Die extreme Polarisierung der Parteien in den USA macht beiden den Wahlkampf schwer. Die Republikaner könnten ihren Machterhalt zementieren – ähnlich wie in Ungarn, sagt USA-Experte Prof. Michael Butter von der Universität Tübingen.
Herr Prof. Butter, schauen Sie mit Zuversicht oder Besorgnis auf die kommenden Zwischenwahlen in den USA?
Wenn ich ehrlich bin, mit Besorgnis. Also gar nicht anders als in den vergangenen Jahren. Wir hätten es alle nicht für möglich gehalten, aber die Demokratie in den USA, so wie sie bisher war, wackelt. Die Zwischenwahlen nun werden dafür zwar noch nicht so entscheidend sein, aber die Präsidentschaftswahl im Jahr 2024.
Für die Wähler zählt laut Umfragen derzeit vor allem die wirtschaftliche Situation. Auf welche Themen setzen die Demokraten im Wahlkampf besonders stark und warum?
Die Demokraten sind stark fokussiert auf das Thema Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Präsident Biden hat erst kürzlich versprochen, das vom Obersten Gerichtshof, dem Supreme Court, kürzlich abgeschaffte landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche per Gesetz wieder einzuführen, wenn die Demokraten die Mehrheit im Kongress verteidigen. Dagegen regt sich jedoch auch in der eigenen Partei Widerstand: Bernie Sanders, Senator von Vermont, hat erst vor wenigen Tagen in einem Artikel für den britischen „Guardian“ davor gewarnt, sich zu sehr auf dieses Thema zu konzentrieren. Es gehe auch darum, die wirtschaftliche Ungleichheit und die großen wirtschaftlichen Nöte, in denen sich viele Amerikaner befinden, anzusprechen und zu zeigen, dass die Demokraten hier bessere Antworten als die Republikaner liefern. Dies geschieht nur in Ansätzen und lässt die Sorge aufkommen, dass die Partei Fehler aus der Hillary-Clinton-Kampagne von 2016 wiederholt. Die US-Wählerinnen und Wähler sind jedoch ganz klar auch von wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen, dort steigen ebenfalls die Benzinpreise. Teile der Bevölkerung sind ohnehin seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr richtig auf die Beine gekommen.
Das Thema Wirtschaft hat bereits zahlreiche vergangene Wahlen entschieden. Auch diese?
Donald Trump hat von einem wirtschaftlichen Aufschwung profitiert, der bereits unter Präsident Obama begann. Erst nach seiner Wahl hat sich das am Arbeitsmarkt niedergeschlagen, was Trump dann als sein Verdienst reklamiert hat. Biden muss sich nicht nur mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auseinandersetzen, sondern auch mit dem Ukraine-Krieg und dessen wirtschaftlichen Auswirkungen. Das macht es den Demokraten derzeit nicht leicht. Historisch gesehen gewinnt bei den Midterms ohnehin fast immer die Opposition, diesmal aber ist die Situation für die Regierungspartei besonders schwierig.
Schwierig für beide Parteien oder nur die Demokraten?
Für die Demokraten sind die Umstände schwierig; die Republikaner machen es sich eher schwer. Hätte die Partei in einigen Staaten moderatere Kandidaten statt radikaler Trump-Anhänger aufgestellt, würde sie sicher die Zwischenwahlen gewinnen. Natürlich macht eine Oppositionspartei, wenn es gerade mal schlecht läuft, dafür die Regierungspartei verantwortlich, keine Frage. Auch wenn Teile dieser Entwicklung auf das eigene Regierungshandeln zurückzuführen sind, als das Weiße Haus in republikanischer Hand war. Das ist in Deutschland ja nicht anders. Die Partei aber hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend radikalisiert und agiert in einer Fundamentalopposition gegen die demokratische Regierung. Dies hat damit zu tun, dass Teile der Partei Biden nicht einmal als legitimen Präsidenten anerkennen.
Dies ist jedoch kein neues Phänomen und begann schon mit der Tea-Party-Bewegung in der Amtszeit Obamas.
