Mit einem Jubiläumssieg, dem 50. Grand-Prix-Triumph, und der erneuten WM-Führung reiste Ferrari-Star Sebastian Vettel von Kanada nach Le Castellet. Nach 1990 gastiert die Formel 1 an diesem Sonntag erstmals wieder auf dem Circuit Paul Ricard in Südfrankreich.
Endlich! Sebastian Vettel hat es geschafft. Nach einer Durst-Strecke von zwei Monaten oder vier sieglosen Rennen hat der Ferrari-Star sein „goldenes Jubiläum" zelebriert. In Kanada gelang dem Heppenheimer der 50. Sieg in seiner Formel-1-Karriere. Das haben vor ihm nur Michael Schumacher (91), Lewis Hamilton (64) und Alain Prost (51) fertiggebracht. Mit diesem Triumph hat Vettel seinem Dauerrivalen Lewis Hamilton gleichzeitig die WM-Führung wieder entrissen. Mit einem Punkt Vorsprung auf den Mercedes-Weltmeister (121:120) führt der Hesse die Gesamtwertung nach sieben von 21 Saisonrennen an. Nach Siegen steht es 3:2 für den Deutschen.
Mit einer souveränen Vorstellung und einem makellosen, nie gefährdeten Start-/Ziel-Triumph feierte Vettel nach 2013 (im Red Bull) seinen zweiten Sieg in Montreal. Sein schärfster Konkurrent im WM-Kampf, Lewis Hamilton, wurde nur Fünfter. Teamkollege Valtteri Bottas holte als Zweiter die Kohlen für Mercedes aus dem Feuer, gefolgt vom Kanada-Dritten Max Verstappen im Red Bull. „Unglaublich, so ein Rennen zu haben, das war einfach perfekt. Die Fans werden eine Riesensause feiern", frohlockte Vettel. 14 Jahre hatte Ferrari auf einen Sieg in Kanada warten müssen. Michael Schumacher war 2004 der letzte Sieger des italienischen Renommier-Rennstalls auf dem Circuit Gilles Villeneuve.
„Es ist schade, dass Michael nicht dabei sein konnte"
„Dieser Ort bedeutet so viel für Ferrari. Nach so langer Zeit ohne Sieg habe ich die Leute hier gesehen, sie sind superglücklich", stellte Vettel fest. Und wir erlebten vor den TV-Kameras einen emotionalen Sebastian Vettel. „In den letzten Runden musste ich viel an Michael denken und an seinen letzten Sieg hier. Es ist schade, dass Michael nicht dabei sein konnte", so Vettel über sein Jugend-Idol. Auch der große Gilles Villeneuve, Kanadas Volksheld und Ferrari-Ikone, sei ihm in den Sinn gekommen: „Ferrari lebt auch nach all den Jahren, wir sind da und wir gewinnen. Ich bin unheimlich stolz, mehr und mehr Teil dieser Geschichte zu werden."
Weltmeister Lewis Hamilton hatte in Montreal ein ganz anderes Ziel. Der Mercedes-Pilot wollte mit Kanada-Rekordsieger Michael Schumacher gleichziehen. Sechsmal hat der Brite schon auf der Insel Notre Dame gewonnen. 2007, in seinem Formel-1-Premierejahr, feierte Hamilton in Kanada seinen ersten von bisher 64 F1-Siegen. „Ich liebe den Kurs, Montreal war immer gut zu mir", sagte Hamilton fast euphorisch im Vorfeld. Nach einem schwachen Rennen und Platz fünf war „ich einfach nur froh, dass ich ins Ziel gekommen bin", sagte er aufgrund seiner Motorprobleme. „Ich bin sehr dankbar, dass ich das heutige Rennen überhaupt beendet und ein paar Punkte (zehn, Anm. d. Red.) mitgenommen habe. Mir fehlte von Beginn an Leistung und mein Motor überhitzte. Platz fünf ist zwar nicht das stärkste Ergebnis, aber es hätte noch viel schlimmer kommen können", gibt Hamilton in der Mercedes-Pressemitteilung zu Protokoll. Weiter heißt es: „Ferrari hat etwas bessere Arbeit abgeliefert als wir und ein besseres Paket nach Kanada mitgebracht."
