandel besonders stark auswirken.
Auf Länderebene gibt es in vielen entscheidenden Fragen gemeinsame Interessen. Für den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz wäre es damit einfach, politische Erfolge zu verkünden. Aber er musste sich nun mal der CSU-dominierten Flüchtlings-Agenda stellen.
„Es ist gut, dass er (Bundesinnenminister Horst Seehofer, Anm. d. Red.) sich gleich den drängenden Problemen annimmt und einen Masterplan für Asylverfahren vorstellen will. Es ist wichtig, uns bundesweit einheitlich so aufzustellen, um in der Bewältigung der Flüchtlingsströme handlungsfähig zu bleiben und zugleich auf eine erfolgreiche Integration hinzuarbeiten." So spricht man, wenn das Terrain unsicher und voller Fallstricke ist.