Zur Corona-Hochzeit wurde der Flugverkehr monatelang massiv eingeschränkt. Personal ging derweil verloren und kam teilweise nicht wieder. Jetzt in der Hochsaison sorgt dies unter anderem für Chaos an den Flughäfen – in Deutschland wie auch in ganz Europa.
Ob Amsterdam oder London, Düsseldorf oder Frankfurt: Endlos lange Schlangen, Verspätungen, gestrichene Flüge und verlorene Koffer bestimmen die Situation an vielen Flughäfen. Ihren Sommerurlaub in diesen Jahr haben sich viele Flugreisende wahrscheinlich anders vorgestellt.
Am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) hat man versucht, sich für den Ansturm der Fluggäste zu wappnen. Die Schulferien in Brandenburg und in der Hauptstadt haben gerade erst begonnen. „Wir und unsere Partner haben sich in den letzten Wochen und Monaten bestmöglich auf die Ferienzeit vorbereitet", sagte Aletta von Massenbach, Vorsitzende der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft (FBB) auf einer Pressekonferenz. Mehr als 130 Flughafenbedienstete hätten sich gemeldet, um in Stoßzeiten im Terminal auszuhelfen und Passagiere zu unterstützen, vor allem bei der eigenständigen Gepäckaufgabe. Trotzdem gebe es etwas, womit die Branche nicht gerechnet habe, und das sei der Umstand, dass der Ferienflugverkehr mit erneut stark erhöhten Infektionszahlen zusammenpralle, räumt Aletta von Massenbach ein. Am BER könne es zu Wartezeiten und Verzögerungen kommen. Eine Garantie, dass es keine Flugausfälle bis Ferienende geben werde, kann sie nicht geben.
Ferienbeginn prallt auf höhere Infektionsrate
Aletta von Massenbach rechnet während der sechswöchigen Schulferien mit bis zu drei Millionen Passagieren am BER. Das sind etwa eine Million Menschen mehr als in den Sommerferien des vergangenen Jahres. Allerdings fliegen dann immer noch zwei Millionen Reisende weniger als in den Sommerferien des Vor-Corona-Jahres 2019. Nach den aktuell vorliegenden Anmeldungen der Airlines sind während der Ferien bis zu 22.000 Starts und Landungen am BER geplant. Das ist ein Drittel mehr als während der Sommerferien 2021. Im Sommer 2019 waren es rund 37.000 Flüge.
Die Infektionswelle hinterlässt ihre Spuren nicht nur an deutschen Flughäfen. So etwa in Österreich. Als vor Kurzem etliche Fluggäste der Austrian Airlines am Boden bleiben mussten, weil zirka ein Siebtel der Linienflüge wegen Corona gestrichen worden waren, forderte eine Tageszeitung, dass Soldaten des Bundesheers das Flugpersonal unterstützen sollen. Außer Corona sorgt auch der generelle Personalnotstand an europäischen Flughäfen für Turbulenzen, die schon am Boden beginnen. Zudem gibt es viele Personalstreiks, wie etwa neulich auf Mallorca, in Málaga, Barcelona oder Paris. Auch in Großbritannien herrscht seit Wochen an Flughäfen Chaos. Weiter zuspitzen könnte sich die Lage auf der Insel Ende des Monats, wenn Beschäftigte von British Airways ebenfalls in Streik treten.
Hierzulande will die Bundesregierung der Luftfahrt helfen, den Personalengpass an deutschen Airports abzumildern. Befristet angestellte Hilfskräfte aus dem Ausland,vor allem aus der Türkei, sollen kurzfristig an den Flughäfen einspringen und beispielsweise bei der Gepäckabfertigung und bei Sicherheitskontrollen aushelfen. Den Einsatz von ausländischen Hilfskräften halt Özay Tarim, Gewerkschaftssekretär bei Verdi, für „Flickschusterei". Das sei nur „Schadensbegrenzung", sagte er gegenüber Bild-TV. Das derzeitige Flughafenchaos hätte man vermeiden können, wenn man genügend Personal eingestellt hätte. „Wir hatten schon mit Beginn der Sommerferien im letzten Jahr mit den Beschäftigten Mahnwachen organisiert und gesagt, dass die Personaldecke nicht ausreichen wird, um das erhöhte Fluggastaufkommen möglichst gerecht bedienen zu können", so Tarim. Die FBB-Chefin von Massenbach rechnet damit, dass die neuen Kräfte erst im August deutschlandweit einsetzbar seien. Zwar seien die Kollegen aus dem Ausland aufgrund ihrer Ausbildung sofort einsatzfähig, aber die Sicherheitsüberprüfung dauere je nach Bundesland unterschiedlich lang. „Es ist auch nicht klar, wie viele Mitarbeiter kommen", so die studierte Juristin. Die Kritik, dass die Initiative zu spät komme, möchte sie nicht unterstützen. „Die Frage ist vielmehr: Hat sich die Branche früh genug auf den Sommer vorbereitet?" Das sei aber schwerer geworden: „Die Menschen buchen nicht mehr so früh wie früher, als man an Weihnachten zusammensaß und den Sommerurlaub plante."
Weitere Flugverspätungen erwartet
Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat Flugreisende auf weitere Schwierigkeiten vorbereitet. Alle Beteiligten im weltweiten Luftverkehr kämen leider fast täglich an die Grenzen der aktuell verfügbaren Ressourcen, heißt es in einem offenen Brief des Vorstands an die Kunden. Nach dem Hochfahren des Luftverkehrs nach der Corona-Pandemie von fast Null auf knapp 90 Prozent könne die Branche nicht die gewohnte Verlässlichkeit, Robustheit und Pünktlichkeit liefern. „In den nächsten Wochen mit weiter steigenden Passagierzahlen, ob Urlaub oder Geschäftsreisen, wird sich die Situation kurzfristig kaum verbessern." Hinzu käme, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine den nutzbaren Luftraum in Europa stark einschränke. „Das führt in der Folge leider zu weiteren Flugverspätungen."
Einer Studie zufolge fehlen deutschen Flughäfen zurzeit rund 7.200 Fachkräfte. Zugleich gebe es „keine Reserven mehr am Arbeitsmarkt", um diese Lücken beim Luft- und Bodenpersonal zu füllen, heißt es in einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft. Ab Ende 2019 wurde der Flugverkehr wegen der Corona-Pandemie immer mehr eingeschränkt. Der Personenverkehr kam zeitweise fast vollständig zum Erliegen. Flughafenpersonal musste abgebaut werden, viele haben sich neu orientiert und seien nicht wieder in den Beruf zurückgekehrt. „Die Irregularität des Flughafenpersonals ist etwas, worauf wir uns einstellen müssen", sagt denn auch die FBB-Chefin. Was den Personalmangel betrifft, so hält sie es für ein „gesamtgesellschaftliches Problem". Auch andere Berufsbranchen hätten mit immensem Personalnotstand zu kämpfen.