Ein Derbysieg gegen Hertha BSC – besser hätte Union Berlin nicht in die neue Saison starten können. Dem Trainer war aber die Reaktion auf das schwache Pokalspiel wichtiger.
Es ist zwar kein offizieller Titel, aber das war Christopher Trimmel am Rausch des Derbysieges gegen Hertha BSC egal. „Ich mag das Wort Stadtmeister", sagte der Kapitän von Union Berlin, „es stachelt so schön an." Nicht nur Trimmel war nach dem 3:1-Heimerfolg über den Rivalen aus Westend euphorisiert, auch die meisten der 22.012 Fans im Stadion An der Alten Försterei hätten glücklicher kaum sein können. Der vierte Derbysieg in Folge machte einmal mehr klar, dass die Machtverhältnisse im Berliner Fußball längst zugunsten der Eisernen gekippt sind. „Berlin ist Rot und Weiß", twitterte Stürmer Jordan Siebatcheu.
Und so feierten die Unioner zum Saisonstart ein Riesenfest. Es war die Fortsetzung dessen, was zuvor im Spiel passiert war: Von den Rängen schwappte eine spürbare Energie auf den Rasen über, die die Profis dankbar aufnahmen und in Leidenschaft umsetzten. „Das Stadion hat gebrannt", veranschaulichte Janik Haberer, der in seinem ersten Heimspiel für Union von der Atmosphäre begeistert war: „Ich glaube, das war auch ein Sieg für die Fans. Sowas ist immer so besonders." Vor allem, wenn es gegen Hertha geht.
Fischer realistisch
In den Jubelchor wollte Trainer Urs Fischer nicht so recht einstimmen, was wenig überraschte. Er wisse natürlich, „dass das für die Fans ein wichtiges Spiel" sei, aber er selbst sehe es „etwas pragmatischer und realistischer". Und aus dieser Perspektive wanderten am ersten Spieltag auch „nur" drei Zähler auf das Union-Konto, einen Extra-Punkt für den Derbysieg gibt es nicht. „Mir geht es um die drei Punkte", sagte Fischer, „und die waren heute wirklich wichtig." Mit Blick auf das erste Auswärtsspiel der Saison beim FSV Mainz 05 am Sonntag (14. August, 15.30 Uhr) ergänzte der Schweizer: „Wenn du Spiele gewinnst, nimmst du ein gewisses Selbstvertrauen mit für die nächsten Aufgaben."
Auch die Mainzer gehen mit breiter Brust ins Spiel, sie gewannen ihre Auftaktpartie beim VfL Bochum mit 2:1. Herausragend war dabei Doppeltorschütze Karim Onisiwo, der zwei Kopfballtore erzielte. Der Österreicher will gegen Union unbedingt nachlegen. „Wenn man den Lauf dann hat, dann läufts von alleine", sagte er: „Da muss ich jetzt dranbleiben: gut trainieren, weiter gut arbeiten, in den Eins-gegen-Eins-Situationen noch besser werden, eiskalter werden. Ich denke, dann gibts noch ein paar Tore." Sein kongenialer Sturmpartner Jonathan Burkardt wird wegen einer Oberschenkelverletzung aber wohl erneut fehlen, was gut für Union ist. Der U21-Nationalspieler hatte in der Vorsaison für elf Treffer gesorgt.
Doch auch Union hat nach dem Abgang von Taiwo Awoniyi wieder einen Knipser. Siebatcheu bewies bei seinem Kopfballtor zur 1:0-Führung, warum der Club vor der Saison sechs Millionen Euro an Young Boys Bern überwiesen hat. Der Franko-Amerikaner schlich sich zum genau richtigen Zeitpunkt vom Gegenspieler weg und beförderte den Ball mit einem perfekten Aufsetzer ins Tor –
ganz im Stil eines Vollblutstürmers. Siebatcheu ist nicht ganz so schnell wie Awoniyi und kann den Ball vielleicht auch nicht ganz so wuchtig abschirmen wie der Nigerianer. Aber in Sachen Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor hat er seinem Vorgänger etwas voraus.
Die Fans hoffen, dass der US-Nationalspieler womöglich sogar auf 22 Saisontreffer kommt, so wie in der Vorsaison in der Schweizer Liga, die er als Torschützenkönig beendet hatte. Das sei „eine gute Marke", meinte Siebatcheu, „in der Bundesliga ist das aber schwer zu schaffen." Er wäre auch zufrieden, wenn er am Ende auf eine zweistellige Ausbeute käme. Sollte das Zusammenspiel im Angriff mit Sheraldo Becker so gut funktionieren wie beim 1:0, ist das sicher nur eine Frage der Zeit. Becker hatte sich auf der linken Seite durchgetankt und eine maßgenaue Flanke auf den Kopf seines neuen Teamkollegen geschlagen.
