Warum derzeit Resilienz als Planspiel angebracht ist
Der Spruch, dass „früher alles besser" gewesen sei, ist bei rationaler Betrachtung nicht wahr. Er ist oft mit einer nachvollziehbaren, wehmütigen Verklärung verbunden, die eine nur allzu menschliche Reaktion darauf ist, dass wir manchmal die Gegenwart nicht verstehen – oder wie bei einigen wenigen – einfach nicht verstehen wollen.
Nichtsdestotrotz bekommt man schon den Eindruck, dass die Krisenphänomene sich in den letzten Jahren potenziert haben. Nun erinnert sich das menschliche Gehirn mit Vorliebe an alles, was schiefgelaufen ist, denn es hilft, den Überlebensinstinkt zu schärfen und sich auf weitere Kalamitäten vorzubereiten. Aber seit 2015, dem Jahr der sogenannten Flüchtlingswelle, schaukelt sich die Abfolge kleiner, mittlerer und großer Katastrophen offenbar etwas hoch.
Manche dieser Ereignisse sind keine Neuigkeit, die dringen nur – zu spät, wenn ich anmerken darf – jetzt erst richtig in unser Bewusstsein, die Klimakrise dürfte dafür das beste Beispiel sein. Andere waren so nicht vorherzusehen, zumindest für die breite Öffentlichkeit – Corona, Ukraine-Krieg und seine Folgen. Und wer weiß, was da als Nächstes an die Tür klopft.
Es erscheint also nur folgerichtig, sich die Frage zu stellen, ob und wie unser gesellschaftliches, politisches und ökonomisches System eigentlich auf Krisen, sowohl schleichende wie plötzlich auftretende, vorbereitet ist. In der Psychologie spricht man von der „Resilienz", also der Fähigkeit des Menschen, die Schicksalsschläge des Lebens so zu verarbeiten, dass er danach immer noch gut weiterleben kann. Eine „Systemresilienz" sollte es auch geben: Idealerweise sind Verwaltungen, öffentliche Dienste, ökonomische Akteure und zivilgesellschaftliche Gruppen sowie auch die politische Elite darauf vorbereitet, dass immer etwas schiefgehen kann.
Sind sie das? Wenn man Politikern bei ihren Reden etwa zur Corona-Krise zuhört und es immer wieder vorkommt, dass sie öffentlich preisgeben, dass man „damit ja nicht habe rechnen können", wenn Entscheidungsträger bei sich aufdrängenden Katastrophen erst einmal ihre Schäfchen ins Trockene bringen, aber sonst lieber keinen „Alarmismus" verbreiten wollen (wie bei der Flutwasserkatastrophe im Ahrtal) und wenn Akteure aus allen Segmenten der Gesellschaft die Aussicht, ein Stück Zellstoff vor der Nase tragen zu müssen, für eine größere Katastrophe halten als mit einem Plastikschlauch im Hals auf der Intensivstation zu liegen, dann erhält man den Eindruck, dass unsere Gesellschaft auf externe Schocks nicht besonders gut vorbereitet war und, leider, immer noch nicht ist.
Das muss nicht sein. Resilienz ist etwas, das ein System üben kann. So wie in Streitkräften bei Planspielen mögliche Szenarien für militärische Konflikte durchexerziert werden –
sozusagen Trockenübungen des Ernstfalls – so können auch andere Systeme sich regelmäßig im Denken schulen: in einem Denken, das sie mit dem Unvorhergesehenen konfrontiert und ihren Verstand wie auch ihre Emotionen darin trainiert, mit Krisen umzugehen, nicht in Schrecken zu erstarren und sich, vor allem, ihrer Pflichten zu erinnern, anstatt erst einmal an die eigene Haut zu denken.
Solche Szenarien werden mitunter auch auf der politischen Ebene durchgespielt, gerade in Verwaltungseinheiten, die unmittelbar mit der Bearbeitung von Krisen zu tun haben – aber das genügt nicht. Wer klar analysiert, wer alles in einer solchen Situation betroffen und vor allem aktiv involviert ist, muss erkennen, dass die potenziellen Fehlerquellen viel weiter gestreut sind.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die bundesdeutsche Gesellschaft – und hier inkludiere ich Politik, Gesellschaft und Ökonomie – sehr komfortabel eingerichtet und offensichtlich erwartet, dass es ohne weiteres Zutun so weitergehen würde. Ein fataler Irrtum, wie wir nun wissen.
Aber auch eine heilsame Lehre, wenn wir Konsequenzen daraus ziehen. Wir müssen Deutschland krisenfit machen. Das geht in die Strukturen – staatliche wie nichtstaatliche – und es geht in unser Denken, unsere kollektive Massenpsychologie, unsere Verhaltensweisen und unser Verständnis über Risiken mit hinein. Es gibt Methoden und Ansätze, wie wir das erreichen, oder zumindest graduell verbessern können, sodass wir das nächste Mal besser gewappnet sind. Es wird Zeit, dass wir wieder präventiver denken und nicht mehr den Ereignissen hinterherrennen.
Leider ist dieses Bewusstsein noch nicht bei allzu vielen Entscheidungsträgern angekommen. Auf deren Einsicht allein sollten wir uns aber auch nicht verlassen. Es ist notwendig, dass wir alle gemeinsam intensiver darüber nachdenken.