Hasan Salihamidzic hat einen langen Anlauf genommen. Viele dachten schon, der Bosnier werde es nicht schaffen als Sportvorstand bei Bayern München. Doch so viel Lob wie in diesem Sommer hat „Brazzo" zuvor in fünf Jahren nicht bekommen.
Ein paar Wochen können im Fußballgeschäft eine Menge ausmachen. Oder auch eine einzige Transferperiode. Hasan Salihamidzic hat seit 2017 als Sportdirektor des FC Bayern München und seit 2020 als Sportvorstand schon fast ein Dutzend davon durchgemacht. Und obwohl der FC Bayern in jedem Jahr Meister wurde und vor zwei Jahren gar alle sechs möglichen Titel mit der Champions League als Krönung holte, wurde dem Bosnier meist kein glückliches Händchen attestiert. Transferflops wie Michaël Cuisance, Fiete Arp, Marc Roca, Bouna Sarr oder Tanguy Nianzou wurden ihm angelastet. Bei guten Transfers wie von Alphonso Davies oder Leon Goretzka sprachen manche von Glückstreffern. Und dann gab es noch die Verpflichtung von Lucas Hernández. Guter Mann, keine Frage, mit Frankreich sogar Weltmeister. Aber mit 80 Millionen Ablöse und dem Vernehmen nach einem sehr fürstlichen Gehalt absolut überteuert. Wodurch es nach einem Verzweiflungsschlag aussah. Auch ablösefreie Abgänge wie von Jérôme Boateng, David Alaba oder Niklas Süle wurden ihm angekreidet.
Vom „Azubi" zum Meisterplaner
Hinzu kam, dass Hasan Salihamidzic sich auf dem öffentlichen Terrain nicht sehr geschickt bewegte. Seine Interviews waren oft verkrampft und unergiebig, am Spielfeldrand übertrieb er es oft mit der Emotionalität und wirkte so wenig souverän. Details, die nach Transfers rauskamen, wirkten unglücklich. Wenn Uli Hoeneß nicht im Hintergrund seine schützende Hand über ihn gehalten hätte, wäre Salihamidzic schon längst weg, glaubten viele. Der Sportchef des Serienmeisters wurde belächelt, verspottet und vielerorts nicht ernst genommen.
Doch eines darf man bei Hasan Salihamidzic niemals tun: ihn unterschätzen. 1992 wurde der Bosnier als 15-Jähriger von seinen Eltern wegen des Krieges nach Hamburg zu Verwandten geschickt. Ohne ein einziges Wort Deutsch zu sprechen biss er sich durch. Er schaffte es in die Profiabteilung des HSV, und als mit 21 sein Vertrag auslief, warben viele Vereine um den giftigen Flügelspieler. Auch der FC Barcelona und Manchester United sollen dabei gewesen sein. Doch Salihamidzic, in seiner Heimat wegen seiner schmächtigen Statur „Brazzo" genannt („Das Bürschchen"), entschied sich für den FC Bayern.
Von dem Verein war er begeistert, seit er ihn als 14-Jähriger in einem Europacupspiel bei Roter Stern Belgrad gesehen hatte. Auch hier wurde Salihamidzic belächelt, auch hier strafte er alle Lügen. Wenn auch deutlich schneller als in seiner zweiten Karriere. In neun Jahren beim FC Bayern wurde er sechsmal Meister, holte viermal den Pokal und 2001 die Champions League. Im Finale gegen Valencia stand er 120 Minuten auf dem Platz, erhielt im „Kicker" die Note 2,5 und verwandelte im Elfmeterschießen. Nach den Bayern folgten noch vier Jahre Juventus Turin. Es war eine gute Karriere. 2017 wurde „Brazzo" bei den Bayern Nachfolger von Matthias Sammer als sportlich Verantwortlicher, aber Vorstand durfte er sich noch nicht gleich nennen. Und er gewann auch nicht schnell Profil.
Rückendeckung von Hoeneß
Als die Bosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge auf einer Pressekonferenz zum medialen Rundumschlag ausholten, saß der Lehrling nickend daneben und sagte quasi nichts. Es schien das Abbild der Machtverhältnisse bei den Bayern. Und als sich das Blatt 2020 hätte drehen können durch das Sextuple, ging bald Erfolgstrainer Hansi Flick von Bord, und der Sportvorstand galt gemeinhin als derjenige, der ihn vergrault habe. Noch im Mai dieses Jahres wurde Salihamidzic bei der Meisterfeier von einigen Fans ausgepfiffen. Es gab gar in mehreren Medien Berichte, dass er kurz vor der Ablösung stehe und der einige Monate zuvor in Mönchengladbach zurückgetretene Max Eberl Nachfolger werden soll. Den hatte Hoeneß schon 2017 holen wollen. Doch Rummenigge setzte sich damals für Philipp Lahm ein. Salihamidzic war letztlich der Kompromiss, auf den sich beide einigen konnten.
Die beiden Alphatiere sind nicht mehr im Amt, doch im Hintergrund ziehen sie immer noch Strippen. „Er hat ein Recht darauf, informiert und gefragt zu werden. Die Entscheidung treffen wir aber im Vorstand", sagte Salihamidzic kürzlich in einem „FAZ"-Interview über Hoeneß: „Der FC Bayern ist sein Lebenswerk. Es ist nur vernünftig und richtig, ihn mitzunehmen." Bei Transfers spreche er zuerst mit Präsident Herbert Hainer. „Dann redet er mit Uli. Dann rede ich mit Uli."
