Die Diagnose trifft jeden wie ein Schlag ins Gesicht: Krebs. Dem Schock wird die Krone aufgesetzt, wenn die Krankheit den Intimbereich betrifft und die sexuelle Empfindsamkeit für immer beeinträchtigt ist – besonders bei jungen Frauen. Grund genug, über das sogenannte Vulvakarzinom aufzuklären.
In der Theorie ist es klar – jede einzelne Zelle unseres Körpers kann entarten. Aus wirklich jeder kann ein Tumor entstehen, eine gut-, aber auch eine bösartige Wucherung. In zweitem Fall handelt es sich dann schlicht und ergreifend um Krebs. Und obwohl wir uns dessen eigentlich bewusst sind, gibt es Fälle, in denen man als Betroffener oder Angehöriger denkt: „Wie bitte? Ich wusste gar nicht, dass es diese Krebsart gibt." Und tatsächlich sind einige Arten seltener als andere, von mancher hat man noch nie gehört. So verhält es sich nicht selten beim Vulvakarzinom, vereinfacht ausgedrückt: Schamlippenkrebs.
Die Diagnose trifft erst einmal hart. Die Heilungschancen sind bei den meisten Krebsarten irgendwo statistisch erfasst und variieren stark, immer auch abhängig vom Stadium der Krankheit, das heißt, wie früh oder spät der Krebs erkannt wurde. Das Problem beim Vulvakarzinom ist, wie bereits erwähnt, dass kaum jemand von seiner Existenz weiß. Hinzu kommt, dass die Symptomatik schwierig zu differenzieren ist gegenüber anderen Beschwerden, die in der Frauengesundheit auftreten können.
Denn welche Frau ist sich dessen bewusst, dass eine juckende, vielleicht auch brennende Stelle im Intimbereich einen bösartigen Tumor bedeuten kann? Man denkt erst mal an etwas harmloses, womöglich eine Pilzinfektion, die mit einer Salbe nach kurzer Anwendung wieder ausgeheilt sein wird.
Früher eine Altfrauenkrankheit, heute mehr jüngere Frauen betroffen
Die Häufigkeit dieser Krebserkrankung hat sich im Laufe der letzten Jahre verdoppelt. Und dennoch haben bisher nur wenige Frauen davon gehört. Womit dieser Anstieg zusammenhängt, ist leider bis dato ungeklärt, aber es besteht vermutlich ein Zusammenhang mit dem Gebärmutterhalskrebs. „Früher stand diese Krankheit in den Lehrbüchern tatsächlich unter der Rubrik der uralten beziehungsweise greisen Frau", sagt Gynäkologe Dr. Peter Mayer. „Durch die Verbreitung des Humanen Papillomavirus (HPV) bei Frauen unter 40 ist auch das Risiko für Schamlippenkrebs, Analkrebs und Krebs im Mundbereich angestiegen. Trotz Impfung."
Vieles wurde aber auch früher nicht getestet. Der Schwerpunkt lag bei den älteren Frauen, da sich das Gewebe im Laufe des Alters verändert. Bei jüngeren Frauen ist eine solche Veränderung eher infektiös, durch besagten Virus. Die neue Impfung, die es seit 2016 gibt, bietet eine fast 90-prozentige Sicherheit, die frühere bot auch schon 75-prozentigen Schutz, aber viele lassen sich nicht impfen. „Maximal 50 bis 60 Prozent lassen es machen. Die meisten sind zu bequem und Impfungen haben einen, aus meiner Sicht, unbegründet schlechten Ruf", sagt Mayer. Idealerweise impft man zwischen dem elften und vor dem 14. Lebensjahr. Wichtig zu wissen ist, dass junge Mädchen nicht extra zum Gynäkologen müssen – die Impfung kann auch vom Kinder- oder Hausarzt durchgeführt werden.
