Aus einem fast 90-jährigen Dornröschenschlaf wurde das Pariser Traditionshaus Paul Poiret jüngst auferweckt. Der Couturier hatte einst durch Abschaffung von Korsett und Petticoat ein neues Frauenbild geprägt. Seine orientalischen Vorlieben tauchen mit Kimono-Reminiszenzen in der ersten Revival-Kollektion auf.
In Luxemburg ist mit der Société Luvanis ein Unternehmen ansässig, das sein Geld in ziemlich ungewöhnliche Objekte investiert. Denn unter Leitung seines Geschäftsführers Arnaud de Lummen erwirbt es die Rechte an traditionsreichen, aber längst vom Markt verschwundenen Modehäusern, um sie anschließend mit Gewinn an höchstbietende Interessenten weltweit weiterzuverkaufen. So geschehen in den letzten Jahren beispielsweise bei der 1849 gegründeten Nobelkoffermarke Moynat durch den milliardenschweren Chef des Luxus-Konzerns LVMH Bernard Arnault oder bei Madeleine Vionnets 1911 etablierten Pariser-Fashion-Imperium durch den italienischen Marzotto-Konzern, der die Marke 2012 an die kasachisch-russische Unternehmerin Goga Ashkenazi weiter verhökert hatte.
Da Luvanis auch die Markenrechte am britisch-amerikanischen Fashion-Urgestein Charles James besitzt, den Christóbal Balenciaga einst als „weltbesten Couturier" bezeichnet hatte, dürfte es wohl nicht mehr lange dauern, bis dieses Label sein Comeback erleben wird. Doch vorab meldete sich Anfang März die Legende Paul Poiret durch eine mit Spannung erwartete Show auf der Pariser Fashion Week in der Mode-Glamour-Welt zurück. Einfach dürfte es wohl kaum werden, die DNA des Traditionshauses in die Moderne zu versetzen und schnell einen großen neuen Kundinnenstamm zu erwerben, wie es das Beispiel Schiaparelli in den vergangenen Saisons gelehrt hat. Die einstige Wiederbelebung der Luxusbrands Chanel durch Karl Lagerfeld oder Gucci durch Tom Ford kann man damit gar nicht recht vergleichen.
Überraschend war die Wahl der Designerin
Am Fehlen von Geld oder Professionalität wird das Projekt Paul Poiret jedenfalls kaum scheitern. Denn die Marke wurde von der steinreichen Besitzerin der südkoreanischen Shinsegae-Kaufhäuser Chung Yoo-Kyung erworben, die dank ihren mit den Pariser „Galeries Lafayette" vergleichbaren Luxus-Etablissements schon unzähligen europäischen Mode- und Beauty-Nobelmarken auf dem heimischen Markt zum Durchbruch verholfen hat – und nebenbei auch noch die Enkelin des Samsung-Gründers Lee Byung-chull ist. Für das operative Geschäft hat die Koreanerin die belgische Mode-Investorin Anne Chapelle verpflichtet, die mit ihrer Antwerpener Firma BVBA 32 schon lange als Geschäftsführerin und Mehrheitsaktionärin über die finanziellen Geschicke der Avantgarde-Brands Ann Demeulemeester und Haider Ackermann mit Argusaugen wacht.
Etwas überraschend, selbst für Insider, mag nur die von Chapelle verantwortete Besetzung des Designer-Chefpostens mit Yiqing Yin sein. Zwar hat die 1985 in Peking geborene und im Alter von vier Jahren nach Paris umgezogene Designerin schon einige Preise gewonnen und durfte mit ihrem 2011 gegründeten Label sogar an der Pariser Haute-Couture-Veranstaltung teilnehmen. Doch bei ihrer Aufgabe, dem 1958 gegründeten Maison Léonard neues kreatives Leben einzuhauchen, hatte sie zwischen 2014 und 2016 nur mäßigen Erfolg verbuchen können. Chapelle begründete ihre Entscheidung damit, dass es ihrer Meinung nach eine große Seelenverwandtschaft zwischen der Designerin und Paul Poiret gibt, weil bei beiden die Aufwertung der weiblichen Schönheit jeweils auf Höhe des zeitgemäßen Geschmacks im Mittelpunkt steht beziehungsweise gestanden habe.