Ein Punkt Vorsprung auf Hamilton
Besser als für Hamilton lief es für Teamkollege Bottas. Doch trotz Platz zwei – bereits zum vierten Mal in dieser Saison – war der Finne nicht ganz zufrieden. „Zweiter ist nicht das Beste, wenn man gewinnen möchte", sagte er selbstkritisch. Und Bottas hatte eingesehen: „Mehr war nicht möglich." Im Rennen hat er immerhin das Maximum herausgeholt, machte aber gegen Sieger Vettel keinen Stich. Sein Rennen beschreibt der 28-Jährige im Pressetext so: „Wir haben alles versucht, aber ich glaube nicht, dass wir eine echte Chance hatten, um den Sieg mitzufahren. Ich hatte einen aufregenden Start, als ich meinen zweiten Platz so hart wie möglich verteidigen musste. Es war cooles Racing mit Max (Verstappen, Anm. d. Red.) in Kurve eins und zwei. Ich war Rad an Rad gegen ihn, und wir kämpften hart, aber alles blieb fair. Danach versuchte ich, Sebastian unter Druck zu setzen, aber das Auto war nicht schnell genug." Der Ferrari-Fahrer kontrollierte das Rennen von Anfang bis Ende. Mercedes-Oberaufseher Niki Lauda brachte es im ORF-Interview ohne Umschweife auf den Punkt. „Normalerweise ist Montreal ein Kurs, der unserem Auto und unserem Motor entgegenkommt. Aber wir haben erkennen müssen, dass Ferrari einen wesentlich besseren Job gemacht hat, mit Auto und mit Motor", so die glasklare Erkenntnis des Mercedes-„Gurus". Bedeutend weniger gnädig als sein Vorgesetzter ging Mercedes-Sportchef Toto Wolff mit dem Kanada-Ergebnis um. Der smarte 45-jährige Österreicher sprach im ORF ungewohnt markige und deftige Worte über seinen Rennstall. „Das ist echt ein scheiß Resultat für uns. Wir haben während des ganzen Wochenendes leichte Fehler reingehauen. Wir fallen überall zurück. Auf dieser Strecke hätten wir Punkte maximieren müssen und nicht Schadensbegrenzung betreiben. Das einzige Gefühl das ich habe, ist, dass wir jetzt aufwachen müssen", so die unmissverständlich eindringlichen Worte des „Ösis". Der „böse" Wol(f)f erläutert: „Man muss die richtige Balance finden zwischen aggressiver Weiterentwicklung und Zuverlässigkeit. Darin war das Team in der Vergangenheit sehr gut." Jetzt müsse jeder überlegen, „wie wir uns verbessern können", forderte ein angefressener Wolff. Ihn störe, dass „Ferrari in Kanada einfach das stärkere Auto war, stärker im Qualifying und stärker im Rennen. Und wir hatten nie eine echte Chance auf den Sieg." Und Wolff kündigte an: „Jetzt ist es notwendig, Konsequenzen zu ziehen. Da schauen wir intern." Peng! Der Schuss war ein Volltreffer mitten ins Herz der kompletten Mercedes-Mannschaft. Nach dieser öffentlich „bitteren Pille" ist Fakt: Bei dem Weltmeister-Team Mercedes schrillen die Alarmglocken. Sie werden die Mitarbeiter in den Werken Brackley (zuständig für das Chassis) und Brixworth (Motor) solange wachrütteln, bis der Noch-Branchenführer in der Konstrukteurs-WM (Mercedes 206:189 Ferrari) bereit ist, beim nächsten Rennen in Le Castellet zurückzuschlagen. Ein Sieg der Silberpfeile in Südfrankreich mit einem neuen Motor wäre dann keine Überraschung. Mercedes ist zwar mit einer Niederlage aus Kanada abgereist, aber Fakt ist auch: die Tage der Mercedes-Dominanz sind noch nicht vorbei.