Dass die schützende Hand des früheren Managers und Präsidenten ihm half, wird der Sportvorstand nicht bestreiten. Doch nun braucht er sie erst einmal nicht mehr. Die aktuelle Transferperiode als Befreiungsschlag für Salihamidzic zu bezeichnen, wäre wohl untertrieben. Ihm gelang aber auch wirklich viel in diesem Transferfenster. Er holte mit Sadio Mané aus Liverpool und Matthijs de Ligt von Juventus Turin absolute Stars, dazu mit Mathys Tel (17) und Ryan Gravenberch (20) sehr vielversprechende Talente.
Und er verkaufte gut. 16 Millionen für Nianzou inklusive einer Rückkaufoption, falls er doch noch durchstartet. Zwölf Millionen für Chris Richards und auch für Marc Roca, je 8,5 für Joshua Zirkzee und Omar Richards. Und sogar in der Farce um Robert Lewandowski galt Salihamidzic letztlich als Gewinner. Obwohl die Münchener mit dem Verkauf des Weltfußballers an den FC Barcelona ihr Wort brachen, dass er auf keinen Fall gehen dürfe. Und obwohl sie ein wochenlanges öffentliches Schauspiel zuließen. Doch am Ende galt öffentlich eher der Pole als Querulant und die Bayern als die, die mit 45 Millionen Ablöse noch ein gutes Geschäft für einen 33-Jährigen gemacht haben und ihn eben mit Mané ideal ersetzt haben, wenn auch nicht ganz positionsgetreu.
Selbst Mätthaus verteilte Lob
Und nachdem die Gerüchte um eine Ablösung im Mai noch halbherzig dementiert worden waren, hagelte es nun plötzlich Lob für den Sportvorstand. Viel Lob. Und extrem markantes. Hoeneß sagte über den Mané-Transfer: „Dass der Hasan das geschafft hat, ist ein Meisterwerk." Er habe „immer hundertprozentig hinter ihm" gestanden, erklärte Hoeneß in der „Sport Bild" und fügte hinzu: „In guten wie in schlechten Zeiten." Rummenigge lobte bei Sky: „Er hat gute Transfers getätigt. Und wenn man sich jetzt die ersten Spiele anschaut, dann kann man sagen, dass alles, was man sich ausgedacht hat, sehr gut funktioniert." Hainer gab der Transferperiode von Salihamidzic in der „Abendzeitung" „eine Eins, weil er mit seinem Team bislang alle Ziele erreicht hat, die wir gemeinsam formuliert hatten. Dann gibt es auch die Bestnote." Der Sportvorstand arbeite „mit Leib und Seele für den FC Bayern, und das gefällt mir sehr." Bei „Sport1" ergänzte Hainer: „Es freut mich für Hasan, dass er endlich auch in der Öffentlichkeit die Anerkennung bekommt, die er schon länger verdient hat. Er wurde in den vergangenen Jahren in meinen Augen oft zu Unrecht kritisiert; von fairem Umgang konnte kaum die Rede sein."
Nun bekam er das ganze Lob. Auch das von Rekordnationalspieler und Sky-Experte Lothar Matthäus, der von Salihamidzic nach eigener Auskunft in der Vergangenheit sehr oft angerufen wurde, weil er sich über dessen Urteil in Kolumnen oder am Mikrofon geärgert hat. Diesmal gab Matthäus seinem ehemaligen Mitspieler für seine Arbeit eine „Eins mit Sternchen. Hasan kriegt eine Eins für die Transfers – und das Sternchen für die Verkäufe."
Und als der Spuk vorüber war, gab Salihamidzic auch mal Einblick in sein Seelenleben. „Natürlich freut mich, wie es sich entwickelt hat", sagte er in der „Süddeutschen Zeitung": „Die Stimmung hat sich gedreht." Nach dem Mané-Transfer habe er gespürt: „Der Name Mané wird einen Woweffekt haben." Der Teil der Kritik, „der unsachlich und persönlich motiviert war, hat schon wehgetan", gab der 45-Jährige aber zu. Er sei „ja oft der Böse gewesen". Es sei aber nie so weit gewesen, dass er ans Aufhören gedacht habe.
Der Lohn für den zähen Hasan: eine Vertragsverlängerung bis 2026. „Hasan Salihamidzic gibt für den FC Bayern 24 Stunden am Tag alles. Er steht für das FC-Bayern-Gen, für Kontinuität und für Titel", lobte Präsident Hainer in der entsprechenden Pressemitteilung. Und auch Trainer Julian Nagelsmann freute sich: „Aus persönlicher Sicht, weil ich gut mit ihm zusammenarbeite, aber aus Club-Sicht auch", sagte der Coach. Er habe „auch in schwierigen Transferphasen gute Arbeit gemacht. Auch wenn es schlecht bewertet wurde." Und zudem: „Brazzo war auch eine Triebfeder derer, die mich als Trainer geholt haben. Ich gehe schwer davon aus, dass wir auch die nächsten Jahre gut zusammenarbeiten. Sofern er mich nicht rauswirft."