Ja, man könnte es sogar noch weiter zurückverfolgen. Aber bis vor einigen Jahren versuchte das Partei-Establishment noch, diese Bewegung in der eigenen Partei einzuhegen. Zum Präsidentschaftskandidaten haben die Republikaner 2012 Mitt Romney gekürt, einen im Vergleich gemäßigten Konservativen, sehr wirtschaftsliberal, aber in keiner Weise so radikal wie manche Kandidaten heute. Seit 2015 treibt nun Donald Trump mehr und mehr die Partei vor sich her. Was ich persönlich nicht für möglich gehalten hätte, und das macht mir am meisten Sorgen, ist, dass sich die Partei die Verschwörungstheorie Trumps zu eigen macht. Diese lautet: Die Wahl 2020 wurde gestohlen. Dieses Narrativ hält sich auch nach Trumps Niederlage hartnäckig. Und das hat fatale Auswirkungen.
Nun bewegen sich die Demokraten zwischen Progressiven und Moderaten, die Republikaner zwischen Pro-Trump und „Nur-ein-bisschen“-Pro-Trump. Früher konnten die Parteien ihre innerparteilichen Risse kitten und sich neu erfinden. Heute nicht mehr?
Die Demokraten haben es hier deutlich schwerer als die Republikaner. Wenn wir uns das Spektrum in der Demokratischen Partei anschauen, gibt es dort Menschen, die in Deutschland in der CDU wären, bis hin zu welchen, die bei der Linken wären. Die muss man alle unter einen Hut bringen. Es gelang mit Ach und Krach 2020, aber auch nur deshalb, weil das Feindbild Trump so stark war. Das versammelte sogar Linke aus dem progressiven Flügel der Demokraten hinter dem eher ungeliebten Biden, weil es galt, Trump zu schlagen. Nun, da die Demokraten den Präsidenten stellen, treten diese Bruchstellen offener zutage. Bei den Republikanern ist das Spektrum nicht so breit. Die Partei ist mehrheitlich auf eine Linie eingeschwenkt, die relativ radikal ist. Belege dafür sehen wir darin, dass all diejenigen, die sich öffentlich von der Verschwörungstheorie über die gestohlene Wahl und den Sturm auf das Kapitol distanziert haben, wie etwa Liz Cheney, von Parteigremien abgemahnt oder kaltgestellt wurden. Cheney hat man all ihrer Ämter im Repräsentantenhaus enthoben, zur Wiederwahl durfte sie nicht mehr antreten, weil sie die parteiinterne Vorwahl gegen eine radikalere Kandidatin verlor, die von Trump gestützt wurde.
Welchen Einfluss haben Trumps ständig wiederholte Behauptungen von der „gestohlenen Wahl“ und der Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 auf die anstehende Wahl?
Natürlich gibt es in der Republikanischen Partei Menschen, die diese Entwicklung ganz schrecklich finden, den Sturm aufs Kapitol und die Mär von der gestohlenen Wahl für Humbug halten. Dennoch müssen sie, wenn sie politisch noch etwas werden wollen, entweder nichts dazu sagen oder aus strategischen Gründen mitmachen. Andere sind glühende Verfechter dieses Narrativs. Mitch McConnell beispielsweise, der Senatsführer der Republikaner, versucht sich das von der Seitenlinie aus anzuschauen und sich nicht zu positionieren. Die letzten beiden Gruppen eint, dass Trump der Partei vermeintlich ein Erfolgsrezept vorgegeben hat: Zum einen spricht diese Art der Politik traditionelle republikanische Wähler an, die einen schlanken Staat, wenig Steuern, Recht auf Waffenbesitz, keine Abtreibung wollen. Mit Populismus haben diese Menschen nichts am Hut, aber in dieser polarisierten politischen Lage in den USA kämen sie nie auf die Idee, einen Demokraten zu wählen. Und dann gibt es diejenigen, die empfänglich sind für diese konspirationistische Rhetorik von Trump. Aus beiden formte Trump eine Koalition, die ihm 2016 den Sieg brachte.
Werden die Republikaner dieses Modell weiter verfolgen?
Sicherlich. Außerdem haben die Republikaner auf Ebene der Bundesstaaten recht viel für den eigenen Machterhalt getan, und hier wird es für die Demokratie ebenfalls problematisch: ein beschränktes Recht auf Briefwahl, weniger Wahllokale für Gegenden, in denen demokratisch gewählt wird, geänderte Wahlbezirke zugunsten der Republikaner und vieles mehr. Sie stellen sicher, dass sie Wahlen nur noch schwer verlieren können, und haben Mechanismen implementiert, damit sie die Wahl im Falle einer Niederlage leicht anfechten können. Dazu kommen Wahlverantwortliche in einigen Staaten, die das Trump-Narrativ der gestohlenen Wahl unterstützen und dadurch vielleicht geneigt sind, demokratische Stimmen für ungültig zu erklären. Mit Verweis auf die angeblich gestohlene Wahl versuchen die Republikaner also, das Wahlsystem zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Das ist zutiefst besorgniserregend, denn nun kommen wir in einen Bereich, in dem undemokratische Zustände herrschen. Wir wissen auch nicht, wie sich ein sehr ideologisch aufgeladener Supreme Court im Falle eines Falles dazu verhalten würde.
