Die Liste der Oscar-Nominierungen 2017 enthält eine Sensation: Mel Gibsons Film "Hacksaw Ridge" ist für sechs Trophäen nominiert unter anderem für Beste Regie und Bester Film. Für Mel Gibson endet mit den Nominierungen eine Dekade voller Kritik und großer Flops.
Hollywood hat Mel Gibson verziehen. Gibsons antisemitische Äußerungen, seine schwulenfeindlichen Tiraden, die verbalen Angriffe auf Journalisten alles vergessen. Der Erfolg von Gibsons neuer Regiearbeit "Hacksaw Ridge" überstrahlt alle Eskapaden des 61-Jährigen. Die Einnahmen an der Kinokasse stimmen ebenso wie die Lobeshymnen in den Kritiken. Die sechs Oscar-Nominierungen für "Hacksaw Ridge" dürften für Mel Gibson eine Genugtuung darstellen und sein Ego in schier unendliche Höhen heben.
Es war ein recht steiniger Weg für Gibson. Der Australier war seit den 80er-Jahren durch die "Mad Max"- und "Lethal Weapon"-Filme sowie durch viele weitere Welthits einer der größten Leinwandstars. Mit "Braveheart" (1995, mit fünf Oscars ausgezeichnet) und "Die Passion Christi" (2004) etablierte er sich auch als Regisseur. Mit "Apocalypto" (2006) verbuchte Gibson noch seinen letzten Erfolg, denn im gleichen Jahr wollten weder Hollywood noch die Fans ihm seine Entgleisungen verzeihen. Mel Gibson traf in dieser Situation die richtige Entscheidung: Er tat gar nichts. Vier Jahre hielt er sich von der Kamera fern ein Wagnis, denn bei seinem schlechten Ruf und ohne Filmprojekte lief er Gefahr, dass Hollywood und die Zuschauer ihn abschreiben könnten. Erst 2010 war Mel Gibson wieder auf den Leinwänden zu sehen. In "Auftrag Rache Edge of Darkness" spielt der damals 54-Jährige einen Vater, der den Mord an seiner Tochter rächt. "Auftrag Rache" war nicht die beste Entscheidung für Mel Gibson, um wieder in Hollywood Fuß zu fassen. Der ohnehin für seine Vorliebe für brutale Szenen bekannte Gibson ging in "Auftrag Rache" recht brachial vor das passte wenig zum Image eines Mannes, der ein Comeback versuchte. Trotz einiger guter Kritiken floppte der Film.
Der einstige Superstar schlug mit seinem nächsten Projekt einen gegensätzlichen Weg ein. In der Tragikomödie "Der Biber" ("The Beaver", 2011) verkörpert Gibson einen depressiven Mann, der sich nur durch eine Biber-Handpuppe mit seinen Mitmenschen verständigen kann. Eigentlich eine gute Rolle für Mel Gibson, der schon in "Der Mann ohne Gesicht" (1993) sein Gespür für schwere Themen bewiesen hatte. Erfolgversprechend war für "Der Biber" auch, dass Superstar Jodie Foster die weibliche Hauptrolle übernahm und Regie führte. Aber die Story war zu abgefahren, um die Massen zu begeistern. Vor allem das Filmende erschien kurios: Die Biberpuppe übernimmt die Kontrolle über den Mann, der sich nur noch durch das Abtrennen seinen Unterarmes von der Puppe trennen kann. Zeigte diese Filmidee, wie sehr Gibson seinen schlechten Ruf loswerden wollte? Den Zuschauern war das egal. "Der Biber" soff an den Kinokassen ab.
