Der Westen hat sich nicht nur mit Gas, Kohle und Öl von Russland und China abhängig gemacht. Deutschland bezieht den größten Teil an Hightech-Rohstoffen wie Titan und Nickel aus Russland. Lithium für die Batterieproduktion kommt größtenteils aus China. Das soll sich nun ändern.
Sie heißen Scandium, Yttrium oder Lanthan – sogenannte seltene Erden, gewonnen aus anderen Erzen und weiterverarbeitet zu Metallen oder Oxiden. Und sie sind wichtig für unsere heutige Hightech-Industrie, für Smartphones oder Magnete von Elektromotoren, für Elektroautos, Solarzellen und Mikrochips. So selten, wie ihr historischer Name suggeriert, sind sie übrigens gar nicht, es gibt sie überall auf der Erde, Hauptlagerstätten sind die USA, Chile und China. Chinesische Lagerstätten machten einem Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zufolge 2018 etwa 82 Prozent der weltweit abgebauten seltenen Erden aus, derzeit 112.000 Tonnen. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft beherrscht China 45 Prozent des deutschen Imports seltener Erden. Aber da sind noch mehr Hightech-Rohstoffe: Russland beherrscht 13 Prozent der Nickel-Exporte weltweit, bei Palladium sogar 74 Prozent, und ist der drittgrößte Exporteur von Pottasche. Und beide Länder, China und Russland, benutzen ihre Rohstoffe als strategische Mittel, setzen sie gezielt ein. Denn sie sind immens wichtig.
Der Wissenschaftliche Dienst zitiert einen Expertenbericht, der das Ausmaß beschreibt, in dem die seltenen Erden heute in unserer Industrie eingesetzt werden. „Es ist fast unmöglich, ein Stück moderne Technologie zu nutzen, das keine enthält", heißt es darin. „Selbst ein so einfaches Produkt wie ein leichter Feuerstein enthält Seltenerdelemente. Das moderne Automobil, einer der größten Verbraucher von Seltenerdprodukten, verdeutlicht ihre Durchgängigkeit. Elektromotoren in einem typischen Automobil und die Lautsprecher seines Soundsystems verwenden Neodym-Eisen-Bor-Dauermagnete. Elektrische Sensoren verwenden Yttriumoxid-stabilisiertes Zirkonoxid, um den Sauerstoffgehalt des Kraftstoffs zu messen und zu steuern. Der Dreiwegekatalysator basiert auf Ceroxiden, um Stickoxide zu Stickstoffgas zu reduzieren und Kohlenmonoxid zu Kohlendioxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe zu Kohlendioxid und Wasser in den Abgasprodukten zu oxidieren. Phosphore in optischen Displays enthalten Yttrium-, Europium- und Terbiumoxide. Windschutzscheibe, Spiegel und Linsen werden mit Ceroxiden poliert." Es sind nicht nur die Autos, die solche Elemente brauchen. Solaranlagen etwa enthalten Silizium, Indium, Gallium, Silber oder Kadmium. Zudem kommen alle möglichen Batteriespeicher hinzu, die große Mengen an Nickel oder Lithium benötigen. Um Strom in Gas umzuwandeln, braucht die Power-to-Gas-Technologie Platin und ähnliche Edelmetalle. Sollen dann noch alle Autos auf E-Antrieb umgestellt werden, erscheinen die benötigten Rohstoffmengen gleichsam utopisch. Für einen kompletten Umstieg, so rechneten Forscher aus, bräuchte es ein Vielfaches der derzeitigen Rohstoffjahresproduktion. Neben Kupfer würde sich der Bedarf an Nickel verdreißigfachen, der an Platin verfünfzehnfachen und der von Lithium würde gleich um das 190-fache ansteigen.
EU sucht neue Quellen
Das Rennen um die Hightech-Materialien in Europa hat begonnen. Doch der Abbau kann massive Umweltprobleme verursachen. Gestein wird entfernt und zerkleinert. Dann werden die metallhaltigen Mineralien vom restlichen Gestein getrennt. Der dritte Schritt ist die Metallurgie, das Auswaschen der Metalle, das hauptsächlich aus chemischen Reaktionen besteht oder, je nach Rohstoff, auch radioaktive Rückstände mit sich bringt. Im schlimmsten Fall wäscht Regen giftige Reststoffe ins Grundwasser.