Paul Poiret, am 20. April 1879 in Paris als Sohn eines Tuchhändlers geboren und später beim legendären Modeschöpfer Charles Frederick Worth seine Lehre absolvierend, entwickelte sich nach Gründung seines eigenen Salons 1903 in Windeseile zum einflussreichsten Couturier zu Beginn des 20. Jahrhunderts und war so etwas wie der Wegbereiter und Urvater für sämtliche modernen Fashion-Häuser. Noch bevor er 1906 die Damen vom Korsett befreite, hatte er sie drei Jahre zuvor schon vom Petticoat erlöst. Dass er sie allerdings dafür rund um die Knöchel mit seinem engen, bodenlangen „Humpelrock" der Bewegungsfreiheit beraubte, soll an dieser Stelle keineswegs verschwiegen werden. Er kann durchaus als Erfinder der Sackkleider, den gerade geschnittenen Roben ohne Taille, angesehen werden, obwohl das Verdienst eigentlich erst viel später Balenciaga zugesprochen wurde. Er selbst hatte diesen hoch geschnittenen, lässig fallenden Kleidern den Namen „La Vague" verliehen.
Als ab 1909 die Ballets Russes in Paris gastierten, ließ sich Poiret von dem bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Westeuropa bewunderten Orientalismus mitreißen und entwarf Kimonos, Kaftane, Turbane, Haremshosen, Hosenröcke oder Lampenschirmkleider (deren Saum mit Drahtreifen versteift war) in überwältigender Farbenpracht, Ornamentik und Opulenz. Ein Jahrzehnt vor Coco Chanel und deren Duft No. 5 ließ Poiret in einer eigenen Fabrik namens Parfums de Rosine die ersten Designerdüfte kreieren. Er expandierte Richtung Lifestyle, ließ in eigenen Ateliers Kunsthandwerk im Art-déco-Stil herstellen, das er anschließend in einer eigenen Inneneinrichtungs-Boutique zum Verkauf anbot.
Jede Menge Orientalismen
Zu Werbezwecken veranstaltete Poiret legendäre Kostümfeste (lud beispielsweise 1911 rund 300 Promis zu „1002 Nächten" ein). Seine Musen-Defilees werden als Vorläufer der Laufstege angesehen. Und er gilt als Erfinder des Lookbooks, weil er als erster Modeschöpfer Alben anfertigen ließ, die seine Modeillustrations-Entwürfe der Öffentlichkeit zeigten. Mit Buchhaltung hatte das Genie, das von den Zeitgenossen ehrfürchtig meist nur als „Le Magnifique" bezeichnet wurde, nichts am Hut. Daher schwebte das Damoklesschwert des Konkurses häufiger über all seinen Aktivitäten. Da das Bombastisch-Theatralische seiner Kreationen nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr gefragt waren, sondern nur noch schlichte Kleidung à la Chanel, verabschiedete sich Poiret schon bald aus seinem Unternehmen, das 1929 endgültig geschlossen wurde. Poiret zog sich in die Provence zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1944 in bitterer Armut lebte.
Bei ihrer ersten Kollektion für das neue Maison Paul Poiret, Herbst/Winter 2018/2019, scheint Yiqing Yin den sicheren Weg gewählt zu haben. Es gibt unter den 40 Entwürfen jede Menge Orientalismen und verschiedenste Kimono-Varianten. Die Silhouetten der Manschettenkleider, Plissee-Roben, Seidensatin-Wickelanzüge oder Deckenmäntel sind weit und fließend. Die Schuhe sehen aus wie moderne Schmuckstücke samt metallisch-schrägem Absatz.