Jörg Soller, Professor für Tourismus-betriebswirtschaft, stand schon als Neunjähriger hinter dem Tresen eines Gasthofes. Der 65-Jährige gilt als führender Experte im Hoteltourismus. Die Branche ist ein Haifischbecken, sagt er.
Die Sonne scheint im Berliner Bezirk Lichtenberg. Gut gelaunt öffnet Professor Dr. Jörg Soller die Tür seines Büros im ersten Geschoss der Hochschule für Wirtschaft und für Recht Berlin. „Kommen Sie rein, darf es Kaffee oder Tee sein?" Die Frage wirkt freundlich, routiniert und irgendwie professionell. Man merkt, dass Soller diese Frage schon oft in seinem Leben gestellt hat. Kein Wunder: Er ist so etwas wie der „Papst" der Hotellerie und des Tourismus in Deutschland. „Ach, Papst, das ist zu viel der Ehre", sagt der Professor bescheiden, winkt ab und fragt lieber: „Zucker oder Milch zum Kaffee?". Auch diese Frage wirkt wieder professionell.
Schon ein kurzer Blick auf Sollers Lebenslauf verrät, warum. Soller war Direktor zahlreicher renommierter Hotels in Deutschland, verfasste mehr als ein Dutzend Bücher und Schriften zum Thema erfolgreicher Tourismus und zur Hotellerie, arbeitete als Geschäftsführer der Hotelakademie Berlin, ist im Aufsichtsrat der H-Hotels AG, ist Gründer und Vorstand des Instituts für Tourismus Berlin und, und, und. Heute ist der 65-Jährige Professor für Tourismusbetriebswirtschaft und bringt seinen Studierenden als Fachleiter bei, wie man in der Tourismusbranche erfolgreich sein kann.
„Wichtigster Faktor: Lage, Lage, Lage!"
„Die Tourismusbranche in Deutschland ist wie ein Haifischbecken. Da versuchen sich viele über den Preis zu etablieren. Aber das wird auf Dauer nicht funktionieren." Jörg Soller zieht am Kragen seines blütenweißen Hemdes und richtet sein Jackett, bevor er die drei Erfolgsfaktoren benennt: „An erster Stelle steht natürlich Gastorientierung. Man muss immer genau wissen, wie der Gast tickt und was er will. An zweiter Stelle folgt, dass sich Unternehmen in der Tourismusbranche vernetzen und kooperieren müssen. Wichtigster Erfolgsfaktor für zum Beispiel ein Hotel ist aber immer: Lage, Lage, Lage!" Diese drei Faktoren vermittelt er seinen Studenten immer und immer wieder, sei es in Vorlesungen aber auch in speziellen praxisorientierten Seminaren und Forschungsprojekten. „Wir versuchen dabei immer möglichst nah am wirklichen Leben zu sein. Das ist extrem wichtig." Um dieses Ziel zu erreichen, sei das Tourismusstudium an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht als ein Duales Studium konzipiert. „Das bedeutet, dass unsere 30 Studentinnen und Studenten pro Semester ständig zwischen Studien- und Praxisphasen wechseln. Und dabei legen wir auch in den Studienphasen extremen Wert auf Praxisbezug." Bezahlt werde dieses Studium durch die Kooperationspartner aus der Tourismusbranche. „Die Palette der Partner ist sehr breit. Sie reicht von Hotelketten bis hin zu Berlins Tourismus-Marketinggesellschaft Visit Berlin." Die Studienplätze sind heiß begehrt. Am Ende ist man nicht nur Bachelor sondern werde in aller Regel auch von touristischen Unternehmen weiterbeschäftigt und kann das Wissen gleich anwenden.
Wie wichtig Praxis in der Tourismusbranche ist, weiß Jörg Soller aus eigener Erfahrung. „Ich habe alles von der Pike auf gelernt und stand schon als Neunjähriger hinter dem Tresen. Mein Job war klar definiert: Ich hatte die Gläser zu spülen – sonst nix." Der Gasthof stand in dem kleinen sachsen-anhaltinischen Dörfchen Beesen, heute ein Stadtteil von Halle. Wenn Soller redet, hört man noch heute, wo er herkommt. „Kein Wunder, ich habe meine Wurzeln in Sachsen-Anhalt. Wenn ich mal nicht spülen musste, habe ich Basketball gespielt." Und das mit Erfolg. Als Spielmacher brachte er es bis in die Junioren-Nationalmannschaft der damaligen DDR. „Leider habe ich mich dann verletzt und musste meine Sportlerkarriere an den Nagel hängen."
