Die vor 175 Jahren geborene Margarete Steiff zählte zu den wenigen Frauen, denen es im 19. Jahrhundert gelungen war, ein Unternehmen von Weltformat aufzubauen. Dabei stammte sie aus bescheidenen Verhältnissen und hatte ein schweres körperliches Handicap.
Als Margarete Steiff gerade mal 18 Monate alt war, stellte sich bei ihr ein hohes Fieber ein. Nach einigen Tagen war die Körpertemperatur zwar wieder auf ein gesundheitlich unbedenkliches Level gesunken, doch dafür waren plötzlich weitaus schwerwiegendere Beschwerden aufgetaucht. „Mit eineinhalb Jahren wurde ich von einer Krankheit befallen", so die am 24. Juli 1847 in Giengen an der Brenz, einem kleinen Städtchen auf der schwäbischen Ostalb, geborene Apollonia Margarete Steiff im Rückblick. „Nach dieser konnte ich nicht mehr gehen, der linke Fuß war vollständig, der rechte teilweise gelähmt, auch der rechte Arm war sehr geschwächt." Die genaue Bestimmung der Behinderung, die ihr das Erlernen des Laufens unmöglich machte, dürfte den Ärzten in der ländlichen Provinz wohl unmöglich gewesen sein – zumal das Krankheitsbild Kinderlähmung oder Poliomyelitis erst knapp ein Jahrzehnt zuvor von dem Schwarzwälder Orthopäden Jakob Heine erstmals beschrieben worden war.
Überdurchschnittlich gute Schülerin
Doch die verzweifelten Eltern – der Vater Friedrich war Bauwerksmeister, die Mutter Maria Margarete führte den Haushalt – wollten Klarheit über das Leiden ihres dritten von insgesamt vier Kindern. Die Mutter machte sich daher einige Zeit später mit ihrer Tochter auf den Weg nach Ulm, wo ein früher Polio-Spezialist die niederschmetternde Diagnose einer unheilbaren Kinderlähmung stellte. Damit schien das Lebensschicksal des Mädchens schon im Kindesalter besiegelt zu sein, denn eine spätere Verheiratung der Tochter war nahezu ausgeschlossen, sie würde ihren Eltern als Pflegefall wohl immer zur Last fallen. Immerhin hatte sich der Besuch der Grundschule dank helfender Hände regeln lassen, die das „Gretle" mithilfe eines Leiterwagens zum Unterricht transportierten. Den Rollstuhl, den sie ihr Leben lang benutzen sollte, erhielt sie erst viel später. Margarete Steiff wurde attestiert, eine überdurchschnittlich gute Schülerin gewesen zu sein. Ihre körperliche Behinderung schien ihren Ehrgeiz angefacht zu haben, das eigene Selbstwertgefühl durch beste Noten zu stärken.
Als Margarete gerade acht Jahre alt geworden war, schöpfte Familie Steiff neue Hoffnung. Sie hatte von einem Wunderarzt in Ludwigsburg gehört – für die damaligen Verhältnisse des öffentlichen Verkehrs mit 110 Kilometern ziemlich fern. Um die Kosten einer mehrwöchigen Behandlung bei August Hermann Werner in dessen Kinderheilanstalt aufbringen zu können, hatte Friedrich Steiff einen Unterstützungsantrag bei der Stadt Giengen eingereicht, der positiv beschieden wurde. Doch weder eine Operation mit wochenlanger Nachbehandlung noch ein ebenfalls von der Stadt Giengen bezahlter Erholungsaufenthalt in Bad Wildbad sowie ein zweiter Besuch bei August Hermann Werner führten zu Verbesserungen des Gesundheitszustands.
Als Margarete 1857, im Alter von zehn Jahren, wieder nach Giengen zurückgekehrt war, wollte sie nur noch die Schule erfolgreich abschließen. Nach und nach fand sich das tiefgläubige Mädchen mit seinem Schicksal ab: „Es war ein langes Suchen nach Heilung, bis ich mir selbst sagte, Gott hat es so für mich bestimmt, dass ich nicht gehen kann. Es muss auch so recht sein … das unnütze Suchen nach Heilung lässt den Menschen nicht zur Ruhe kommen", sagte sie später einmal.
Gegen erhebliche Bedenken der Eltern gelang es ihr, dem Vorbild der beiden älteren Schwestern folgend, eine Lehre zur Näherin anzutreten und mit 17 Jahren meisterlich zu absolvieren. Ihre beiden Schwestern hatten um 1862 ein sogenanntes Putzgeschäft zur Herstellung von Kleidern im eigenen Elternhaus gegründet. In dieses kleine Familienunternehmen stieg Margarete Steiff mit ein und überredete ihre Schwestern zur Anschaffung der ersten Nähmaschine, womit man der lokalen Konkurrenz in Sachen Damenschneiderei einen Schritt voraus war. Da Margarete mit der behinderten rechten Hand das Schwungrad der Nähmaschine nur unzureichend bedienen konnte, drehte sie das Gerät einfach um und betrieb es mit ihrer Linken.
Nach dem Ausscheiden der Schwestern führte Margarete das Unternehmen alleine weiter und verwandelte die kleine Schneiderei nach Umbauarbeiten, die ihr Vater vornahm, in einen Betrieb mit Ladengeschäft und mehreren festangestellten Näherinnen. 1877 eröffnete sie offiziell ein Filz-Konfektionsgeschäft für selbstgenähte Kleidungsstücke aus diesem damals für die einfache Damengarderobe gebräuchlichen Material.
