Die ÖDP war lange Zeit in der Versenkung verschwunden. Nun ist sie wieder da und tritt selbstbewusst landesweit und in allen Wahlkreisen an. Spitzenkandidat Claus Jacob wirbt für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft und rechnet nach dem Ausfall der Grünen mit guten Chancen für seine Partei.
Herr Jacob, für Klimaschutz treten auch andere ein. Wie unterscheidet sich der Ansatz der ÖDP?
Klima-, Umwelt- und Artenschutz geht nur, wenn wir das Wirtschaften umstellen. Dazu brauchen wir ein integriertes Konzept, bei dem beispielsweise auch das Thema Familie dazugehört mit Fragen, wie wir in Zukunft arbeiten wollen, wie wir uns die Zeit zwischen Beruf und anderer Zeit einteilen wollen. Das spielt beim Klimaschutz eine wichtige Rolle, wird aber meistens ausgeklammert. Andere setzen das Thema Klimaschutz absolut, und alles andere muss sich dem unterordnen. Aber das muss auch gesellschaftlich akzeptiert werden können. Wir haben zwar eigentlich schon fünf nach zwölf, aber wir müssen die Entwicklung in sozialem Frieden gestalten. Wir sehen den Umstieg auf eine sozial-ökologische Marktwirtschaft als Chance für unsere Gesellschaft. Der Umbau wird neue Arbeitsplätze schaffen, davon sind wir überzeugt. Es wird aber Veränderungen geben. Es gibt die „Weniger ist Mehr"-Diskussion – darauf muss man nicht aufspringen. Aber dahinter steht eine Werte-Diskussion, wenn man auf Konsumverzicht setzt, sich dafür aber mehr Qualität verschafft, auch die Qualität Zeit. Dazu gehört für uns auch das Thema Gemeinwohlökonomie.
Schwierig wird das alles immer dann, wenn es konkret wird. Also wie beim berühmten Windrad vor der eigenen Haustür.
Die Debatte darüber ist leider nicht ehrlich. Wenn wir den gesamten Energieverbrauch auf grünen Strom umstellen wollten, müssten wir zehnmal so viele Windräder bauen. Wir sagen: Wir müssen bei den Ressourcen dramatisch einsparen. Bei Mobilität geht das durch einen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Wir setzen dabei auch sehr stark auf die Schiene. Alles auf Elektroautos umzustellen ist völliger Unsinn. Wenn Sie von A nach B wollen, müssen Sie Energie einsetzen. Die Frage, wo die Energie denn eigentlich herkommt, beantwortet nicht ein Elon Musk mit seiner Batterie. Wir sind ganz klar pro Windkraft, aber ohne die Nebelkerzen, dass man das alles offshore in der Nordsee machen und anschließend quer durchs Land verteilen könnte. Beim Thema Wasserstoff ist das anders. Den könnte man an vielen Orten produzieren und transportieren.
„In der Sache hart, aber nicht aggressiv"
Sie sagen, eigentlich ist es fünf nach zwölf. Der neue Weltklimabericht klingt ähnlich dramatisch. Was muss also jetzt sofort passieren?
Es gibt Möglichkeiten, Dinge jetzt umzusetzen. Da passiert reichlich wenig. Ein Tempolimit, wie es auch von der Deutschen Umwelthilfe gefordert wird, könnte bis zu 100 Millionen Tonnen CO2 in zehn Jahren sparen und wäre relativ schnell umzusetzen. Wir sind bis auf wenige exotische Ausnahmen die einzigen, die kein Tempolimit auf Autobahnen haben. 120 auf Autobahnen ist nicht zu viel verlangt. Und bei Tempo 30 innerorts geht es auch um den demografischen Wandel und die Sicherheit von Kindern und älteren Leuten. Und 80 auf der Landstraße wäre auch keine Katastrophe. Es wäre zumindest ein Zeichen, dass man es jetzt ernst meint und als Gesellschaft etwas macht.
Tempolimit ist auch ein plakatives Beispiel dafür, wie Anspruch und Wirklichkeit beim Thema Klimaschutz auseinanderklaffen. Welche Antwort haben Sie darauf?
