Ein Investor aus Hongkong will mit viel Geld den Berliner Viertligisten Viktoria Berlin nach oben führen. Die konkreten Bedingungen und Pläne liegen noch im Dunkeln, aber der Verein will das Projekt umsetzen.
Nur ein Mausklick – und die ganze Aufregung wäre gar nicht erst entstanden. Als ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle von Viktoria Berlin das E-Mail-Postfach öffnet und die Nachricht einer Chinesin findet, will er die Mail eigentlich schon in den Papierkorb verschieben. Zu abstrus klang das alles, was dort geschrieben war. Sie sei Tochter eines Unternehmers, schrieb die Chinesin, man sei auf der Suche nach einem Traditionsclub, der gut geführt ist und für seine gute Nachwuchsarbeit bekannt sei. Und ob denn Viktoria Berlin Interesse an einer finanziellen Förderung hätte.
Nach einem kurzen Zögern entschließt sich der Mitarbeiter, die Mail doch auszudrucken und den Chefs im Verein vorzulegen. Und dann nimmt alles seinen Lauf. Wenige Monate später ist der Tabellen-13. der Regionalliga Nordost deutschlandweit in aller Munde: Überall wird über die Nachricht, dass die Advantage Sports Union (ASU), ein Investor aus Hongkong, beim Nachfolgeclub des zweimaligen deutschen Meisters BFC Viktoria (1908 und 1911) einsteigt, diskutiert.
„Pumpen China-Milliardäre 90 Millionen in den Berliner Viertligisten", titelte die „Bild"-Zeitung einen Tag vor der offiziellen Bestätigung der Zusammenarbeit durch den Verein. „Seit die Meldung raus ist", verriet der Geschäftsführer Felix Sommer dem Magazin „11 Freunde", „mache ich im Prinzip 18-Stunden-Tage." Sein Telefon stand in den ersten Tagen kaum still, auch die Mitglieder drängten auf Erklärungen.
Mühsam versucht Sommer vor allem, die konkrete Summe von 90 Millionen Euro aus der Welt zu schaffen. Denn über die Höhe und Dauer des Investments sei noch gar nicht im Detail gesprochen worden, versichert Sommer. Dass es sich am Ende jedoch um einen großen Batzen Geld aus Fernost handeln wird, deutet auch er an: „Die ASU zielt mit ihrem Engagement nicht darauf ab, dauerhaft Dritte Liga zu spielen."
Dritte Liga nur Zwischenziel
Irgendwann wollen die Himmelblauen also mit den Platzhirschen der Hauptstadt, mit Union Berlin (Zweite Liga) oder gar Hertha BSC (1. Bundesliga), auf Augenhöhe sein. Der 2. Clubvorsitzende Harald Sielaff sieht sogar Parallelen zu zwei Champions-League-Clubs: „Mit Leipzig und Hoffenheim hat man an zwei guten Beispielen gesehen, was möglich ist, wenn jemand käme und langfristig plant."
Wer aber ist der mysteriöse Investor aus Fernost? Vorsitzender der ASU ist Alex Zheng, 50 Jahre alt, ein sportlich erscheinender Mann mit schulterlangen Haaren und einem sympathischen Lächeln. Er sei ein „höflicher, zurückhaltender Mensch", sagt Sommer über seinen neuen Geschäftspartner. Und Zheng ist steinreich. Mit seinem Hotelimperium Plateno Group mit 3.700 Objekten verdient der Unternehmer Milliarden. Im August öffnet in der Nähe des Flughafens Berlin-Schönefeld ein Hotel aus dieser Gruppe. Die Advantage Sports Union, hat sich auf die Vermarktung von Sportteams spezialisiert und besitzt bereits Mehrheitsanteile am amerikanischen Club Phoenix Rising sowie am französischen Erstligisten OGC Nizza.
OGC Nizza, das bis zu diesem Sommer vom neuen Dortmunder Coach Lucien Favre trainiert wurde, hat sich nach dem ASU-Einstieg zu einem der Top-Clubs in Frankreich entwickelt und ist trotz eines deutlich erhöhten Etats profitabel. Und warum jetzt Viktoria, ein deutscher Viertligist? „Wir haben uns natürlich auch gefragt: Warum ausgerechnet wir?", gibt Sommer zu. Ein Grund ist mit Sicherheit die seit 1889 bestehende Clubgeschichte. „Viktoria ist kein Retortenverein mit Klatschpublikum", betont der Jurist. „Wir feiern nächstes Jahr 130-Jähriges."
Das größte Faustpfand des Vereins sind jedoch die 70 im Spielbetrieb angeschlossenen Mannschaften – das ist deutschlandweit unerreicht. Darunter sind allein 48 Juniorenteams. Auch für den Nachwuchs müsse man die einmalige Chance, die sich gerade bietet, nutzen, erklärt Geschäftsführer Sommer. Man brauche eine hochklassige Herrenmannschaft, „sonst laufen uns im Jugendbereich die Talente weg. Unsere halbe U13 hat Angebote von Bundesligisten vorliegen."
