Nach den Zwischenwahlen können die Republikaner den Kongress womöglich zurückerobern. Für Präsident Biden würden schwere Zeiten anbrechen – denn immer extremere Kandidaten stellen das politische System vor eine Zerreißprobe.
Können die Demokraten eines der beiden Häuser, Senat oder Repräsentantenhaus, halten? Die Frage ist eng mit der politischen Zukunft von US-Präsident Joe Biden verknüpft. Verlieren die Demokraten eine der beiden Kongresskammern, wird es ungleich schwerer, Gesetze zu verabschieden. Eine „geteilte Regierung“ benötigt auch Stimmen aus dem oppositionellen Lager, um handlungsfähig zu bleiben. Verlieren die Demokraten beide Kammern, könnte Biden zur „lame duck“ („lahmen Ente“) im Weißen Haus werden – ihm wären die Hände gebunden, er könnte wahrscheinlich nur noch mittels präsidialer Dekrete regieren. Denn die Republikaner haben bereits angekündigt, dass sie im Falle ihres Wahlsieges mit allen Mitteln die Politik der Demokraten behindern werden.
Millionen Amerikaner haben bereits vorab gewählt, Analysten vermuten eine hohe Wahlbeteiligung. Bei den diesjährigen Senats- und Kongresswahlen in den USA steht die Demokratie auf dem Spiel – das sagen nicht nur die Demokraten, die nicht müde werden, den politischen Gegner als extremistisch zu bezeichnen. Das sagen auch die Republikaner, die sich vornehmlich gegen „Wokeness“, linke „Cancel Culture“ und eine soziale Agenda stemmen und deren Kandidaten in der Regel noch immer dem weiterhin unbewiesenen Trump-Narrativ einer gestohlenen Präsidentschaftswahl folgen.
In den zwei Jahren seiner bisherigen Amtszeit hatte Joe Biden Versöhnung versprochen. Tatsache ist, dass er nicht einmal die eigene Partei geschlossen hinter sich versammeln konnte. Sein Billionen Dollar schweres Konjunktur-, Umwelt- und Sozialprogramm „Build Back Better“ musste er stark zusammenstreichen lassen. Joe Manchin, demokratischer Senator, verweigerte seine Zustimmung so lange, bis das Gesetz nur noch als schwacher „Inflation Reduction Act“ verabschiedet wurde. Manch ein konservatives Zünglein an der Waage profitiert derzeit vom geteilten Senat: Weil die 50 republikanischen und 50 demokratischen Senatoren nicht zusammenarbeiten, können Gesetze letztlich nur durch die Stimme der demokratischen Vizepräsidentin Kamala Harris verabschiedet werden – mit einem einzigen Abweichler in den eigenen Reihen unmöglich.
Ausgrenzung als einzige Antwort auf veränderungen
Traditionell sind die Midterms eine Abstimmung über die bisherige Arbeit der Regierung. Sonderlich zufrieden sind die amerikanischen Wähler laut Umfragen nicht. Dabei kann die Regierung wenig für die aktuelle Situation, die aus dem finanziellen Erbe der Pandemie und der Inflation infolge des Ukraine-Krieges resultiert. Bidens Erfolge bisher: besagtes Inflations-Reduktions-Gesetz, der „American Rescue Plan“, ein massives Infrastruktur-Gesetz; zusammen Investitionen von vier Billionen US-Dollar in eine marode öffentliche Infrastruktur, Einmalzahlungen im Zuge der Pandemie für kleine und mittelständische Betriebe, geringere Kosten in der Krankenversicherung, mehr öffentlichen Nahverkehr, saubere Wasser- und Energieversorgung. Trotzdem können sich die Republikaner aller Wahrscheinlichkeit nach über die Mehrheit in einer oder gar beiden Kammern des Kongresses freuen, denn profitieren konnte Biden von seinen bisherigen Erfolgen nicht. Was dies bedeutet, hat der designierte Mehrheitsführer der „Grand Old Party“, Kevin McCarthy, bereits klargestellt: Der Kongress würde Untersuchungsausschüsse zu Bidens Sohn Hunter anstrengen, von dem die Republikaner behaupten, er habe dubiose Geschäftsverbindungen nach China und in die Ukraine, gewissermaßen als Retourkutsche für all die Anschuldigungen gegen den Heilsbringer der Republikaner, Donald Trump.
Überhaupt schwebt der Schatten des 45. Präsidenten, der noch immer unbeirrt die unbewiesene Behauptung einer gestohlenen Wahl verbreitet, weiter über dem politischen System der USA. Von zehn aktiven republikanischen Politikern im Kongress, die als Trump-Kritiker gelten, gewannen nur zwei ihre Nominierung für die Midterms – der Rest zog sich freiwillig zurück oder verlor, wie im Falle von Liz Cheney, bereits im Rennen um die Kandidatur gegen einen von Trump unterstützten Gegenkandidaten.
Trump unterstützt fast 200 Kandidaten – für den Kongress und für die gleichzeitig stattfindenden Gouverneurswahlen in zahlreichen Bundesstaaten. Die meisten, 92 Prozent von ihnen, gewannen laut dem Datenportal „Ballotpedia“ die parteiinternen Vorwahlen – bislang vor allem, weil es kaum Gegenkandidaten gab. Ob Trump, der selbsterklärte König der parteiinternen Unterstützung, auch die Gunst der Wähler gewinnen kann, bleibt bis zum Wahlabend am 8. November fraglich.
Trumps Kandidaten wie Herschel Walker, Blake Masters, Doug Mastriano oder Kari Lake, die seine Lüge vom Wahlbetrug unterstützen, die teils den gewaltsamen Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 begleitet haben, die Verschwörungstheorien verbreiten und ein christlich-fundamentalistisches Weltbild unterstützen, könnten das ohnehin bereits zerrissene System weiter erodieren.
Der Plan der Republikaner: das Ziehen neuer Wahlkreisgrenzen zu ihren Gunsten, das Einschränken von Briefwahlmöglichkeiten und weniger Wahllokale in demokratisch geprägten Wahlkreisen. All das zielt darauf ab, das politische System zugunsten der Republikaner auf Jahre hinaus zu zementieren – während sich zugleich die US-Gesellschaft bis 2044 rasant verändern wird, so die US-Statistikbehörde, weil weiße, nicht-hispanischstämmige Wähler weniger werden. Zunehmend radikalisiert, begegnet die Republikanische Partei einer multipolaren Gesellschaft mit nur noch einer Antwort: Ausgrenzung.