Das ist ja das Paradoxe: Viele mögen das Thema Ökologie, aber was sie nicht möchten, ist das Schrille und Übertriebene wie so oft bei den Grünen. Bei uns sollen das Programm und unsere Authentizität überzeugen, sachlich und unaufgeregt. Ich denke da an einen Stil wie anfangs bei Tony Blair, immer mit Augenzwinkern, und immer nach vorne gewandt. Wir nehmen unsere Werte sehr ernst, sind durchaus hart bei der Sache, aber nicht aggressiv. Bei uns sind viele, die sich politisch für das engagieren wollen, was sie auch privat oder beruflich selbst machen. Bei mir ist es die Forschung an der Universität über Kreislaufprozesse und nachhaltiges Wirtschaften. Es genügt jedoch nicht, nur im privaten und kleinen Bereich etwas zu machen, man muss auch die politischen Rahmenbedingungen gestalten. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um einfach nur in den Bundestag zu kommen, sondern um politisch das fortzusetzen, was ich auch sonst so mache. Wir diskutieren oft mit Fridays for Future, die sich als außerparlamentarische Bewegung versteht. Das reicht nicht aus. Wir sagen: In einer Demokratie gibt es Parlamente, und über die werden Dinge umgesetzt. Deshalb muss man in die Parlamente rein.
Warum sind Sie als Wissenschaftler in die Politik gegangen?
Sicher nicht, um Karriere zu machen. Ich habe schließlich einen guten Beruf. Mir geht es darum, mein Expertenwissen zur Verfügung zu stellen, und jetzt geht es erst einmal darum, den Wahlkreis zu gewinnen und ein richtig gutes Ergebnis im Land zu bekommen. Und was mögliche Diäten im Bundestag angeht: Wenn ich in Berlin bin, dann nehme ich davon nur so viel, wie der Durchschnitt der Saarländer verdient. Was darüber hinaus geht, wird gespendet. Da kann man sagen: Das ist eine publikumswirksame Nummer. Wir meinen das aber ernst: Wenn ich meinen Wahlkreis und die Leute dort vertreten will, dann will ich nicht mehr und nicht weniger haben als die Leute dort auch.
Das Saarland ist bei der Bundestagswahl in einer besonderen Situation, weil bekanntlich die Grünen als Partei nicht wählbar sind. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Die Grünen geben Potenzial frei, das kann man schon so sagen. Das war nicht glücklich, wie das dort gelaufen ist. Wir bieten eine andere Option, und ich hoffe, dass die Wähler sich das anschauen. Wir haben bei der Bundestagswahl eine gute Chance, und danach gehen wir direkt in die Landtagswahl. Wir sind optimistisch, dass wir bei der Bundestagswahl aus dem grauen Bereich der „anderen" herauskommen und damit auch sichtbarer werden. Das wird uns sicher auch Auftrieb für die Landtagswahl geben.
Und dabei denken Sie auch an neue Allianzen?
Für uns es wichtig, Gruppierungen mit einer ethischen Orientierung, familien-, kinder-, enkel- und zukunftsorientierten Grundhaltungen zusammenzubringen. Da kann es für die Landtagswahl auf eine Zusammenarbeit hinauslaufen, weil die Themen ja auch komplementär sind. Die Familien-Partei zum Beispiel vertritt Sozialpolitik, wir vertreten Klima- und Umweltpolitik, das ergänzt sich bereits sehr gut. Klimaschutz und Familien mit Kindern gehören zusammen. Denken Sie an unseren „Enkel-Check" als Leitfaden unserer Politik. Für uns ist wichtig: Wir haben Werte, sind aber nicht dogmatisch. Eigenverantwortung ist für uns wichtig, aber beim Thema Infrastruktur, Verkehr, Energie fragen wir uns: Warum ist das privatisiert worden? Je nach Thema gibt es also Anknüpfungspunkte zu anderen Parteien, bei sozialen Fragen eher bei der SPD oder sogar den Linken, bei anderen Fragen vielleicht eher bei der Union. Für die Landtagswahl kann es durchaus sein, dass wir die Kräfte in einem Wählerbündnis bündeln, mit anderen Partnern, möglicherweise auch mit einem zerfallenden größeren Partner. Aber das muss man sehen. Uns ist an der Sache gelegen, und wenn dafür ein Bündnis nötig ist, dann machen wir das.