Der pfeilschnelle Dribbler Becker und der wuchtige Stoßstürmer Siebatcheu – das könnte eine ähnlich erfolgreiche Kombination werden wie Becker/Awoniyi in der Vorsaison. Beide hätten beim ersten Tor „ganz sicher" harmoniert, meinte Fischer, der aber auch über kleinere Abstimmungsprobleme seiner beiden Angreifer nicht hinwegsah: „Dass da noch nicht alles funktionieren kann, ist auch logisch." Aber je mehr Trainingseinheiten und Spiele beide zusammen absolvieren, „desto mehr Automatismen werden greifen". Doch auch schon gegen Hertha hätten Becker und Siebatcheu angedeutet, „welche Fähigkeiten und Qualitäten sie haben".
Das traf noch mehr auf Haberer zu, der im zentralen Mittelfeld viel Laufarbeit verrichtete, viele Zweikämpfe gewann und wie bei seiner klasse Vorarbeit zum 2:0 durch Becker auch spielerische Akzente setzte. „Er hatte seinen Anteil", sagte Fischer, der Neuzugang vom SC Freiburg sei vor allem beim Anlaufen „mit bestem Beispiel" vorangegangen. Doch zu sehr wollte der Trainer nicht ins Sonderlob gehen, denn „ein einzelner kann es nicht ausmachen", betonte er, „am Schluss muss die Mannschaft als Ganzes agieren."
„Die Mannschaft hat gezeigt, wozu sie fähig ist"
Und diese Vorgabe setzte das Team gegen Hertha deutlich besser um als eine Woche zuvor in der ersten Pokalrunde, die Union erst in der Verlängerung dank eines Siegtreffers von Kevin Behrens beim Regionalligisten Chemnitzer FC für sich entschieden hatte. Dass die Mannschaft die richtige Reaktion („Die haben wir von uns gefordert und erwartet") auf diesen schwachen Auftritt gezeigt hat, war Fischer „fast wichtiger" als der Prestigeerfolg gegen Hertha. „Wir waren nicht ganz zufrieden mit unserem Auftritt im Pokal gegen Chemnitz", so Fischer. „Die Mannschaft hat jetzt gezeigt, wozu sie fähig ist. Wenn sie bereit ist für die Aufgabe – und das waren wir."
Von Beginn an schnürten die Hausherren die Blau-Weißen in deren eigener Hälfte ein, das Pressing funktionierte hervorragend. „Die Intensität hat heute bei uns einfach gepasst", meinte Abwehrchef Robin Knoche. „Wir waren sehr kompakt, haben die Ketten gut verschoben, waren zielstrebig auf dem Weg zum Tor", erklärte der Coach. Wegen all dieser Dinge, die er ungeachtet des erneuten Umbruchs im Sommer von seinem Team immer erwartet, sei er „wirklich sehr zufrieden" mit dem Auftritt. Das größte Kompliment bekam Fischer von seinem Trainerkollegen Sandro Schwarz. „Mir gefällt, wenn der gegnerische Trainer von ‚griffig‘ und ‚eklig‘ spricht", sagte Fischer und begründete: „Das ist genau unser Gesicht."
Doch Union bringt bei allen kämpferischen Komponenten auch viel spielerische Qualität auf den Rasen. Wie gut der Kader im vierten Bundesligajahr inzwischen besetzt ist, zeigt die Tatsache, dass für den früheren Junioren-Nationalspieler Dominique Heintz gegen Hertha nicht mal auf der Bank ein Platz frei war.
Stattdessen durfte der portugiesische Neuzugang Diogo Leite als linker Innenverteidiger erstmals von Beginn an ran – er machte seine Sache sehr ordentlich. Und als linken Schienenspieler vertraute der Trainer diesmal Julian Ryerson, weil der gegen Herthas Top-Sprinter Dodi Lukebakio nicht so große Schnelligkeitsdefizite mitbringt wie Niko Gießelmann. Der Konkurrenzkampf bei Union ist enorm und noch größer als im Vorjahr – und Fischer gefällt das. Auch wenn er deswegen das ein oder andere unangenehme Einzelgespräch mehr führen muss: „Bei 34 Kaderspielern musst du 23 enttäuschen."