Bei gleich drei Fußball-Profis wurde in den vergangenen Monaten ein Hoden-Tumor diagnostiziert. Die Schwere der Erkrankungen ist jedoch höchst unterschiedlich.
Der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Besonderen sind heutzutage Brenngläser unserer Gesellschaft. Dinge, die in diesem besonderen Zirkus passieren, werden schnell zu allgemeinen gesellschaftlichen Themen. Der Anlass dafür ist jedoch nicht selten ein trauriger. Wie in diesem Fall, als plötzlich viele Menschen in Deutschland über Hoden-Tumore bei jungen Männern sprachen.
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 4.200 Männer daran. Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft zählt Hodenkrebs mit einem Anteil von etwa 1,6 Prozent aller Krebsneuerkrankungen zu den eher seltenen Tumorerkrankungen. Doch es ist eine Form, die häufig bei recht jungen Männern zwischen 25 und 45 auftritt, im Durchschnitt sind die Erkrankten 38 Jahre alt. Zumindest das erklärt, wieso es häufig aktive Sportler betrifft. In der Vergangenheit waren es beispielsweise der siebenmalige (und offiziell wegen Dopings nicht mehr geführte) Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong oder in der Bundesliga einst schon der Frankfurter Marco Russ.
Nun aber gab es aus der Fußball-Bundesliga innerhalb von knapp drei Monaten gleich drei Fälle. Erst Timo Baumgartl (26) von Union Berlin, dann Marco Richter (24) von Stadtrivale Hertha BSC und schließlich Sébastien Haller (28) von Borussia Dortmund. Letzterer Fall sorgte dann endgültig für großes Aufsehen. Weil es ein Spieler des BVB war, weil Dortmund diesen gerade erst für 31 Millionen Euro als Nachfolger von Erling Haaland verpflichtet hatte. Und weil es eben der dritte Fall in kurzer Zeit war. Später dann aber leider auch, weil der Fall von Haller der dramatischste ist.
Richter hatte Glück im Unglück
Denn – und auch das ist bei dieser Diagnose typisch – der Verlauf ist oft höchst unterschiedlich. In der Regel wird das Karzinom meist früh erkannt. „Dann beträgt die Heilungsquote nahezu 100 Prozent. Sofern das Karzinom metastasiert ist, sinkt sie auf 70 Prozent", sagte der Berliner Urologie-Professor Mark Schrader der „Rheinischen Post". Der Dachauer Urologie-Experte Florian May sagte zu Sport1: „Wenn es auf den Hoden beschränkt ist und dieser entfernt wird und es keinen Hinweis auf eine Ansiedlung gibt, dann ist die Therapie meist beendet."
Dieses Glück hatte zum Beispiel der Berliner Richter. Am 12. Juli war bei ihm der Tumor entdeckt und sofort operativ entfernt worden. „Der Tumor war zwar bösartig, ist aber erfolgreich entfernt worden, und ich brauche keine Chemotherapie und kann bald wieder voll angreifen", verkündete Richter schon am 20. Juli via Instagram. Die Operation sei „gut verlaufen. Ich habe auch keine Schmerzen danach gehabt." Am 1. August, rund drei Wochen nach der Diagnose, stand er schon wieder auf dem Platz. Das heißt aber nicht automatisch, dass Richter auch sofort wieder voll einsatzfähig ist. „Ich bin Vollblutfußballer und auf einem guten Weg. Aber ich setze mir für eine Rückkehr auf den Platz kein Zeitlimit", sagte er. „Solange die Narbe gut aussieht", könne er das Training immer weiter steigern.
Nach dem ersten Team-Training signalisierte er. „Stand jetzt ist alles gut", alles sei aus seinem Körper raus. Dass alles so schnell ging, habe ihm zum Glück gar nicht so viel Zeit zum Nachdenken gelassen. „Das ist auch wichtig für den Kopf", sagte er. Künftig müsse er alle drei, vier Monate eine MRT-Untersuchung machen lassen. Die Gefahr, dass noch mal etwas komme, sei aber gering. Richter betonte wie später auch Baumgartl die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen und hofft, dass sein Fall als halbwegs prominenter „bei manchen ein Umdenken bewirkt hat".