Widmen wir uns noch dem diesmal „fairen Max". Der „Jung-Bulle" Verstappen war bis zum Kanada-Rennen nicht zu beneiden. Innerhalb eines Jahres wurde der Red-Bull-Pilot vom Überflieger zum Absturzkandidaten. Die Ergebnisse seiner Seuchen-Saison bis Kanada waren verheerend. Verstappens „Sünden"-Register. Australien: Dreher im Rennen, Sechster. Bahrain: Crash im Qualifying, Kollision mit Hamilton im Rennen, Ausfall. China: Verstappen schießt Vettel ab, Fünfter. Aserbaidschan: Ausfall. Spanien: Verstappen touchiert den Williams von Lance Stroll, verliert Frontflügelplatte, Ausfall. Monaco: Crash im dritten freien Training, Qualifying-Aus, Sart von hinten, wird aber mit einer furiosen Aufholjagd noch Neunter und kassiert zwei WM-Punkte. Verstappen stand in Monaco mit dem Rücken zur Wand. Erlöst nach demütigen Kritiken erlebte Verstappen dann in Montreal endlich ein sauberes Wochenende. Aber trotzdem zeigte der 20-Jährige noch immer, dass er ganz der Alte ist: Beim Start hätte er beinahe Valtteri Bottas kassiert und ließ von diesem nach kurzer Berührung erst ab, als es wirklich aussichtslos war. „Ich wollte nicht zu viel riskieren und musste mich dann mit Rang drei zufriedengeben", so sein Fazit im Interview mit „Sky".
Nach dem Rüffel in Monaco gab’s in Montreal Lob von „Bullen"-Boss Christian Horner für den zuvor ungestümen „fliegenden Holländer". Der Teamchef war zwar nicht überschwänglich, erkannte aber an, dass Verstappen „ein sehr starkes Wochenende hatte. Er war in jeder Sitzung schnell, hat ein gutes Qualifying (Dritter, Anm. d. Red.) und ein gutes Rennen abgeliefert. Das ist sehr gut für sein Selbstbewusstsein und hoffentlich ein Kickstart für die nächsten Rennen."
So schön das Rennen mit dem „goldenen Jubiläumssieg" für Vettel auch war, es war nach Barcelona, Monaco und jetzt Kanada der dritte Langweiler der Saison – wenn nicht sogar der ermüdendste Grand Prix der Saison, der nur wenig Unterhaltsames zu bieten hatte. Aufreger waren lediglich das versuchte Überholmanöver von Verstappen gegen Bottas nach dem Start und – wenn auch peinlich – das vorzeitige Schwenken der Zielflagge. Ein Vertreter des Motorsportvereins Montreal hatte nach einem Verständigungsfehler mit der Rennleitung dem kanadischen Supermodel Winnie Harlow die schwarz-weiß karierte Flagge zum Abwinken in die Hand gedrückt. Die 23-jährige Schönheit hatte schon nach der 69. Runde das Rennen abgewinkt und somit einen Umlauf früher – und sorgte für reichlich Verwirrung. Das Rennen wurde laut Reglement mit 68 statt 70 Runden gewertet. Am Ergebnis änderte sich zum Glück aber nichts, der „Winke"-Fauxpas ist dennoch ein bisschen peinlich.
„Hoffentlich ein Kickstart für die nächsten Rennen"
Nach zehn Jahren Pause ist die Formel 1 an diesem Wochenende wieder in Frankreich zu Gast. 2008 wurde zuletzt in Magny-Cours bei Nervers gefahren. Aber auch von diesem Kurs in der Einöde in Mittelfrankreich, im Nirgendwo, hat sich der Vierrad-Zirkus nach 18 Grand Prix verabschiedet und ist nach Le Castellet abgewandert. Dort, im Süden Frankreichs, rund 50 Kilometer südöstlich von Marseille, wurde 1990 letztmals ein F1-WM-Lauf auf der Rennstrecke Paul Ricard ausgefahren (Sieger Alain Prost/Ferrari). Seit der Premiere 1971 war es der 14. WM-Lauf in Le Castellet. Wegen der Fußball-WM (England gegen Panama) startet der achte Saisonlauf an diesem Sonntag erst um 16.10 Uhr (live/RTL) und nicht wie bei den übrigen europäischen Rennen um 15.10 Uhr. Mit dem Frankreich-GP (24. Juni) beginnt der Renn-Marathon: Fünf WM-Läufe in sechs Wochen (Österreich 1. Juli; England 8. Juli; Deutschland 22. Juli; Ungarn 29. Juli).