Die 28. Auflage der Handball-WM geht vom 11. bis zum 29. Januar in Polen und Schweden über die Bühne. Dabei zählt das deutsche Team nicht zu den Titelfavoriten. Als Minimalziel haben sich die Spieler aber zumindest vorgenommen, unter den ersten acht Mannschaften zu landen.
Mit dem Auftaktspiel gegen Katar beginnt für die deutlich verjüngte deutsche Handball-Nationalmannschaft am 13. Januar die Mission Handball-WM in Polen und Schweden. Dabei werden im polnischen Katowice in der Vorrundengruppe E alle Matches in der mehr als 11.000 Zuschauer fassenden Spodek-Arena ausgetragen. Die wird bereits zwei Tage zuvor mit dem Spiel zwischen Frankreich und Co-Gastgeber Polen eröffnet. Das Finale geht dann am 29. Januar in Stockholm über die Bühne. Das 18-köpfige deutsche Team hat einiges gutzumachen. Schließlich hatte man bei der vorherigen Weltmeisterschaft 2021 in Ägypten mit dem mehr als enttäuschenden zwölften Platz das schlechteste Ergebnis der Verbandsgeschichte eingefahren. Dennoch hat der DHB klar das Erreichen des Viertelfinales als Minimalziel ausgegeben. Dafür muss zunächst die Vorrunde überstanden werden, für die die 32 teilnehmenden Nationen in acht Gruppen mit jeweils vier Mannschaften aufgeteilt wurden. Danach wartet die Hauptrunde mit vier Sechser-Gruppen, aus denen sich jeweils die beiden besten Teams für die K.-o.-Spiele des Viertelfinales qualifizieren werden. Angesichts der noch immer hochgesteckten Ambitionen des einst mit drei WM-Titeln und zwei Europameisterschafts-Gewinnen erfolgsverwöhnten deutschen Herrenhandballs konnte etwas anderes als die Viertelfinal-Vorgabe eigentlich nicht infrage kommen. Auch wenn der letzte internationale Titelgewinn bei der EM 2016 und die letzte olympische Medaille, nämlich Bronze, aus dem gleichen Jahr, nun schon geraume Zeit zurückliegen.
Umso bemerkenswerter, dass Bundestrainer Alfred Gislason in seinem kurz vor Weihnachten 2022 nominierten WM-Kader noch fünf Spieler berücksichtigen konnte, die auch 2016 schon mit am Ball gewesen waren: Torhüter Andreas Wolff und die Feldspieler Rune Dahmke, Simon Ernst, Kai Häfner sowie Jannik Kohlbacher. Das dürfte dem Kader die für eine WM nötige Erfahrung und Stabilität verleihen, auch wenn damit die Ausfälle in der ehemals von der Konkurrenz gefürchteten deutschen Abwehr wohl nicht gänzlich kompensiert werden können. Nur auf die Jugend möchte sich Gislason offenbar nicht verlassen. Schließlich ist der neue Anführer und Kapitän des Teams, der Kreisläufer Johannes Golla, erst 25 Jahre alt. Und der als Spielmacher vorgesehene Hoffnungsträger Juri Knorr zählt ebenso wie der für den defensiven Innenblock vorgesehene Julian Köster gerade mal 22 Lenze. Die beiden Youngster können sicher noch einiges lernen vom ältesten Spieler des deutschen Aufgebots, nämlich dem inzwischen 33-jährigen Rechtsaußen Patrick Groetzki. Für DHB-Sportvorstand Axel Kromer spiegelt das Aufgebot daher viele nützliche Eigenschaften wider: „Erfahrung, Potenzial und im Wesentlichen auch eine gewisse Kontinuität, die für Erfolg unabdingbar ist.“
Wenig Angst vor Hauptrunde
Nach der im Sommer 2022 erfolgten und für den DHB ziemlich glücklich verlaufenen WM-Auslosung hatte sich der Bundestrainer hochzufrieden geäußert: „Wir haben insgesamt ein gutes Los erwischt – auch mit Blick auf das mögliche Tableau in der Hauptrunde. Mit Katar als Asienmeister und Serbien haben wir ohne Frage zwei sehr gute Mannschaften bekommen. Der fünfte Afrikavertreter ist eine wahrscheinlich in jeder Hinsicht unbekannte Größe.“ Inzwischen ist natürlich klar, dass das deutsche Team am 17. Januar zum Abschluss der Vorrunde auf Algerien treffen wird – zwei Tage nach dem Match gegen Serbien. Alle drei Gegner müssten für die DHB-Auswahl schlagbar sein, die sich zum 13. Mal in Folge für eine WM-Endrunde hat qualifizieren können. Wobei man sich möglichst keinerlei Punktverluste leisten sollte, weil die drei Erstplatzierten der Gruppe sämtliche gegeneinander erzielten Ergebnisse mit in die aus sechs Teams bestehende Hauptrunde mitnehmen werden.
