Frankreichs Präsident setzt in der EU- und Amerika-Politik eigene Akzente
Man sieht es bei jedem Treffen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verstehen sich. Die Chemie stimmt. Das deutsch-französische Tandem kommt wieder in Fahrt nicht mit wolkiger Gipfel-Lyrik, sondern ganz konkret.
Das zeigte sich auch beim bilateralen Ministerrat in der vergangenen Woche in Paris. Etliche Initiativen wurden verabschiedet. So sollen Forschungsvorhaben in beiden Ländern durch einen Investitionsfonds über eine Milliarde Euro angekurbelt werden. In der Verteidigung ist die gemeinsame Entwicklung von Kampfjets geplant. Schließlich will sich die Bundesregierung finanziell an der Unterstützung der terrorgefährdeten Sahelzone in Zentralafrika beteiligen. Das entspricht Merkels Absicht, die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen.
Macron ist ein Meister der diplomatischen Charme-Offensive. Doch bei allem Bemühen um Gleichklang bleibt nicht verborgen, dass er in der EU- und Amerika-Politik andere Schwerpunkte setzt als die Kanzlerin. So sind ihm die Exportüberschüsse der deutschen Wirtschaft ein Dorn im Auge. Deutschland so Macron ist Krisen-Profiteur in der Eurozone. Dieses Ungleichgewicht will er beseitigen.
Man kann es auf folgende Formel bringen: Da die Wirtschaft in Deutschland im Gegensatz zu der in anderen Ländern so gut im Saft steht, sollen die schwächeren Regionen in der EU gestärkt werden. Durch Investitionen, aber auch durch Zuschüsse aus Brüssel. Damit wären sie in der Lage, mehr Waren und Dienstleistungen zu exportieren. Die Bundesregierung wiederum soll nach diesem Rezept die privaten und öffentlichen Investitionen anschieben. Auf diese Weise würde Deutschland mehr Güter importieren. Macrons Hoffnung: Im Endeffekt gleichen sich die Handelsbilanzen an.
Dahinter steckt eine sozialdemokratische Agenda. Der französische Präsident will die Eurozone reformieren. Ihm schwebt eine Art EU-weiter Länderfinanzausgleich vor. Das Zauberwort lautet Solidarität. Der heikle Punkt: Zu diesem Zweck will er auch die europäischen Verträge ändern. Was das genau heißt, ist noch nicht klar. Nach den EU-Verträgen haftet weder die Gemeinschaft noch ein einzelner Mitgliedsstaat für die Schulden anderer Regierungen. Diese Nicht-Beistandsklausel wurde jedoch bereits durch die Schaffung des Euro-Rettungsschirms ESM eingeschränkt. Er hilft defizitären Staaten mit Krediten und Bürgschaften.
Kein Wunder, dass Macrons Vorschlag bei der SPD auf großen Beifall stößt. "Mehr Investitionen" ist einer der Schlachtrufe von Spitzenkandidat Martin Schulz. Die Kanzlerin hingegen pocht in der EU auf Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Ihr Aufruf zu Ausgabendisziplin wird insbesondere in Südeuropa als "Austeritätspolitik" verschrien. Allerdings hält sich Merkel ein Hintertürchen offen. Man könne über alles reden, "wenn es Sinn macht", sagt sie.
Auch in der Amerika-Politik rammt Macron Pflöcke ein. Die Einladung von US-Präsident Donald Trump zum französischen Nationalfeiertag am vergangenen Freitag in Paris war ein bewusst gesetztes Signal. Macron präsentiert sich als der große Staatenlenker. Die Tuchfühlung mit dem Kremlchef, Präsident Wladimir Putin, Merkel und Trump verleiht ihm eine Aura von internationaler Bedeutung. Damit trifft er den Nerv vieler Franzosen.
Nach einer Umfrage des Instituts Odoxa betrachtet eine Mehrheit der Bevölkerung Frankreich als wichtige Militärmacht. 61 Prozent finden es richtig, dass Macron Trump empfangen hat. Der Präsident erhofft sich dadurch zusätzliche Legitimität, um schwierige innenpolitische Reformen wie eine Lockerung des Arbeitsrechts durchzusetzen.
Macron feierte den Austausch mit Trump als Unterredung auf Augenhöhe. Beim Kampf gegen den islamistischen Terror oder beim Aufbau einer Nachkriegsordnung für Syrien ziehen beide an einem Strang. Frankreich, Atommacht und permanentes Mitglied im UN-Sicherheitsrat, sitzt mit am Tisch der ganz Großen. Der neue Mann im Élysée tritt nicht nur als Chef-Dynamiker bei der Reform der EU auf, er spielt auch die gaullistische Karte mit einer Prise Nationalismus.
Bis zur Bundestagswahl am 24. September dürfte all dies keine große Rolle spielen. Sollte Merkel gewinnen, würde sich jedoch bald zeigen, wie tragfähig die neue deutsch-französische Harmonie wirklich ist.
Von Mcihael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe
POLITIK
Foto: stock.adobe.com / fedorovekb
Nahaufnahme: Macrons Agenda
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