Angela Merkel will mit ihren Reisen auch innenpolitisch punkten
Diese Woche verlief ganz nach dem Geschmack von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Schwierige Konflikte und diffizile Gesprächspartner liegen ihr. Am Sonntag machte sie im streng muslimisch ausgerichteten Königreich Saudi-Arabien Station. Der Wüstenstaat gilt im Westen wegen der Todesstrafe, der öffentlichen Auspeitschung von unliebsamen Kritikern sowie der stark eingeschränkten Frauenrechte als hoch problematischer Partner. Hinzu kommt, dass Riad seit März 2015 massiv in den Bürgerkrieg im Jemen eingreift. Die sunnitischen Saudis machen dort Front gegen die schiitischen Huthi-Rebellen, die sie als Marionetten des regionalpolitischen Rivalen Iran ansehen.
Merkel bezog Position, ohne Porzellan zu zerschlagen. Beim Treffen mit dem saudischen König Salman brachte sie das Schicksal des inhaftierten Bloggers Raif Badawi aufs Tapet. Badawi war 2014 nach bereits mehrjähriger Haft wegen angeblicher Beleidigung des Islams zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Stockhieben verurteilt worden. Sein Vergehen: Er setzte sich für die Gleichbehandlung aller Menschen ein, unabhängig von Religion und Weltanschauung. Die Kanzlerin sprach von "großen Defiziten" bei den Menschenrechten, die das "Bohren dicker Bretter" nötig mache. Gleichzeitig drängte sie auf eine politische Beilegung des Jemen-Konflikts, bei der Deutschland vermitteln könne.
Merkel präsentierte sich als Klartext-Rednerin ohne die große Moralkeule zu schwingen. Eine Haltung, die sie auch im Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Tag legte. Die beiden kennen, respektieren und zoffen sich. Kaum ein Polit-Paar auf der internationalen Bühne weiß besser über den jeweils anderen Bescheid als die Kanzlerin und der Kremlchef. Auch beim Tête-à-Tête im russischen Schwarzmeer-Badeort Sotschi am Dienstag hielten sie mit Meinungsverschiedenheiten nicht hinter dem Berg. Aus deutscher Sicht lassen sich die Reibungspunkte auf folgende Formel bringen: Krim-Annexion, Destabilisierung der Ostukraine, Syrien-Intervention durch Moskau. Russland kritisiert Deutschland hingegen als die treibende Kraft der Sanktionen gegen den Nachbarn im Osten.
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu unerwarteten Ereignissen. Auch bei Merkels letzter Visite in Russland im Mai 2015 hatte Putin eine Überraschung parat. Während einer Kranzniederlegung zum Weltkriegsgedenken fand eine Mini-Militärparade statt. Eine kleine Machtdemonstration in der heißen Phase der Ukraine-Krise.
Das Ukraine-Thema beherrschte auch die aktuelle Unterredung in Sotschi. In der vergangenen Woche war erstmals ein Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Donbass umgekommen. Die Kanzlerin mahnte gegenüber Putin erneut eine Verhandlungslösung für die Ukraine an.
Merkels Tonlage unterscheidet sich deutlich von der ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD). Die Männerfreundschaft zwischen dem Niedersachsen und Putin stand im Mittelpunkt der bilateralen Beziehungen. Öffentliche Kritik an Moskau galt als tabu. Unter Merkel war das deutsch-russische Verhältnis von Beginn an komplex, aber nie konfrontativ. Bereits bei ihrem Antrittsbesuch im Kreml im Januar 2006 hatte sich die Kanzlerin nicht mit Missfallensäußerungen zurückgehalten. So rügte sie Russlands Militäreinsatz in Tschetschenien ebenso wie die vom Staat gegängelten regierungsunabhängigen Organisationen. Dennoch bemühte sie sich um ein geschäftsmäßiges Klima.
Schlagzeilen machte das Treffen in der Urlaubs-Metropole Sotschi im Januar 2007. Putin brachte seinen Labrador Koni mit. Merkel musste sich eingeschüchtert fühlen, da sie seit ihrer Kindheit eine Phobie vor Hunden hatte. Ein derartiger Schockeffekt sei heute nicht mehr möglich, heißt es in Regierungskreisen in Berlin. Merkel habe die Angststörung inzwischen überwunden.
Klare Worte, Abgrenzung und Einbindung der Konfliktparteien: Mit diesem Dreiklang versucht die Kanzlerin, auch heikle Akteure an den Verhandlungstisch zu bringen. Sie will sich als Krisenmanagerin profilieren. Als Frau mit Machtinstinkt erhofft sie sich natürlich auch eine innenpolitische Dividende. Vor dem Hintergrund der turbulenten internationalen Politik möchte sie im Wahljahr mit dem punkten, was bei den Deutschen besonders ankommt: Stabilität.
Von Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
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Die Krisen-Kanzlerin
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