Die vergangenen zehn Monate haben das Saarland durchgerüttelt – Regierungswechsel, Ford-Entscheidung, Ukraine-Krieg. Kurzum: Das Land befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch. Über die besten Wege dabei wird mit neu verteilten Rollen in der Landespolitik heftig gerungen.
Haushaltsberatungen sind Ort für Generaldebatten über alle Bereiche der Politik des Landes. Denn wofür Geld ausgegeben werden soll und darf oder eben nicht, ist eine politische Wertentscheidung. Die Debatten, die darüber derzeit im Saarländischen Landtag geführt werden, sind sichtlich munterer geworden.
Dafür gibt es gleich eine ganze Reihe von Gründen: Die Rahmenbedingungen haben sich seit dem 24. Februar, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, massiv verändert. Und am 27. März haben die Saarländerinnen und Saarländer die politischen Rollen im Land neu verteilt.
Nach einem Jahrzehnt großer Koalition stehen sich nun die ehemaligen Koalitionspartner in verteilten Rollen gegenüber, die SPD mit absoluter Mehrheit an der Regierung, die CDU in der Opposition. Nach knapp einem Vierteljahrhundert an der Regierungsspitze muss die Union die ungewohnte Rolle erst einmal lernen werden. Aber auch die SPD war zunächst nicht darauf eingestellt, alleine zu regieren.
Die Landtagswahl hat die politischen Verhältnisse im Land gründlich neu sortiert. Geblieben sind für das Land die Herausforderungen, die sogar noch ein großes Stück größer geworden sind. Die Folgen des Krieges in der Ukraine haben die Umbrüche, in denen das Land ohnehin steht, noch mal deutlich verschärft. Die SPD-Alleinregierung hat darauf mit der Vorlage eines Drei-Milliarden-Transformationsfonds reagiert und damit eine sehr grundlegende Debatte über die Landespolitik ausgelöst.
Befürworter des Transformationsfonds halten die Pläne für eine Art Befreiungsschlag, mit dem die grundlegende Transformation der Saar-Wirtschaft zu einem CO2-neutralen Industriestandort gelingen soll. Kritiker befürchten, dass das Land durch die neuen Schulden finanziell handlungsunfähig und damit in der Existenz gefährdet werde. Stephan Toscani, CDU-Landeschef und Oppositionsführer, fokussiert die grundlegend unterschiedlichen Ansätze zwischen seiner Partei und der Landesregierung: „Die SPD zockt mit der Zukunft unseres Landes, wir gehen auf Nummer sicher“. Damit steht das Feld offen für eine intensive Debatte über unterschiedliche Politikansätze.
Die AfD-Fraktion im Landtag beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die Forderung, der Bund müsse dem Land helfen. Bezifferte sie das in der letzten Legislaturperiode mit fünf Milliarden für das Land und drei Milliarden für Kommunen, hält sie jetzt eine Verdopplung der Forderung für angemessen.
Liberale und Grüne können sich bekanntlich auch weiterhin nicht im Parlament an der Debatte beteiligen. Die Grünen haben ohnehin weiter ausreichend mit sich selbst zu tun, die FDP tut sich nach wie vor schwer, wieder richtig Fuß zu fassen. Die Linke muss den Absturz bei der Wahl verkraften.
So werden die Debatten um grundlegende Entscheidungen in erster Linie zwischen den beiden großen Volksparteien und bisherigen Regierungspartnern ausgetragen. Für das Land ist die klare Rollenverteilung in dieser Situation allemal besser, als wenn weiterhin eine große Koalition hinter verschlossenen Türen um Koalitionskompromisse ringen müsste.
