In der Trump-Ära bieten sich Russland und China als Partner des Westens an
An diesem Freitag und Samstag schaut die ganze Welt nach Hamburg. Beim G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer interessiert vor allem eine Frage: Brüskiert der amerikanische Präsident Donald Trump seine Amtskollegen wie beim Spitzentreffen der Nato in Brüssel Ende Mai? Kommt es zum offenen Eklat, gar zur vorzeitigen Abreise?
In der Klima- und Handelspolitik hat sich Trump isoliert. Der US-Ausstieg aus dem Pariser Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgase ist beschlossene Sache. Darüber hinaus erwägen die Amerikaner Importzölle auf Stahl-Produkte angeblich, weil sie zu Dumpingpreisen angeboten werden.
Vorbei die Zeiten, bei denen die westlichen Industrieländer in wichtigen Angelegenheiten an einem Strang zogen. Trumps Bulldozer-Kurs zwingt die Europäer, Kanadier und Japaner, sich neue Partner zu suchen. Die kommen nun ausgerechnet aus dem Lager autokratisch strukturierter Staaten.
Plötzlich bietet sich Moskau als Tandemfahrer des Westens an. "Russland hat nicht vor, den Pariser Klimavertrag zu verlassen oder in irgendeiner Weise die Verpflichtungen infrage zu stellen, die wir übernommen haben", sagt Swetlana Lukasch, die russische Chef-Verhandlerin für den G20-Gipfel. Die 40-Jährige arbeitet dem russischen Präsidenten Wladimir Putin als Sherpa zu.
An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht. "Wir sind überzeugt, dass Russland zu den Führern des Klimaschutzes gehört, weil wir schon unsere Vorgaben im Rahmen des Kyoto-Protokolls übererfüllen." Es sei "sehr bedauerlich", dass die USA entschieden hätten, aus dem Pariser Abkommen auszuscheren. Ende 2015 hatten sich 195 Staaten darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
Auch China und die Türkei hatten erklärt, dass sie an der Pariser Klima-Regelung festhalten wollten. Selbst von der Öl- und Gasgroßmacht Saudi-Arabien kamen entsprechende Signale. Nach Trumps Nein gab es in Berlin zunächst die Befürchtung, dass auch andere Länder zu Wackelkandidaten werden könnten. Die G20-Gastgeberin Angela Merkel wird die Nachricht freuen.
Auch beim Thema Freihandel macht Moskau Avancen. "Wir sind überzeugt, dass Protektionismus am Ende nur die Bereiche und Entwicklungen hemmt, zu deren Schutz solche Maßnahmen getroffen werden", betont die russische G20-Sherpa. "Ich denke, auch die amerikanische Regierung wird auf den Weg zum freien internationalen Handel zurückkehren." Bislang gibt es hierfür allerdings keine Anzeichen. Nach wie vor gilt Trumps Leitlinie "America first". Der Chef des Weißen Hauses hatte wiederholt das Handelsdefizit der USA mit anderen Ländern angeprangert und Ausgleichsmaßnahmen gefordert, vor allem von Deutschland.
Im Gegensatz dazu hat China ein klares Bekenntnis zum Freihandel abgelegt. Ausländische Firmen haben jedoch mit unverändert hohen Hürden beim Zugang zum chinesischen Markt zu kämpfen. So bleiben der Finanzsektor und öffentliche Aufträge für nichtchinesische Anbieter tabu. Auch in Russland gibt es protektionistische Blockaden. Ausländische Automobilunternehmen müssen zum Beispiel hohe Einfuhrsteuern bezahlen. Damit will Moskau Druck ausüben, dass Produktionsstätten nach Russland verlegt werden.
Die von Kanzlerin Merkel beim G20-Gipfel angestrebte Partnerschaft mit Afrika, die die Verbesserung der Lebensbedingungen durch private Investitionen vorsieht, bezeichnet die Moskauer G20-Sherpa als "sehr bedeutende praktische Übereinkunft". Von China ist hier jedoch nur in begrenztem Ausmaß Hilfe zu erwarten. Die Regierung verfolgt ihre eigene Afrika-Politik. Das riesige Land mit seiner expandierenden Volkswirtschaft hat auf Jahre hinweg einen unstillbaren Hunger nach Rohstoffen und will daher die Bodenschätze des Kontinents ausbeuten. Im Gegenzug bietet Peking Infrastruktur-Projekte sowie zinslose Kredite.
Verkehrte Welt. Trumps Amerika ist dem Westen abhandengekommen. Dafür preisen sich nun Russland und China an, die bei Meinungs- und Pressefreiheit bisher eher als Schmuddelkinder galten. In der Klima- und Handelspolitik sind sie eine Alternative aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Die internationale Politik ist viel komplizierter geworden. Der G20-Gipfel in Hamburg dürfte dies deutlich zeigen.
Michael Backfisch
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.
POLITIK
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Nahaufnahme: Verkehrte Welt
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