Frauen bekommen den HP-Virus vom Mann. Er wiederum muss sich vorher natürlich auch angesteckt haben. Zur Erklärung: Zwischen 20 und 30 sind fast 70 bis 80 Prozent der Frauen positiv getestet. Dieser Virus lässt sich, so komisch es auch klingen mag, mit einem Schnupfen vergleichen – es handelt sich dabei um einen Virus, der vollständig ausheilen kann. „Meistens ist der Virus nach ein bis zwei Jahren wieder weg. Allein die Tatsache, dass der Virus da ist, bedeutet ja noch nichts, daher gibt es keinen Grund zur Panik bei einem positiven Test. Bei 90 Prozent heilt es in dieser Lebensdekade aus. Der HP-Virus infiziert alle Schleimhäute und alle Körperstellen, die mit einer Form von Verkehr in Zusammenhang stehen. So ungut es sich auch anhört: Es handelt sich um eine Geschlechtskrankheit, die häufig vorkommt", erklärt Mayer.
„Früher gab es den Schamlippenkrebs bei Frauen Mitte 20 tatsächlich nicht. Der Frauenarzt muss genau danach schauen, denn er wird schnell übersehen. Man erkennt erste Anzeichen an einer erhabenen (also reliefartig hervortretenden), geröteten, juckenden oder brennenden Stelle, die – und das ist das Entscheidende – sechs bis acht Wochen nicht weggeht. Das sollte dann auf jeden Fall vom Arzt untersucht und bei Verdacht mit einer Biopsie abgeklärt werden." Abgesehen von der Dauer, in der das Karzinom nicht verschwindet, kann es natürlich auch wachsen. Die Symptomatik bleibt gleich und wird nicht selten mit einer Infektion verwechselt. Eindeutig ist es nicht immer. Häufig befindet sich die Stelle am Übergang von Haut und Schleimhaut. „Ergibt die Biopsie den Befund, resultiert daraus die OP zur Entfernung des Tumors", sagt Mayer und weiter: „Das Problem ist allerdings bei jungen Frauen die Nähe zur Klitoris. Die muss dann eventuell komplett entfernt werden. Gerade für junge Frauen ist das natürlich besonders schlimm." Außerdem werden die Wächter-Lymphknoten entfernt, um auf Nummer sicher zu gehen. Bei ausgeprägten Befunden nimmt man die Lymphknoten in der Leiste heraus. Das führt allerdings nicht selten zu Komplikationen wie chronischem Lymphstau in den Beinen. Eine Bestrahlung oder Chemotherapie macht man bei dieser Krebsart selten, da der Tumor eher schlecht darauf anspricht. Die operative Therapie wird eindeutig präferiert. Alles andere ist eine „Verzweiflungstat", die die Überlebensrate wenig verbessert.
Operative Therapie wird präferiert
Eine Früherkennung und eine entsprechend Frühstadien-gerechte Operation sind die beste Therapie. Je früher der Krebs erkannt wird, desto weniger radikal muss das umliegende Gewebe entfernt werden. Von daher ist Aufklärung entscheidend. Es gibt auch eine entzündliche Erkrankung namens Lichen sclerosus, aufgrund derer das Risiko für Schamlippenkrebs steigt. Betroffene Frauen sollten dann zur halbjährlichen Kontrolle. „Früh entdeckt sind die Chancen auf Heilung recht gut, und die Statistik (aus dem Jahr 2014) bestätigt eine Überlebensrate von 68 Prozent in den ersten fünf Jahren nach der Diagnose. Das hört sich erst mal nicht so gut an, liegt aber daran, dass gerade ältere Frauen um die 85 sehr spät kommen und eine entsprechend schlechte Prognose haben. Die späte Erkenntnis hängt damit zusammen, dass man die Stelle ja selten sieht. Symptome wie Jucken oder Brennen sind nach den Wechseljahren häufig normal und werden daher nicht als außergewöhnlich erkannt oder beurteilt, da die Frauen es ‚gewohnt‘ sind. Das senkt die Quote insgesamt", so Mayer.