Schaffen sich die Republikaner hier durch die Hintertür eine rechtskonservative, rechtspopulistische Machtbasis?
Das könnte passieren. Wir hören nicht von ungefähr seit Jahren Vergleiche zwischen den USA und Ungarn. Mittlerweile ist ein Diskurs unter den amerikanischen Liberalen im Gange, der vor einer Annäherung der US-Demokratie an die politischen Verhältnisse in Ungarn unter Viktor Orbán warnt. Dort ist es der regierenden Fidesz-Partei gelungen, ihre eigene Machtbasis auf lange Zeit zu zementieren, ohne die Demokratie per se abzuschaffen – zum Beispiel, indem die Opposition im staatlich kontrollierten Fernsehen keine Sendezeit mehr erhält. Genau das wird in den USA nicht passieren: Dort müssen die Medien nur bestimmte Bevölkerungsmilieus erreichen, aufgrund des Wahlsystems müssen die Parteien nur bestimmte Staaten für sich gewinnen. Es gibt jedoch einen Fall, der bislang wenig in den Medien aufgegriffen wurde und der diese Verschiebung der Macht auslösen könnte: Moore versus Harper. Dieser Fall steht auch in der kommenden Sitzungsperiode des Supreme Court bis 2023 auf dem Prüfstand. Dabei geht es um eine obskure Passage der US-Verfassung, wonach nur die „independent state legislature“, also die unabhängige gesetzgeberische Instanz eines Bundesstaates, ohne Eingriff der Regierung in Washington, das Wahlsystem auf bundesstaatlicher Ebene ausgestalten und das Ergebnis der Wahl feststellen darf. Wenn der Supreme Court sagt, ja, das ist so, würde dies Tür und Tor öffnen für all das, was Trump bereits nach der Wahl 2021 von den Staaten gefordert hat: So hätte der Staat Georgia, in dem das Parlament republikanisch kontrolliert ist, nach Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Wahl, die Wahlmänner des Staates an Trump statt an Biden geben können – obwohl Biden die Wahl im Bundesstaat knapp gewonnen hatte.
Die Demokraten indessen scheinen zu glauben, dass solche extremen Kandidaten, wie sie die Republikaner mit Trumps Unterstützung aufgestellt haben, leichter zu schlagen sind als moderate. Eine richtige Einschätzung?
Das ist schwer zu sagen. Daran merken wir, wie problematisch das politische System der USA geworden ist. Die extremen, von Trump unterstützten Kandidaten der Republikaner, die manchmal auch recht plump auftreten und gelegentlich sogar „Dreck am Stecken haben“, können vielleicht seriösen demokratischen Kandidaten helfen. Die Strategie könnte aufgehen. Andererseits ist sie hochgefährlich. Denn wenn diese Kandidaten doch im Senat landen, bedeutet dies auch einen Auftrieb für das Trump-Narrativ. Und man muss sich mit diesen Abgeordneten auseinandersetzen.
Biden gilt derzeit als unpopulär, welchen Einfluss hat er auf den Wahlausgang?
Biden kann selbst kaum etwas dafür, was er geerbt hat: die Covid-Nachwirkungen und der Krieg und seine wirtschaftspolitischen Auswirkungen. Dennoch machen ihn die Wähler für ihre Lage verantwortlich, weshalb er bei den demokratischen Kandidaten derzeit als Wahlhelfer auch nicht so beliebt ist.
Welchen Einfluss hat Trump?
Das werden wir sehen, je nachdem, wie sich die Kandidaten schlagen, die er unterstützt. Schlagen sie sich schlecht, könnte sich die Partei auch zunehmend von ihm als potenziellem Präsidentschaftskandidaten 2024 distanzieren. Schlagen sie sich gut, gibt dies mächtig Rückenwind für seine kommende Kampagne, mit der er ja ständig kokettiert. Das Establishment der Partei hofft vermutlich auf einen Kandidaten wie Trump, der jedoch die gleiche Linie geschickter und intelligenter vertritt.