Island ist bekannt als Land der Elfen und Trolle. Auf der Vulkaninsel im Atlantik leben Menschen und Fabelwesen in perfekter Harmonie.
Elfen habe auf Island ähnlich viele Anhänger wie die FDP bei uns. Zehn Prozent aller Bürgerinnen und Bürger glauben, dass Fabelwesen auf ihrer Insel leben, sechs von zehn halten das zumindest für möglich.
Eine Landschaft, die hauptsächlich aus bizarren Felsformationen besteht, regt natürlich die Fantasie an. Wandert man bei schlechtem Wetter, bei Schnee, Regen oder Nebel, durch die Natur, erkennt auch der nüchternste Großstadtmensch bald Gesichter und Figuren im Gestein. Entsprechend war Island schon Drehort für unzählige Filme. Immer wenn Fantasy, Science-Fiction oder sonst etwas Spektakuläres das Thema war, war die Insel erste Wahl. Die Netflix-Serie „Katla" wurde hier ebenso gedreht wie Teile von „Game of Thrones" oder „Star Wars". James Bond ging hier in „Stirb an einem anderen Tag" auf Verbrecherjagd und Angelina Jolie fuhr als Lara Croft in „Tomb Raider" über die berühmte Gletscherlagune Jökulsárlón. Bei so viel spektakulärer Natur wundert es nicht, dass gerade auf Island der Elfenglauben seine Anhänger findet. Die Isländer sprechen vom Huldufólk – dem „versteckten Volk".
Und dazu gibt es auch eine Geschichte. Elfen sind nämlich die ungewaschenen Kinder von Adam und Eva. Eines Tages kam Gott zu Besuch, sein Kommen hatte er aber nur kurzfristig angekündigt und deswegen konnten die Stammeltern aller Menschen nicht mehr alle ihre Kinder waschen. Die hatten draußen gespielt und waren total verdreckt. Diejenigen, die noch schmutzig und deswegen nicht vorzeigbar waren, versteckten Adam und Eva im Keller. Gott entging das natürlich nicht. Er wurde wütend, weil die beiden ihn hintergangen hatten und schimpfte: „Wenn ich eure Kinder nicht sehen darf, dann soll sie niemand sehen." Die Kinder im Keller verwandelte Gott zu Elfen, und die blieben fortan für Menschen unsichtbar. Eine denkwürdige Geschichte – und doch ist es mehr als nur eine Geschichte. Denn das Wohlergehen der Elfen hat bis heute Einfluss auf die reale Politik.
Seit 30 Jahren hält sich in der deutschen Presse das Gerücht, dass es in Island einen eigenen Elfenbeauftragten gäbe. Das stimmt zwar nicht und geht auf die fantasievolle Wortschöpfung eines deutschen Buchautors zurück. Allerdings prüfen die Behörden, bevor eine Straße gebaut wird, routinemäßig, ob dadurch Kulturgut zerstört oder beschädigt wird. Das betrifft nicht nur Orte, an denen angeblich Elfen wohnen – aber die eben auch. Um auffällige Geländeformationen wie große Steine oder Felsen machen Straßen deswegen oft einen Bogen. So wurde beispielsweise ein Autobahnabschnitt, der durch einen Vorort von Reykjavík führt, um einige Meter verlegt, um die Elfen nicht zu stören. Und in Kópavogur verengte man eine Straße, damit sie an einem Elfenhügel vorbeipasst – „Álfhólsvegur", Elfenhügelweg, heißt die schmale Gasse jetzt. Ereignen sich auf einer Straße auffällig häufig Unfälle, schaut man sich deren Verlauf nochmals genauer an – könnte ja sein, dass man die Strecke irrtümlicherweise durch ein Wohngebiet von Elfen gelegt hat.
Straßen werden wegen Elfen verlegt
Die Gemeinde Hafnarfjördur rühmt sich öffentlich und werbewirksam mit der größten Elfenpopulation im Land und hinter einem Wasserfall in Hellisgerði soll es sogar ein Elfencafé geben. Der großzügige Umgang mit den Elfen beziehungsweise deren Anhängern hat sicher auch damit zu tun, dass man auf der Vulkaninsel sehr viel Platz hat und es keine Rolle spielt, ob eine Straße zehn Meter weiter links oder rechts durchs Nichts führt.