Bei der Auslosung war festgelegt worden, dass die drei qualifizierten Teams aus der deutschen Gruppe E mit den drei entsprechenden Teams aus der Gruppe F in der Hauptrundengruppe III zusammengelegt werden. Diese wird zwischen dem 19. und 23. Januar weiterhin in Katowice gespielt. Daher konnte sich der DHB schon mal ernsthafte Gedanken über mögliche Gegner machen. Die vier potenziellen Kontrahenten aus der Gruppe F sind daher Argentinien, die Niederlande, Mazedonien und Norwegen – das wohl leistungsstärkste Team um den für den THW Kiel spielenden Superstar Sander Sagosen. Richtig dicke Brocken sind diese vier Nationen allesamt nicht. In der Hauptrunde bleibt dem DHB-Team jedoch Weltmeister Dänemark erspart, das mit dem dreimaligen Welthandballer Mikkel Hansen, dem aktuellen Welthandballer und THW-Kiel-Torwart Niklas Landin oder dem Rückraum-Linkshänder Mathias Gidsel sowie dem Flügelspieler Hans Lindberg (beide von den Füchsen Berlin) bestückt ist. Auch Olympiasieger Frankreich ist erstmal außen vor, das von der Legende Nikola Karabatic und dem neuen Top-Star Dika Mem vom FC Barcelona angeführt wird. Zudem werden Europameister Schweden mit Jim Gottfridsson von der SG Flensburg-Handewitt und die starken Spanier umschifft, die von Alex Dujshebaev angeführt werden.
Auch den häufig als Geheimfavoriten genannten Mannschaften aus Kroatien (mit Domagoj Duvnjak vom THW Kiel), Ägypten, Slowenien, Island (mit Aron Pálmarsson) oder Polen kann Deutschland aus dem Weg gehen. Dennoch dürften dem DHB-Team, trotz überzeugender kämpferischer Leistungen bei der letzten EM kaum mehr als Außenseiter-Chancen eingeräumt werden, was Medaillen angeht. Bei jener war allerdings schon in der Zwischenrunde Schluss. Denn angesichts des vorab skizzierten Modus müssten die beiden besten Teams der Hauptrundengruppe III gegen die beiden besten Teams aus der Hauptrundengruppe I (mit den qualifizierten Mannschaften aus den Vorrundengruppen A und B) am 25. Januar im polnischen Gdansk antreten. Und da muss man kein großer Prophet sein, um Frankreich oder Spanien als wahrscheinliche Gegner des deutschen Teams vorhersagen zu können.
Selbst Polen vor heimischem Publikum oder Slowenien könnten hohe Hürden für die DHB-Auswahl darstellen. Sollte das deutsche Team überraschenderweise das Viertelfinale überstehen, würde es am 27. Januar das Halbfinale in Gdansk bestreiten können, wobei das zweite Halbfinale am gleichen Tag in Stockholm ausgetragen wird. ARD und ZDF teilen sich die Übertragung der deutschen Spiele, auch Eurosport wird rund 15 Matches ohne deutsche Beteiligung ausstrahlen. Wer alle Partien verfolgen möchte, kann das durch gebührenpflichtiges Streamen bei sportdeutschland.tv tun.
Für jedes Match darf Bundestrainer Gislason 16 Spieler nominieren. Sollte sich im Turnierverlauf jemand verletzten, kann Gislason bis zu fünf Akteure als Ersatz aus dem im November offiziell gemeldeten erweiterten 35-köpfigen Kader anreisen lassen.
Mögliche Startformation
Im Tor ist Andreas Wolff gesetzt, der in der aktuellen Saison seine Weltklasse wieder eindrücklich unter Beweis stellen konnte. Eine kleine Überraschung war die Nominierung des 25-jährigen Joel Birlehm als zweiter Goalie, der dank seiner großartigen Leistungen im Tor der Rhein-Neckar Löwen den Vorzug vor Altmeister Silvio Heinevetter erhalten hat. Die größte Baustelle ist fraglos die Abwehr, weil ohne die Recken Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek vom THW Kiel und Finn Lemke von der MT Melsungen der komplette Innenblock ersetzt werden muss. Gislason wird bei der WM wohl versuchen, die Lücke durch Johannes Golla und Julian Köster oder alternativ auch durch Simon Ernst zu schließen.
Die „Taz“ hat kürzlich eine ziemlich wahrscheinliche klingende Startformation des DHB für die WM veröffentlicht. Demnach dürfte Gislason folgende Stammsieben ins WM-Turnier schicken: „Andreas Wolff im Tor, Golla und Julian Köster im Innenblock, Lukas Mertens und Patrick Groetzki auf Außen sowie Knorr als Spielmacher, Häfner auf halbrechts und Drux (im Wechsel mit Köster) auf halblinks.“ Nicht dabei sind die zuletzt verletzten Julius Kühn, Marcel Schiller und Lukas Stutzke. Ärgerlich für Gislason war auch der erzwungene Verzicht auf Fabian Wiede, der sich einer umfangreichen Zahnbehandlung unterziehen möchte.
Gewaltige Rückraumschützen kann Gislason leider nicht aufbieten. Da muss er mit Philipp Weber, Kai Häfner, Luca Witzke, Juri Knorr, Paul Drux, Simon Ernst, Christoph Steinert, Djibril M’Bengue oder Julian Köster wohl improvisieren. Am offensiven Kreis könnten Jannik Kohlbacher oder Tim Zechel den auch in der Abwehr stark geforderten Johannes Golla etwas entlasten. Auf Linksaußen ist Rune Dahmke eine Alternative zu Lukas Mertens, auf Rechtsaußen Lukas Zerbe die Lösungsmöglichkeit zu Patrick Groetzki.
Wenn es um offensive Rückraumspieler geht, die in einem engen Spiel den Unterschied ausmachen können, so hat die ARD schon mal die beiden Youngster Juri Knorr und Julian Köster zu den größten Hoffnungsträgern im DHB-Aufgebot gekürt. „Es ist an der Zeit, dass viele über den Talentstatus hinauswachsen“, so Johannes Golla.