Als Voraussetzung für einen Einstieg wird Viktoria seine 1. Männermannschaft aus dem Verein ausgliedern, damit die ASU hier entsprechende Anteile erwerben kann. Dann steht Geld zur Verfügung, mit dem die Mannschaft dringend verstärkt werden muss, soll der Aufstieg in die Dritte Liga in der kommenden Saison gelingen. Die Chancen stehen günstig, da diesmal der Meister auch direkt aufsteigt. Doch die Konkurrenz scheint von der Millionenspritze aus Hongkong kaum beeindruckt. „Schlaflose Nächte macht mir das erst einmal nicht. RB Leipzig hat auch drei Jahre gebraucht, um aus der Regionalliga rauszukommen", sagte Volkan Uluc, Trainer des FSV Wacker Nordhausen, der sich ebenfalls Aufstiegschancen ausrechnet. Heiko Scholz, Coach von Lok Leipzig, stichelt gar: „Viktoria Berlin hat überhaupt kein Fanpotenzial, die haben eigentlich gar nichts. Mich juckt das nicht."
Der Meister steigt direkt auf
Bei Stadtrivale BFC Dynamo schüttelt man über das Viktoria-Projekt auch den Kopf. „Ich kann das bei Viktoria Berlin überhaupt nicht nachvollziehen", sagt BFC-Präsident Norbert Uhlig. „Ich weiß auch nicht, ob die noch ein Stadion bauen wollen. Aber so ist halt der Fußball. Wir wirtschaften weiter solide, werden keine Schulden machen."
Auf manche Kritik reagiert Sommer allergisch. „So zu tun als wären wir der erste Sündenfall, ist heuchlerisch", sagt er. „Wir spielen nur nach den Regeln, die andere vor uns gemacht haben." Die Ausgliederung der Profiabteilung sei auch eine Schutzmaßnahme für den Verein, denn so könne dieser nicht in Haftung genommen werden, sollte sich der Megadeal als Megapleite herausstellen.
Das beruhigt auch die Mitglieder im Verein. „Die Nachricht hat schon eingeschlagen wie eine Bombe", sagt Dieter Struve. Der 69-Jährige spielt bei der Ü60 des Vereins und ist seit über 60 Jahren Clubmitglied. Er findet den neuen Weg gut und richtig: „Man hat jetzt die Chance, vielleicht irgendwann mal Bundesliga zu spielen. Wenn es nicht klappt, haben wir nicht viel zu verlieren. Einen Versuch ist es wert."
Ein Investor von außen, zumal aus einem anderen Kulturkreis, birgt natürlich auch Risiken. Das Beispiel 1860 München mit dem jordanischen Investor Hasan Ismaik ist ein warnendes. Auch der Absturz von Tennis Borussia ist in Berlin noch nicht vergessen. Der Traditionsclub wurde von der mittlerweile insolventen Göttinger Gruppe zuerst finanziell aufgepäppelt, als die Charlottenburger am Bundesliga-Aufstieg aber scheiterten, zog sich der Investor zurück und hinterließ einen Scherbenhaufen: Lizenzentzug wegen finanzieller Probleme.
Aus eigener Kraft könnte Viktoria den Sprung nach oben aber definitiv nicht schaffen. „Im Verein wurden die letzten Jahre sportlich viele Fehler gemacht", sagt Struve. „Vielleicht kommt jetzt der Erfolg, wenn alles ein bisschen professioneller aufgezogen wird." In der Tat hat Viktoria keine einfache Zeit hinter sich, im Winter hat man sich von gestandenen Spielern wie dem ehemaligen Union-Torjäger Karim Benyamina getrennt, um Geld zu sparen.
„Im Verein wurden viele Fehler gemacht"
Seitdem die Nachricht vom chinesischen Investor durchgesickert ist, laufen jeden Tag massenhaft Bewerbungen von Spielern und Trainern ein. Doch die Zeit drängt. Bis Ende Juni muss die Ausgliederung der Profiabteilung über die Bühne gegangen sein, und am letzten Juli-Wochenende startet die Regionalliga bereits in ihre neue Saison. Bis dahin muss die neue Mannschaft stehen und möglichst auch eingespielt sein. Auch ein neuer Trainer muss her, der bisherige Coach Thomas Herbst bekommt wie viele Spieler keinen neuen Vertrag angeboten.
Den Kader profitauglich zu machen ist die eine Sache. Doch viel Arbeit müssen die Viktorianer auch in ihr Stadion Lichterfelde stecken. Die blaue Laufbahn erinnert zwar an das große Olympiastadion von Berlin – aber das war es dann auch. Die Kapazität von 4.300 Zuschauern ist für die großen Pläne des Clubs zu klein, der Zustand zu marode. Ein mögliches Ausweichen in den Berliner Jahn-Sportpark ist auch schwer umsetzbar, weil der demnächst saniert wird.
Die Herausforderungen des Projekts sind also groß. Im Verein ist man gewillt, diese mit dem Investor gemeinsam anzugehen. Es könnten jedoch Proteste von außen kommen. Der Eklat beim Auftritt der chinesischen U20-Nationalmannschaft in der Regionalliga Südwest ist noch gut in Erinnerung. Damals wurden am Spielfeldrand des TSV Schott Mainz tibetische Flaggen aufgehängt, woraufhin die Gäste aus China aus Protest den Platz verließen. Der DFB und China stampften das gemeinsam ins Leben gerufene Projekt danach ein.
Es ist nicht so, als ob die Verantwortlichen nicht auch in Berlin und Deutschland nach Investoren gesucht hätten. Aber ohne Erfolg. „Es ist doch bezeichnend", sagte Sommer, „dass nach einem Jahrzehnt der Suche ausgerechnet ein Mann vom anderen Ende der Welt in Viktoria etwas sieht, das keiner in Deutschland gesehen hat."