Elfen sind normalerweise freundliche Wesen, die Menschen sogar helfen und aus Notlagen retten, böse werden sie allerdings, wenn man ihre Häuser zerstört. Dann beschädigen sie auch schon mal Baufahrzeuge oder bringen Autos von der Straße ab. Nicht nur die Behörden, sondern auch Privatleute wollen deswegen sichergehen, dass sie keine Elfen verärgern. So mancher Bauer lässt auf seiner Wiese eine Ecke ungemäht, wenn er dort ein Elfenhaus vermutet, oder er bietet den Fabelwesen zum Ausgleich zumindest eine Ersatzwohnung an. In manchen Gärten und manchmal sogar am Straßenrand sieht man kleine Holzhäuschen, die ein bisschen an Puppenhäuser erinnern oder an thailändische Geisterhäuschen, in denen die Seelen der Ahnen verehrt werden. Wer sich so absichert, der macht auf keinen Fall einen Fehler. Wie bei uns Menschen hilft es auch bei Elfen, wenn man im Konfliktfall das Gespräch sucht. Kenner der Fabelwesen raten dazu, das eigene Verhalten zu erklären und sich für falsches Verhalten zu entschuldigen. Eine Antwort der Elfen darf man zwar nicht erwarten, das heißt aber noch lange nicht, dass man nicht gehört wird. Eine isländische Tageszeitung hat von einem Fall berichtet, in dem ein Bauer das Gras auf einem Elfenhügel gemäht hat. Daraufhin ging sein Traktor kaputt und ließ sich auch von den besten Spezialisten nicht reparieren. Nachdem er, vor dem Elfenhügel stehend, um Entschuldigung gebeten und für die Zukunft Besserung gelobt hatte, sprang sein Traktor problemlos wieder an.
Während Elfen nur dann Schaden anrichten, wenn man ihnen Böses will, sind Trolle – und auch die gibt es zuhauf auf Island – generell missgünstige Wesen. Sie sind riesengroß, scheuen das Tageslicht und sind deswegen nachts unterwegs. Dann sollte man sich auch in Acht nehmen vor ihnen. Gott sei Dank sind sie nicht besonders klug und lassen sich entsprechend leicht übertölpeln.
Schaffen sie es nicht vor Sonnenaufgang zurück in ihre Höhlen im Berg, versteinern sie an dem Ort, an dem sie der erste Sonnenstrahl trifft. Viele der schroffen Felsen, die man im Land findet, sind denn auch nichts anderes als zu Stein gewordene Trolle.
Volksmärchen und -sagen gibt es in jedem Land. Auf die Frage, warum auf Island diese Tradition besonders intensiv gelebt wird, gibt es gleich mehrere Antworten. Eine legt nahe, der Elfen-Mythos habe durch die lange Isolierung der Insel überlebt. Außerdem sei die Christianisierung, die gleichzeitig ein Verbot des Elfenglaubens mit sich gebracht hatte, dem Land von außen aufgezwungen worden. Daher sei ein Festhalten an den alten Traditionen gleichzeitig ein Zeichen gegen die fremde Oppression gewesen.
Trolle sind missgünstige Wesen
Inzwischen sind Trolle und Elfen aber auch zu einem handfesten Wirtschaftsfaktor geworden. Viele Touristen kommen nämlich ihretwegen auf die Insel und fast alle kehren zumindest mit einem Fabelwesen aus Holz oder als Druck auf dem T-Shirt aus dem Urlaub aus dem Norden zurück. Für die optische Darstellung eignen sich die bösen Trolle mit ihren langen Nassen übrigens besser als die Elfen. Von denen wissen nämlich nicht einmal die Experten, wie sie aussehen. Einig ist man sich nur darüber, dass die Leute des Huldufólks spindeldürr sind, lange Beine und große Ohren haben.
Wer die Elfen besuchen will, kann sich spezielle Elfenkarten kaufen, in denen die Wohnorte der Unsichtbaren eingezeichnet sind. Man kann aber auch Touren auf den Spuren von Elfen und Trollen buchen und dann unter fachkundiger Führung losziehen. Der Anbieter „Get your Guide" weist bei solchen Touren in seinem Internetauftritt „auf die hohe Nachfrage" hin.
Sogar eine Elfenschule gibt es in Reykjavík. In der Alfaskólin drücken vor allem deutsche Touristen die Schulbank. Die sind für Übersinnliches angeblich besonders empfänglich. Die Isländer selbst interessieren sich dagegen weder für Ausflüge an die geheimen Wohnorte des Huldufólks, noch wollen sie wissen, wie man die 13 Elfenarten und die zwei Typen von Trollen unterscheidet. Ihnen reicht es völlig, wenn sie in friedlicher Koexistenz mit den Versteckten leben können.