Seit vergangener Woche wieder auf dem Platz steht Timo Baumgartl, bei dem die Diagnose im Mai für einen Schock sorgte. Auch er ist auf einem guten Weg. „Wir haben nur auf die finale Freigabe der Ärzte gewartet", sagte Sportchef Oliver Ruhnert. Individuell trainiert Baumgartl schon seit einiger Zeit wieder. Doch bei ihm wurde der Krebs bestätigt, neben der Operation war auch eine Chemotherapie nötig. Und das war ein heftiger Schlag für den jungen Abwehrspieler. „Es ist wie ein schlechter Traum, man will es nicht wahrhaben", sagte er im Podcast „Einfach mal Luppen!" als Gast von Weltmeister Toni Kroos und dessen Bruder Felix. „Man ist 26, eigentlich topfit, man hat nichts gespürt. Meine Freundin und ich sind dann nach Hause gegangen und haben viel geweint."
„Es ist wie ein schlechter Traum"
Er habe in dem Moment „wenig Gedanken übrig gehabt für Fußball", sagte Baumgartl: „Jeder Tag ist durchgetaktet mit Untersuchungen, Operationen und weiteren Untersuchungen." Es sei für ihn aber schnell klar gewesen, dass ich nach vorne blicken muss." Dass Union seinen Vertrag verlängerte war ein schönes Zeichen und er ist auch guten Mutes, zumindest in absehbarer Zeit wieder spielen zu können. „Man stellt sich visuell vor, was passieren wird, wenn man alles hinter sich hat. Das macht jeder, wenn er über sein Comeback nachdenkt", erzählte er: „Ich freue mich, wenn ich gesund wieder meiner Leidenschaft nachgehen kann. Das wird kein normales Fußballspiel für mich sein."
Das wäre ein Comeback auch für Sébastien Haller keineswegs. Doch auch der Ivorer musste gleich zweimal eine Schock-Diagnose verdauen. Erst Mitte Juli, als der Tumor bei ihm festgestellt wurde und er sofort aus dem Trainingslager in Bad Ragaz abreisen musste. Und dann keine zwei Wochen später, als sich der Tumor als bösartig erwies und damit auch für ihn klar war: An Fußball wird monatelang nicht zu denken sein. Erst einmal muss Haller eine Chemotherapie durchlaufen und zusehen, dass er wieder gesund wird. Die Heilungschancen stehen laut Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl aber „sehr gut". Er werde zudem natürlich „die bestmögliche Behandlung erfahren".
Gänsehaut bekamen die Fans des BVB schließlich bei der Saison-Eröffnungsfeier einen Tag nach der niederschmetternden Diagnose, als ein Video Hallers eingespielt wurde. „Wie ihr wisst, kann ich heute nicht bei euch sein", sagte er da: „Ich weiß eure Unterstützung sehr zu schätzen. Ich freue mich darauf, vor euch und der gelben Wand zu spielen. Ich wünsche euch einen guten Start in die Saison. Ich werde die Spiele verfolgen und wünsche euch alles Gute." Interviews hat Haller verständlicherweise noch keine gegeben. Aber schon nach der ersten Diagnose hatte er über die sozialen Netzwerke signalisiert, dass er positiv gestimmt ist. „Ich weiß, dass es dank euch nicht mehr als eine weitere Prüfung auf unserem Weg wird", schrieb er: „Wir werden uns bald wieder auf dem Platz sehen, um unsere nächsten Siege zu feiern."
Experten sehen keine Häufung
Bleibt die aufgrund der drei Fälle innerhalb kurzer Zeit aufgekommene Frage, ob Fußballer besonders gefährdet für diese Erkrankung seien. Nein, sagen die Experten. Sie haben vielleicht nur das Glück, dass die Krankheit bei ihnen durch die vielen Untersuchungen als Profisportler schneller entdeckt wird. Auch wenn der alljährlich vorgeschriebene Medizincheck im deutschen Profifußball keine Krebsdiagnostik vorsieht.
Im Jahr 2018 hatten Wissenschaftler für die Fachzeitschrift „BMC Cancer" untersucht, ob Leistungssport das Hodenkrebsrisiko erhöhe und kamen zu dem Ergebnis, dass es keinen eindeutigen Hinweis darauf gebe. Und Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums, sieht Fußball-Profis nicht als besondere Risikogruppe an. „Lebensstilfaktoren oder bestimmte Sportarten haben keinen Einfluss auf die Entstehung von Hodenkrebs", sagte sie: „Hodenkrebs ist letzten Endes eine Erkrankung, die in den allermeisten Fällen rein zufällig entsteht, ohne dass ein bekannter Risikofaktor vorliegen würde." Zudem habe sich die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland allgemein „in den letzten zehn Jahren nicht gravierend verändert".
Zu gesteigerter Sorge oder gar Angst besteht also kein Grund. Weder bei Fußballern, noch bei allen anderen. Die Wichtigkeit der Vorsorge wurde aber wieder einmal in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt.