Resilienz-Trainer helfen Menschen, die innere Widerstandskraft zu stärken. Wie zum Beispiel Uwe Bernhardt von Naturzeit-Saar. Er nutzt in seinem Programm die Kraft der Natur.
Es ist ein kühler Donnerstagmorgen. Die Sonne versteckt sich hinter einer weißen Wolkendecke. Feuchtigkeit liegt in der Luft. Auf dem Weg zum Treffpunkt bildet sich eine lange Autoschlange. Eine rote Fahne weht durch die Luft, Demonstranten überqueren die Straße, die Autoschlange gerät ins Stocken. Laute Musik dröhnt von einem großen Parkplatz. Na toll, das kann dauern. Endlich am Treffpunkt angekommen, leicht gehetzt und genervt, wartet Uwe Bernhardt auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Ludwigsparkstadions am Waldrand von Saarbrücken. Nachdem die vierspurige Straße – Gott sei Dank – erfolgreich überquert wurde, kann es losgehen. Endlich. Schnell weg von den vorbeifliegenden Autos und dem dröhnenden Lärm, der herüberweht. Ironisch, dass das Natur-Resilienz-Training an diesem Tag erst mal mit einer guten Portion Stress beginnt. Oder vielleicht sogar ganz gut. Uwe Bernhardt geht langsam, ich merke, dass ich ihm bereits zwei Schritte voraus bin, weil ich versuche, von dem Lärm der Demonstrierenden wegzukommen. Ich passe meine Schrittgeschwindigkeit an. „Wie Sie sehen, versuche ich Sie gleich schon ein bisschen zu entschleunigen. Die meisten Leute preschen erst mal vor in den Wald“, erklärt der Natur-Resilienz-Trainer. Ich bemühe mich, die Straße mit all ihren Eindrücken hinter mir zu lassen und mich auf den Wald zu konzentrieren. Noch immer weht der Wind stoßweise einige Geräuschfetzen herüber.
„Die meisten Leute preschen vor“
„Wir beginnen erst einmal damit anzukommen“, erklärt Uwe Bernhardt, während er einen mit Moos bewachsenen Ast vom Wegrand über den Waldboden in die Mitte des Weges schleift. Er legt ihn in horizontaler Richtung ab. „Stellen Sie sich den Ast vor, wenn Sie möchten, schließen Sie Ihre Augen. Nehmen Sie zwei bis drei tiefe Atemzüge und wenn Sie soweit sind, treten Sie über den Ast als imaginäre Schwelle in den Wald ein.“
Ich tue wie mir geheißen. Beim Schließen der Augen spüre ich bereits, wie ich mich entspanne. Ich atme tief ein und aus, konzentriere mich auf das, was ich höre: Die Rufe verschiedener Vögel, ein paar Wassertropfen, die von kleinen Blättern in den Baumkronen über mir abprallen, kleine Tiere, die durchs Laub huschen. Ich öffne die Augen und trete über den Ast.
Die erste Übung zielt auf das verlangsamte Gehen ab. Uwe Bernhardt zieht eine Klangschale aus seinem Rucksack. „Die Glocke der Achtsamkeit“ nennt sich die Einheit. Die Anweisungen sind klar: loslaufen und den Gang jedes Mal, wenn die Klangschale erklingt, verlangsamen. Nicht nur der Gang wird langsamer, und mit ihm Atem und Herzschlag, auch die Aufmerksamkeit verändert sich. Je langsamer ich gehe, desto stärker nehme ich den Wald um mich herum wahr. Die kleinen Äste, die in den Weg ragen, fast kahl und nur noch mit vereinzelten Blättern daran. Das Moos auf den abgehackten Baumstümpfen um mich herum, das in einem saftigen Grün leuchtet. Der Matsch, der unter meinen Schuhsohlen hervorquillt und das Laub, das bei jedem Schritt aufgewirbelt wird.
