Olaf Scholz will als „Friedenskanzler“ punkten – und riskiert Kollateralschäden
Wer Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in diesen Tagen beobachtet, fühlt sich an seinen Vorvorgänger Gerhard Schröder erinnert. Der Sozialdemokrat ging im Bundestagswahljahr 2002 durch schwere politische Wetter. Seine Partei lag in den Meinungsumfragen bis wenige Wochen vor dem Urnengang am 22. September weit hinter der Union.
Doch Schröder kämpfte und setzte voll auf das Narrativ des „Friedenskanzlers“. Er stellte sich demonstrativ gegen die Kriegstrommeln von US-Präsident George W. Bush, der eine Militäraktion gegen den Irak vorbereitete. Die Pazifismus-Taktik zahlte sich aus – die SPD holte auf und gewann die Bundestagswahl mit äußerst knappem Vorsprung vor der CDU/CSU.
Auch Scholz versucht derzeit, als „Friedenskanzler“ politisch zu punkten. Hintergrund ist der dramatische Absturz der Sozialdemokraten in den Umfragen, die aktuell bei nur 15 Prozent liegen. Die häufigen Querelen innerhalb der Ampelkoalition haben Scholz das Image des handlungsschwachen Moderators eingebracht, der die Dinge zu sehr hat laufen lassen. Die SPD geht mit starkem Gegenwind in die Europawahlen im Juni sowie in die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September – ein Jahr vor der Bundestagswahl.
Der Kanzler hat nun auf Offensive umgeschaltet. Nachdem er sich lange Zeit über die Gründe für sein Nein zur Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine ausgeschwiegen hatte, spricht er nun überraschend Klartext. Scholz unterstellt, dass die Ukraine die Waffe für Angriffe auf russisches Territorium benutzen könnte.
Das ist eine Misstrauenserklärung gegen die Regierung in Kiew. Diese hat bislang keine Waffen aus dem Westen für Attacken auf russische Ziele eingesetzt. Doch der Kanzler nimmt den politischen Kollateralschaden in Kauf, um sich als besonnener Staatenlenker zu profilieren, der sein Land aus dem Krieg heraushält.
Scholz scheint zumindest zum Teil die Fakten zu verzerren. Nach Angaben des Taurus-Herstellers sind keine deutschen Soldaten für den Einsatz des Marschflugkörpers nötig, weder auf ukrainischem Boden noch sonst irgendwo. Hochrangige Offiziere der Luftwaffe argumentierten ebenfalls, dass für den Taurus-Betrieb in der Ukraine zumindest auf längere Sicht keine Bundeswehrkräfte nötig seien. Dies ergab der Mitschnitt eines internen Gesprächs, der auf der russischen Plattform „Russia Today“ veröffentlicht wurde. Eine Cyber-Attacke Moskaus, die Scholz düpieren und die Gesellschaft in Deutschland spalten soll.
Der Kanzler schreckt nicht einmal davor zurück, den politischen Führungen in Großbritannien und Frankreich an den Karren zu fahren. Beide Länder schicken Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow beziehungsweise Scalp in die Ukraine. „Und das, was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, verteidigt sich Scholz.
Damit legt der Kanzler nahe, dass Briten und Franzosen aktiv am Kriegsgeschehen in der Ukraine beteiligt sind – beide hatten sich hierzu aus Geheimhaltungsgründen nicht geäußert. Es ist eine offene Brüskierung von Nato-Verbündeten, die Scholz aus wahltaktischen Motiven riskiert. Das Image des nüchtern abwägenden Regierungschefs, der Eskalations-Szenarien meidet, geht ihm über alles. „Wir werden nicht zur Kriegspartei – weder direkt noch indirekt“, lautet sein Mantra. Scholz gibt den Anwalt derjenigen, die Angst vor einem Krieg haben.
Der Kanzler scheut sogar nicht davor zurück, sich auf offener Bühne mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu zoffen. Macrons Vorstoß, der Westen solle die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine zumindest nicht ausschließen, instrumentalisiert Scholz, um sich als Kriegsverhinderungskanzler dazustellen. „Um es klipp und klar zu sagen: Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden“, tönt er Richtung Paris.
Meinungsverschiedenheiten unter Verbündeten müssen in Zeiten des russischen Angriffskrieges diplomatisch hinter verschlossenen Türen beigelegt werden. Geschlossenheit ist das Gebot der Stunde. Mit ihren politischen Hahnenkämpfen schaden Scholz und Macron Europa. Jeder Riss, der durch den Kontinent geht, nutzt nur einem: dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.