Derzeit bemüht sich die Bundesregierung wie bei Gas und Öl die Lieferanten für die Seltenen Erden zu wechseln. Franziska Brandner, Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, wird im Juni an der größten Bergbaumesse der Welt in Chile teilnehmen, wo riesige Lithium-Vorkommen vorhanden sind. Südafrika könnte bei Chrom aushelfen: Das Land ist für etwa die Hälfte der weltweiten Chrom-Exporte verantwortlich. Auch Kasachstan und Indien sind wichtige Exportländer des begehrten Metalls. Chrom wird in der Produktion von Edelstahl und in der Herstellung von Chemikalien und Farbpigmenten verwendet.
Das Thema hat längst die obersten Ebenen der Europäischen Union erreicht. Den 27 Staats- und Regierungschefs war es nach einem Treffen in Versailles vor wenigen Wochen sogar so wichtig, dass es in das Abschlusspapier aufgenommen wurde. „Wir werden das Angebot in der EU durch strategische Partnerschaften, strategische Vorratshaltung, Recycling und Ressourcen-Effizienz sichern", heißt es dort. Erstes Ziel der Kommission ist es, einen Vorrat an kritischen Rohstoffen aufzubauen. Bereits 2020 wurde auf Anregung der EU-Kommission die von der Industrie geleitete Europäische Rohstoffallianz (European Raw Materials Alliance) ERMA gegründet. Ziel ist es, unter Einbeziehung privater Investoren, eine strategische Autonomie für die Wertschöpfungskette der seltenen Erden und Magnete aufzubauen. Viel an der Abhängigkeit von China und Russland hat ERMA aber bislang nicht geändert.
Auch per Recycling könnte der Anteil an europäisch hergestellten Hightech-Rohstoffen steigen. Kupfer, Kobalt, Silber lassen sich aus einem Handy oder einem Fernseher entfernen, bei einem Materialmix und winzigen Mengen wird es schon schwieriger mit der Wiederverwertung. Ein neues biochemisches Verfahren, das auf dem Protein Lanmodulin beruht, besitzt die Eigenschaft, außergewöhnlich gut wertvolle Metallionen binden zu können, darunter auch die Elemente Cer und Neodym, die zu den Seltenen Erden gehören. Das nach dem Zwergplaneten Ceres benannte Element wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt und wird unter anderem für die Produktion von Leuchtdioden oder Bildröhren verwendet. Neodym wird für Magneten, etwa in Festplatten, oder zum Antrieb von Elektro- und Hybridfahrzeugen eingesetzt.
Autokonzerne forschen an Alternativen
Bei Mercedes wird nach Angaben des Stuttgarter Autobauers allerdings auch schon an den nächsten Generationen von Batterien gearbeitet, bei denen der Anteil der besonders kritischen Materialen deutlich geringer sein soll. So werde der Kobaltanteil bereits bei den kommenden Entwicklungsstufen von Batteriezellen auf weniger als zehn Prozent reduziert, heißt es bei Mercedes. Das langfristige Ziel sei, durch Post-Lithium-Ionen-Technologien mit neuen Materialzusammensetzungen ganz auf Materialien wie Kobalt verzichten zu können. In einer durchschnittlichen Lithium-Ionen-Batterie stecken rund 35 Kilogramm Nickel und bis zu zwölf Kilogramm Kobalt und Lithium. Der Volkswagen-Konzern geht in dieselbe Richtung. „Wir arbeiten an einer anderen Batteriechemie, um die Abhängigkeit von Nickel zu reduzieren", erläuterte Vorstandschef Herbert Diess kürzlich auf der VW-Bilanzpressekonferenz. Das Problem ist, dass die neuen Batterien nicht so leistungsfähig sind wie die herkömmlichen mit Nickel und Kobalt.
Schließlich kam aus dem Europäischen Parlament noch eine ganz andere Idee, die Abhängigkeit zu ersetzen: der Abbau der begehrten Rohstoffe in Europa selbst. Statt in Drittländern unter menschenunwürdigen Bedingungen die Materialien zu schürfen, könnte etwa Deutschland im eigenen Land nachhaltige und umweltschonende Bergbau-Projekte fördern, die weltweit Schule machen und Standards prägen. Doch noch machen die Geldgeber angesichts der eher ablehnenden Stimmung in der Bevölkerung einen großen Bogen um solche Projekte. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland suchten europäische Staaten, die sich auf die Importe verlassen hatten, in der eigenen Erde nach dem Material –
und fanden es auch. Derzeit bereitet sich etwa Portugal darauf vor, größter Lithiumproduzent Europas zu werden. In Fundão etwa, im Osten des Landes, hat die Regierung Probegrabungen genehmigt. Proteste sind programmiert, Klagen sind bereits auf dem Weg.