„Die Natur ist der eigentliche Trainer. Sie wirkt durch ihre pure Anwesenheit. Man kann sie aber auch aktiv einbeziehen“, erklärt Uwe Bernhardt und fährt fort: „Auch das Thema inneres Kind spielt eine Rolle. Wieder ins Staunen, in die Faszination zu kommen. Das ist der Mechanismus, den die Natur auslöst, und das hat man im Innenraum nicht.“ Aber was bedeutet überhaupt dieser Begriff „Resilienz“, der heutzutage so gern im Kontext von sich überlagernden Krisen verwendet wird? Und wo liegt der Unterschied zu Resistenz?
„Schwierigkeiten und Krisen führen zuerst zu Belastungen und Tiefs. Resilienz ist die Fähigkeit, damit umzugehen und mit eigenen Ressourcen, eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten wieder aus dem Tal herauszukommen“, so der Natur-Resilienz-Trainer. Resistenz dagegen könne zwar ein Teil von Resilienz sein, „aber wenn es nur das ist, stellt sich eher die Frage von zu stark ausgeprägter ‚stabiler Emotionalität‘. Damit sind also Leute gemeint, die durch alles durchgehen wie ein Panzer, nicht nach links und rechts schauen und überhaupt nichts an sich heranlassen. Das ist eher untypisch“, fährt er fort. Für Resilienz würde daher häufig das Bild des Bambus gewählt: flexibel und biegsam.
Neue Bedürfnisse entdecken
„Der Begriff kommt ursprünglich aus der Physik. Manche Materialien, die belastet werden, geben zwar erst einmal nach, schwingen aber wieder zurück und finden nochmal eine Balance. Bleibt man in der Physik, könnte man sich Resistenz wie Material vorstellen, das nicht schwingt und dadurch eher zerbricht“, erklärt Uwe Bernhardt.
Die nächste Übung nennt sich „Die vier Himmelsrichtungen“. Dabei legt die Person, die die Übung macht, nach ihrem Empfinden vier Karten mit der Aufschrift „Norden“, „Süden“, „Westen“ und „Osten“ auf dem Boden aus. „Perfektionisten kommen bei dieser Übung meistens schon an ihre ersten Grenzen, wenn sie nicht genau wissen, wo die korrekten Himmelsrichtungen liegen. Aber um die korrekte Auslegung der Himmelsrichtungen geht es bei dieser Übung nicht“, so Uwe Bernhardt. Anschließend wird den vier Himmelsrichtungen jeweils eine weitere Karte mit einer Frage angelegt. Die vier Fragen lauten: „Was sind meine Leidenschaften?“, „Was gibt mir Halt?“, „Was ist mir wichtig?“ und „Was sind meine Wünsche?“. Ich stehe in der Mitte und soll mich jetzt für eine Frage entscheiden. Ich spüre kurz in mich hinein und wähle den Westen: „Was gibt mir Halt?“
„Meistens kommen zu meiner Kollegin Jutta Eich und mir Menschen, die nochmal eine Orientierung suchen. Sie sind in dem Sinne nicht orientierungslos, aber sie merken, dass es da noch etwas anderes gibt. Diese Menschen entdecken vielleicht auch neue Bedürfnisse für sich“, erzählt der Natur-Resilienz-Trainer. Auch Menschen, die aus einer Erkrankung herauskämen oder noch in einer Erkrankung seien, suchten laut Uwe Bernhardt Unterstützung in vielfältiger Art und Weise. „Und diesen Weg zurück zu den Wurzeln kann die Natur in ihrer Vielfalt geben.“
Das Training soll im Wesentlichen die Wurzeln von Resilienz vermitteln: Achtsamkeit, Optimismus, Akzeptanz, Selbstwirksamkeit, Beziehungspflege, kreatives Lösungsdenken und konzentriertes Handeln. „Ich denke, mit diesen sieben Resilienzfaktoren geht man wirklich an die Wurzeln des Menschseins. Es geht um unsere innere Motivation. Also die Frage: Was macht uns aus?“, so Uwe Bernhardt. Doch wie kommt man eigentlich dazu ein Natur-Resilienz-Trainer zu werden?