Alle wollten plötzlich auch ein Filz-Elefäntle
Ihr erster großer geschäftlicher Coup 1880 nach Gründung der Margarete Steiff GmbH war letztlich einem Zufall zu verdanken. Denn mit dem nach einer Schnittvorlage aus der Zeitschrift „Modewelt" von Margarete Steiff als pfiffiges Nadelkissen kreierten Filz-„Elefäntle" wollte sie eigentlich nur ihren Nichten und Neffen eine kleine Freude machen. Doch plötzlich wollten alle Kinder den kleinen Elefanten haben, weshalb Margaretes Näherinnen in Windeseile zwei Säcke der begehrten Rüsseltiere für den Wochenmarkt im nahen Heidenheim fertigen mussten. Das „Elefäntle" sollte völlig ungeplant das erste Spielzeug von Margarete Steiff werden. Sein Erscheinen war so etwas wie die Geburtsstunde von Spieltieren aus Plüsch.
Bis dahin waren für Kinderspielzeuge ausschließlich robuste Materialien wie Holz oder Metall verwendet worden, mit Ausnahme von Puppenköpfen, die aus wenig kuscheligem Porzellan bestanden. Das „Elefäntle" war ein Novum für Kinder, weil es weich und anschmiegsam war. Tausende Elefanten konnten in den folgenden Jahren verkauft werden.Bis 1890 wurden weitere Plüschtiere wie Hunde, Katzen oder Pferde, teilweise mit fahrbarem Untergestell, ins wachsende Spielzeug-Sortiment aufgenommen.
Margarete Steiff legte bei ihren Kuscheltieren von Anfang an besonderen Wert auf höchste Materialqualität, schließlich sollten sie möglichst ein Leben lang halten. Dafür stand ihr berühmtes Produktionsmotto: „Für Kinder ist nur das Beste gut genug." Da die Firma in den begrenzten Räumlichkeiten aus allen Nähten platzte, wurde 1890 ein erstes Fabrikgebäude samt einer barrierefreien Wohnung für die Inhaberin in der örtlichen Mühlstraße errichtet.
Spielwarenmesse drohte zum Desaster zu werden
Im 1892 erstmals aufgelegten illustrierten Steiff-Kunden-Katalog war nachzulesen, dass Plüschtiere längst den Schwerpunkt der Unternehmensproduktion bildeten: Auf 22 von insgesamt 32 Seiten wurden Stofftiere vorgestellt, deren Zahl inzwischen auf 256 Produkte angewachsen war. Dieser Entwicklung trug die Chefin am 3. März 1893 Rechnung und gründete eine eigene Spielwarenfabrik, die „Margarete Steiff Filzspielwarenfabrik Giengen/Brenz". Im gleichen Jahr ließ sie ein architektonisch avantgardistisches, auf den Namen „Jungfrauenaquarium" getauftes Firmengebäude aus Stahl und Doppelglas errichten und nahm erstmals an der Leipziger Spielwarenmesse teil.
Dort drohte allerdings ein riesiges Desaster das bis dahin Erreichte ernsthaft zu gefährden. Margarete Steiff war gemeinsam mit ihrem Lieblingsneffen Richard Steiff nach Leipzig gereist, den sie auf der Kunstgewerbeschule in Stuttgart hatte ausbilden lassen und der nach seinem Eintritt in den Betrieb der Tante 1897 immer mehr in die Rolle des kreativen Kopfes geschlüpft war. Im Gepäck der beiden Steiffs befanden sich 100 Exemplare eines neuartigen Kuscheltiers. Kopf, Arme und Beine des 1902 aus zotteligem Mohairfell von Richard Steiff entworfenen Bären ließen sich bewegen. Bis zum letzten Messetag allerdings konnte Stofftier „55 PB" (55 Zentimeter Größe, „P"lüschtier und „B"eweglich) keinerlei Kundennachfrage wecken. Beim Abbauen des Standes tauchte dann plötzlich der Chefeinkäufer des großen US-amerikanischen Spielwarenunternehmens Geo. Borgfeldt & Co auf. Hermann Berg war so begeistert, dass er nicht nur auf der Stelle die 100 mitgebrachten Bären kaufte, sondern gleich noch 3.000 weitere orderte.
Familienunternehmen in sechster Generation
Dank des US-Unternehmens, das später die Alleinimportrechte für Steiff-Produkte für die USA erwarb, und des von einem US-Karikaturisten mit dem Spitznamen „Teddy" bedachten US-Präsidenten Theodor Roosevelt erhielt der Bär bald seinen Namen „Teddybär" und trat damit gewissermaßen durch präsidiale Werbung seinen weltweiten Siegeszug an.
Um die Steiff-Tiere vor Nachahmung zu schützen, hatte sich Franz Steiff, ein weiterer im Unternehmen der Tante tätiger Neffe, 1904 das bis 2014 geschützte metallische Markenzeichen „Knopf im Ohr" ausgedacht. 1907 wurden von den 400 festangestellten, größtenteils weiblichen Steiff-Beschäftigten und von 1.800 Heimarbeiterinnen fast eine Million Teddybären und 1,7 Millionen weitere Spielzeugartikel hergestellt. Margarete Steiff verstarb am 9. Mai 1909 im Alter von 61 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Ihr Lebenswerk wird bis heute als Familienunternehmen in sechster Generation erfolgreich weitergeführt. Inzwischen gehört übrigens auch gehobene Kinderbekleidung zum Marken-Portfolio.