Weichenstellung für die Zukunft des Landes
Die immensen sich überlappenden Krisen wären jede für sich genommen schon eine massive Herausforderung. In Krisen früherer Jahre hat man im Land den großen Schulterschluss aller maßgeblich Beteiligten gesucht, eben einen „saarländischen Weg“. Das wird sich im alten Format, wie zuletzt, als es um die Umsetzung der Schuldenbremse ging, nicht wiederholen lassen. Dafür haben die Entwicklungen eine andere Dynamik und betreffen zu viele Baustellen gleichzeitig. In der Sache selbst gibt es ohnehin keinen wesentlichen Dissens, weder in der Politik noch bei den wesentlichen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Akteuren. Auch die CDU räumt einen Investitionsbedarf in ähnlicher Größenordnung wie der Transformationsfonds ein, nennt in ihrem Gegenkonzept eine Zahl von „2,8 Milliarden plus X“. Allerdings würde die Opposition das Geld auf anderem Weg mobilisieren und hält neue Schulden allenfalls in einer Größenordnung von einer Milliarde Euro für vertretbar.
Im Kern ist das zentrale Thema der Landespolitik auf absehbare Zeit damit definiert. Die CDU warnt allerdings davor, andere Themenfelder zu stiefmütterlich zu behandeln, und setzt vor allem auch die Situation der Kommunen sowie Bildungspolitik auf die Agenda. Reibungsfelder gibt es in beiden Bereichen reichlich.
Mit den Plänen für den Transformationsfonds hat die Regierung jedenfalls auch für Aufmerksamkeit im Rest der Republik gesorgt. Für das Land selbst wären zeitnah sichtbare Projekte von immenser Bedeutung. Dass SVolt die Pläne für Überherrn um Jahre zurückgestellt hat (zugunsten eines schneller realisierbaren Standortes in Brandenburg), war nach der Ford-Entscheidung gegen Saarlouis nicht besonders ermutigend (außer für die SVolt-Gegner). Die Investitionsentscheidungen von ZF ein erstes bedeutsames Signal für den Automobilstandort. Erste zeitnahe Entscheidungen für Nachfolgenutzungen in Saarlouis wären mehr als hilfreich. Entscheidungen in Sachen Stahl werden sich etwas länger hinziehen. Neben der Transformation im Automobilbereich hängt wesentlich am Stahl die Frage, ob der Umbau zu einem CO2-freien Industriestandort gelingen kann. Stahl ist für die Hälfte des saarländischen CO2-Ausstoßes verantwortlich.
Keine Frage, dass das Land noch andere beträchtliche Baustellen hat. Aufgrund der Haushaltsnotlage, verschärft durch die Schuldenbremsenauflagen, ist der Investitionsstau an allen und Ecken immens. Bekanntlich haben sich auch da die Rahmenbedingungen (Inflation, Zinsen, Fachkräfte, Lieferketten) nicht gerade verbessert. Zusätzlich sind weitere Aufgaben absehbar, beispielsweise ein wachsende Zuzug von Kriegsflüchtlingen im Winter.
Eine Alleinregierung mag durchaus den Vorteil haben, dass vieles konzentrierter, schneller, einheitlicher entschieden werden kann, dafür gibt es aber umgekehrt auch keinen Koalitionspartner, auf den man die Schuld abschieben könnte, wenn etwas nicht optimal läuft. Das wird die CDU-Opposition nutzen. Ihr sind mit der verlorenen Wahl nicht nur Parlamentssitze und Ministerposten abhandengekommen. Sie kann auch nicht mehr auf Infrastrukturen einer Regierungspartei zurückgreifen, muss sich gleichzeitig mit deutlich weniger Mitteln neu organisieren.
Damit sind einige Rahmenbedingungen für den ersten großen Test dieser neu sortierten saarländischen Politiklandschaft definiert. 2024 stehen Kommunalwahlen (und die Europawahl) auf dem Terminkalender. Das ist in den aktuellen Debatten – Stichwort Transformationsfonds – bereits deutlich zu sehen. Nach den Jahren großer Koalition, in denen die beiden großen Volksparteien bei allen Nickligkeiten einen ziemlich gemäßigten Umgang miteinander pflegten, deutet alles darauf, dass es künftig etwas klarer zur Sache gehen wird. Für alle Beteiligten ein schwieriger Spagat, nicht nur, weil insbesondere Saarländerinnen und Saarländer in der Regel als nicht besonders streitsüchtig gelten. Durch die Bank wird auch von der Politik erwartet, dass man zur Bewältigung der multiplen Krisen ungeachtet sonstiger Differenzen zusammensteht.