Der Wald hat heilende Wirkung
Uwe Bernhardt kommt ursprünglich aus dem Bereich des Personalmanagements. Zwei gesundheitliche Einschnitte in seinem Leben haben dazu geführt, dass er einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat. „Der krasse Einschnitt kam 2018 damit, dass ich gesagt habe, ich steige ganz aus diesen Strukturen aus. Ich mache mein eigenes Ding. Zu dieser Zeit habe ich auch die Natur wieder für mich entdeckt, weil sie mir sehr viel gegeben hat.“ Der Weg zum Natur-Resilienz-Trainer war dabei eher Zufall oder wenn man so will Schicksal. Uwe Bernhardt hatte sich unwissentlich zu einer Fortbildung für Natur-Resilienz-Training angemeldet und war, ehe er sich versah, schon mitten drin.
Wir laufen noch tiefer in den Wald hinein. Mittlerweile ist es still, bis auf die Naturgeräusche nimmt man kaum noch etwas anderes wahr. Ein Baumstamm bietet eine angenehme Sitzmöglichkeit. Mit Sitzkissen und heißem grünen Tee ist diese nicht nur bequem, sondern sogar relativ warm. Der Ort ist eine schöne Abwechslung zum sonst so lärmenden und hektischen Alltag. Hier lässt es sich aushalten – vorausgesetzt, es gibt noch mehr heißen Tee. Der Wald entfaltet bereits seine Wirkung. Aber wie macht er das?
„Im Grunde kommunizieren zwei Immunsysteme miteinander: Das Immunsystem des Waldes mit dem eigenen. Sie treten in Interaktion. Was da in der Hauptsache anspringt, ist unser limbisches System“, erklärt Uwe Bernhardt. Das limbische System ist ein Randgebiet zwischen Großhirn und Gehirnstamm. Es beeinflusst die hormonelle Steuerung und das vegetative Nervensystem. Von ihm gehen gefühlsmäßige Reaktionen auf Umweltreize aus. Dort werden also Emotionen verarbeitet. Die Natur hilft dabei, sich bei dieser Verarbeitung mehr Zeit zu lassen. Denn sie setzt an allen menschlichen Regulationsebenen an: den vegetativ-hormonellen, den muskulären, den emotionalen und den kognitiven. „Langsamkeit als Wert entdecken“, wie Uwe Bernhardt sagt.
Laut dem Trainer verurteilten einige Menschen oder auch Firmen das Natur-Resilienz-Training als Esoterik-Kram. Doch dieses Vorurteil treffe nicht zu. „Es ist mittlerweile durch Studien belegt, dass durch den Wald eine Heilwirkung möglich ist“, erklärt Uwe Bernhardt und fügt hinzu: „Das heißt natürlich nicht, dass der Wald jemanden von einer schweren Erkrankung heilen kann, aber er kann unterstützend wirken.“ Nicht umsonst kämen auch immer mehr Krankenkassen auf Natur-Resilienz-Trainerinnen und -Trainer zu. Wobei diese dann häufig ein fest vorgegebenes Programm von gerade einmal 90 Minuten vorschrieben. Uwe Bernhardt empfiehlt dagegen einen Aufenthalt im Wald von zwei bis drei Stunden, damit er seine volle Wirkung entfalten kann. Noch dazu kann diese nicht mithilfe eines vorgegebenen Plans erzwungen werden. Denn auch hier sei es wie im Sport: Gelassenheit müsse man trainieren.
Auf dem Weg zurück freue ich mich zwar auf das warme Auto. Den Stau und die Demonstration habe ich allerdings schon lange hinter mir gelassen. Neben den Achtsamkeitsübungen nehme ich ein nettes Gespräch mit in den Tag. Und den Vorsatz, heute alles ein bisschen langsamer angehen zu lassen.