Andere Pläne mussten her. So begann er nach dem Abitur (Abschluss mit sehr gut), der Militärzeit und Jobs bei der Mitropa („Da war ich Kellner") ein Studium in Leipzig. „Da habe ich Handel und Gastronomie studiert. Eigentlich wollte ich zur See. Doch das war damals nicht möglich." Deshalb blieb er an der Universität, arbeitete als Assistent des Lehrstuhlleiters. Seine erste Doktorarbeit schrieb er zum Thema „Typisierung von Gaststätten und rationale Gestaltung von Hotels".
„Das war eine tolle Zeit, wenn auch sehr ungewöhnlich für die damalige DDR", erzählt Soller und lächelt. „Obwohl ich nicht ins ‚kapitalistische Ausland‘ reisen durfte, war die Forschungsarbeit durch westliche Standards geprägt." Immerhin ist er mit seinem Wissen und seiner Arbeit perfekt gerüstet, als 1989 die Mauer fällt. „Da wurde ich dann gleich Direktor im ‚Erfurter Hof‘ (heute „Hilton", Anm. der Redaktion) in Erfurt." Es folgten Jobs bei den „Maritim"- und „Sheraton"-Hotels in Hessen. Dann ging er ins schottische Edinburgh, organisierte dort unter anderem Ablauf und Catering für einen EU-Gipfel. „1991 wurde ich schließlich Geschäftsführer und Hoteldirektor des legendären und traditionsreichen Hotels ‚Elephant‘ in Weimar." Im thüringischen Luxushotel logierten damals wie heute Stars und Sternchen aus Showbiz und Politik. „Da habe ich eine ganze Menge Prominenter kennengelernt, unter anderem die Kanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl."
Für Aufsehen sorgte aber das Jahr 1993. „Da hatten wir den japanischen Kaiser Akihito und seine Gemahlin Michiko zu Gast und haben das offizielle Protokoll ganz schön durcheinandergewirbelt." Was war geschehen? Soller überreichte der Kaisergemahlin – wie er es bei jedem prominenten Gast machte – einen Marzipan-Elefanten. „Die wollte daraufhin in der Patisserie sehen, wo die Elefanten hergestellt werden. Sie hat sich jeden Arbeitsschritt zeigen lassen, und das hat fast eine Stunde gedauert." Das offizielle Protokoll war damit gesprengt: „Der damalige thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel, Kaiser Akihito und zahlreiche offizielle Gäste samt Sicherheitskräften mussten warten. Heute klingt das lustig, damals hat das für mächtig Wirbel gesorgt."
Zurück in die Gegenwart. Heute ist Professor Soller vor allem für seine Studiengruppen da. „Weil wir immer zukunftsorientiert arbeiten, haben wir uns etwas Neues einfallen lassen." Ab Oktober nächsten Jahres wird ein Großteil der Lehrveranstaltungen in englischer Sprache gehalten. „Das ist für uns eine Herausforderung, aber es ist machbar", sagt Soller mit einem Augenzwinkern. Ohnehin versuchen er und sein Team immer neue, zeitgemäße Inhalte in den Studienalltag zu integrieren. „So vermitteln wir zum Beispiel im Herbst, wie PR- und Öffentlichkeitsarbeit im Tourismus funktioniert. Eine andere Gruppe lernt, wie man zeitgemäß Grafik einsetzt. Wieder eine andere Gruppe dreht einen Film. Das ist wichtig für die Führungskräfte der Zukunft."
Jörg Soller hätte dieses Jahr in den Ruhestand gehen können. „Das habe ich erst einmal vertagt, habe meinen Vertrag noch einmal um zwei Jahre verlängert." Aber auch er muss ab und an vom Thema Tourismus abschalten. Dann zieht der Familienvater seine Laufschuhe an und läuft durch den Berliner Tiergarten entlang der Spree. „Danach habe ich den Kopf wieder frei."