Regisseur Stéphane Robelin überrascht mit seiner Komödie "Monsieur Pierre geht online" das Kinopublikum von sieben bis 70, indem er Frankreichs Vorzeige-Filmtrottel Pierre Richard ins Dickicht des Online-Dating-Universums schickt. Dabei wandelt er sich vom griesgrämigen Eremiten zum Prinz-Charming auf Amors Pfaden.
Als "Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh" sorgte Pierre Richard 1972 weltweit als Tollpatsch mit den untergeschnallten Fettnäpfchen unter der Regie von Yves Robert für volle Kinosäle mit einer liebenswürdigen Komik, die in ihrer Synthese aus Buster Keaton und Charlie Chaplin für Lachkrämpfe sorgte. Als großer, grau gelockter Griesgram mit dem schwarzen Alterspessimismus eines vereinsamten Witwers, der via Internetdating zum virtuellen Highspeed-Womanizer erwächst, garantiert der am 16. August 1934 in Valenciennes geborene Mime 45 Jahre später abermals Komödiantenkunst par excellence: Seit dem Tod seiner Frau hat der grantige Rentner Pierre (Pierre Richard) seine triste Pariser Wohnung kaum verlassen, schaut am liebsten Super-8-Filme aus längst vergangenen, glücklichen Tagen am Strand und züchtet Schimmel in seinem unsortierten Kühlschrank. Um ihn auf optimistischere Gedanken zu bringen, ihn zurück ins pralle Leben zu hieven, präsentiert ihm seine Tochter Sylvie (Stéphane Bissot) eines Tages den jungen Alex (Yaniss Lespert), der ihm gegen entsprechenden Obolus Unterricht in den höheren Weihen des Internets geben soll.
Der rüstige Witwer weiß jedoch nicht, dass Alex der Partner von Sylvies Tochter Juliette (Stéphanie Crayencour) ist, weil sich der belesene Opa mit seiner Enkelin zerstritten hat. Der frustrierte Alex ist seines Zeichens beschäftigungsbefreiter Schriftsteller, der mangels Masse mit Juliette bei deren Eltern hausen muss.
Anstatt mit Sylvie zu skypen, surft Pierre im Netz und ist flugs von den aufgepoppten Datingangeboten angetan. Kein Wunder, dass er sich binnen kürzester Zeit wie ein voyeuristischer Pubertierender auf Brautschau verhält. Als Pierre sich dann bei einer besonders interessanten Singleseite anmeldet, gibt er als Geburtsdatum zunächst 1934 ein, nach kurzem Zögern doch lieber 1984, um seinen Marktwert zu steigern und fügt einfach ein Profilbild von Alex hinzu. Er muss nicht allzu lang auf eine Reaktion warten, denn schon bekommt er eine Mail von Flora (Fanny Valette), einer feschen 31-jährigen belgischen Physiotherapeutin, die ihm ähnlich attraktiv erscheint wie seine geliebte Frau Madeleine auf den einstigen Urlaubsfilmchen. Flora ist sofort überwältigt von Pierres romantischem Gesäusel und beflügelt ihn zu weiteren Süßholzplauschereien. Aber dann möchte Flora ihn unbedingt in Brüssel persönlich kennenlernen. Um sich aus der Bredouille zu ziehen, überredet Pierre Alex mit professioneller Mitleidstheatralik und ein paar Euroscheinen mehr, im amourösen Hochstaplerspielchen mitzuwirken. Das ungeplante Resultat der Bäumchen-wechsel-dich-Arie: Alex landet gleich beim ersten Date mit Flora in der Horizontalen, und das Chaos ist programmiert.
Auf äußerst amüsante Weise erweitert auch diesmal Pierre Richard den Unterhaltungshorizont des Zuschauers: Es ist herrlich anzuschauen, wie er sich vom Griesgram zum Lover in spe wandelt, der seine Überzeugungs-Rhetorik mit cremiger Voice-Over-Stimme einsetzt, in der realen Welt wieder mit peppigem Charme und farbenfrohem Outfit auftritt, völlig losgelöst von seinem einstig eingebrannten Rollen-image des tollpatschigen Elefanten im Porzellanladen. Präzise inszeniert, überrumpelt das französische Urgestein den Betrachter als authentischer Protagonist mit pointierter Mimik und Gestik, ohne in jene seichte Slapstick der 70er und 80er mit seinem comicesken "Gib-dem Affen-Zucker"-Humor abzudriften.
Das von Edmond Rostands Versdrama "Cyrano de Bergerac" von 1897 inspirierte Thema über den heimlich Verliebten, der sich für einen anderen Mann als Ghostwriter einsetzt, wird von Regisseur und Drehbuchautor Stéphane Robelin ("Real Movie") mit intelligenter Situationskomik bereichert, denn ständig droht die verwegene Dreierkonstellation, in die Pierre Alex hineingezogen hat, um Flora selbst näherzukommen, in desaströser Peinlichkeit zu zerplatzen.
Was ist echt,
was ist verfälscht?
"Monsieur Pierre geht online" firmierte ursprünglich unter dem Arbeitstitel "#Flora63", wurde daraufhin aber zum verständlicheren "Un profil pour deux" ("Ein Profil für zwei") verändert. Komödienspezialist Stéphane Robelin hatte schon 2011 mit seinem bewährten Protagonisten die quirlige Rentner-Komödie "Und wenn wir alle zusammenziehen?" gedreht und punktet erneut mit einer leichtfüßigen Feel-Good-Filmperle über die Irrungen und Wirrungen über Liebe, Lust und Frust, die über alle Altersgrenzen hinweg für turbulentes Ungemach sorgt. "Ich liebe es vor allem, für ältere Menschen Geschichten zu verfilmen", betonte Robelin vor der Fachpresse. Dieser Film über den alltäglichen Beziehungswahnsinn im verfälschten Moloch des Online-Datings bekräftigt dabei die simple Binsenweisheit "Alter schützt vor Torheit nicht".
Jean Lüdeke
INFO: Monsieur Pierre Geht Online
D./F./B. 2017 Komödie
Regie: Stéphane Robelin
Drehbuch: Stéphane Robelin
Kamera: Priscila Guedes
Musik: Vladimir Cosma
Länge: 99 Minuten
Darsteller: Pierre Richard, Yaniss Lespert, Fanny Valette, Stéphanie Crayencour, Stéphane Bissot, Anna Bederke
Bundesweiter Kinostart:
22. Juni
Im Internet:
www.monsieur-pierre-geht-online.de