Die Karriere kam einfach nicht mehr in Schwung
Trotz dieser Misserfolge kam Mel Gibson als Schauspieler in Fahrt. "Get the Gringo" hieß das nächste Projekt: Als Krimineller rettet er in einem mexikanischem Knast einen Jungen vor Organhändlern. Ein bisschen Trash, ein bisschen Action, eine kuriose Handlung und das alles im Stil der Quentin-Tarantino-Filme die Mischung funktionierte nicht. Nur auf wenigen Leinwänden war der Film zu sehen, bis er auf DVD und Video on Demand verramscht wurde. Kein Zweifel: Die Karriere von Mel Gibson kam einfach nicht wieder in Schwung. Auch "Machete Kills" (2013) änderte vorerst wenig an dieser Talfahrt. Erstmals übernahm Mel Gibson in einem Film eine Nebenrolle ein Zeichen, dass Mel Gibson im endgültigen Aus der Filmlandschaft zu versenken drohte. Die Handlung von "Machete Kills" ist kaum ernst zu nehmen: Die Welt ist am Abgrund, alle Protagonisten sind verrückt und brutal und Gibson als exzentrischer Waffenhändler möchte ins Weltall fliegen, um dort eine neue Gesellschaft zu gründen. Es überrascht kaum, dass die Filmkritiker "Machete Kills" als komplett misslungen bezeichneten. Die Kino-Fans aber waren anderer Meinung. Zwar in seiner Handlung infantil und geschmacklos, war das Action-Machwerk deshalb ein ungebremster Spaß, sofern man ihn nicht ernst nimmt. Mel Gibson registrierte dies und übernahm in "The Expendables 3" eine kleine Rolle. Sylvester Stallones nahezu inhaltsleere Trash-Reihe war im Begriff, zum Leinwand-Kult zu werden. Gibson passt hervorragend in das Ensemble, das aus vielen älter gewordenen Leinwandstars besteht. Dass Gibson nun in einem kommerziell erfolgreichen Film mit Leinwand-Ikonen wie Harrison Ford, Jason Statham, Antonio Banderas, Jet Li, Wesley Snipes, Dolph Lundgren, Kelsey Grammer und Arnold Schwarzenegger spielte, macht klar: Von seinen Schauspiel-Kollegen war er rehabilitiert. Die Zuschauer honorierten das.
Es folgte "Blood Father". In dieser französischen Produktion schlüpfte Mel Gibson in die Rolle eines Ex-Sträflings und Vaters, der seine als verschollen geglaubte Tochter vor ihrem Ex-Liebhaber versteckt. Zwar erneut ein finanzieller Flop, bewies "Blood Father" jedoch, dass Gibson inzwischen 60 Jahre alt und sichtlich gealtert nach seinen Ausflügen in die B-Movies wieder einen ernstzunehmenden Film drehen kann. Das war im Jahr 2016 zehn Jahre war es her, dass Mel Gibson wegen seiner verbalen Ausfälle von Publikum und Kritik geächtet wurde. Eine Dekade, in der er sich kräftig bemüht hatte, das Vertrauen von Hollywood wieder zu bekommen. Aber nur an "Blood Father" kann es nicht gelegen haben, dass Gibson für "Hacksaw Ridge" wieder die Position hinter der Kamera einnahm. Denn das Mega-Projekt mit einem Budget von 45 Millionen Dollar dürfte eine so lange Vorbereitungszeit gehabt haben, dass Gibson den Auftrag schon länger in der Tasche gehabt haben dürfte. Warum Hollywood diesen Großauftrag an den noch wenige Jahre zuvor geächteten Gibson vergeben hat, bleibt das Geheimnis der Filmindustrie. Mel Gibson tat als Regisseur das, was er am besten kann: "Hacksaw Ridge" ist ein Gewaltepos mit einer guten Portion Patriotismus. Sollte der Film bei der Oscar-Verleihung am 26. Februar ausgezeichnet werden, dürfte Mel Gibsons Ruf in Hollywood schier unantastbar sein. Wer sonst hat es geschafft, sich als Persona non grata wieder an die Spitze zu arbeiten und zwar bei den Hollywoodstudios ebenso wie bei den Zuschauern? Hollywood hat Gibson seine antisemitischen und homophoben Ausbrüche verziehen und schließt ihn nach seinen Kassenerfolg "Hacksaw Ridge" wieder in die Arme.
Holger Lodahl