Kaum jemand hatte Donald Trump auf der Rechnung – als schrillen Herausforderer ja, aber als Präsidenten? Jetzt sprechen Medien bereits vom "Trumpismus", der Ära Trump, die einen Großteil dessen in Schutt und Asche zu legen droht, was an liberalen, demokratischen und ökologischen Grundmauern in den vergangenen Jahren errichtet wurde.
Die es dazu kommen konnte, fragen sich heute noch viele: Dass es dazu kommt, ist mittlerweile unbestreitbar. Donald J. Trump wird am 20. Januar der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Die 538 Wahlmänner, das "Electoral College", haben mit breiter Mehrheit für die Ernennung gestimmt. Es hatte im Vorfeld Proteste gegeben, öffentliche, hinter den Kulissen oder juristisch geführte. Menschen gingen auf die Straße, Gerichte wurden angestrengt, Stimmen neu ausgezählt. Online-Petitionen, Mails und Bittbriefe erreichten die Wahlmänner, baten sie, sich nicht für Trump auszusprechen, doch alles vergebens. Nicht einmal die Tatsache, dass vermutlich russische Hacker einen Teil des Wahlsieges für sich verbuchen können, wird die Inauguration Trumps verhindern, egal, ob Russlands Präsident Putin persönlich involviert war oder nicht.
Neue "Deals" im alleinigen Interesse der USA
Wie kein anderer zuvor hat es Trump verstanden, mit Instinkt die Sorgen derjenigen zu spüren, die von der Globalisierung in den USA abgehängt worden waren. Mehr zufällig traf der Selbstdarsteller und Selbstvermarktungsspezialist auf eine Stimmung, die wie nie zuvor reif als Basis für eine politische Kampagne war: eine Atmosphäre der Angst, geografisch verortet im industriell abgehängten Rust Belt nahe der Großen Seen, soziologisch in einer bröckelnden Mittel- und vergessenen Unterschicht. Obamacare, der große gesundheitspolitische Wurf von Barack Obama, war hier ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Angst, die sich in den USA breitmacht, hat ihre Wurzeln aber tiefer. Über Jahrzehnte hat die Politik es versäumt, die Sorgen und Nöte von Millionen Amerikanern ernst zu nehmen. Die tatsächlichen Probleme verbargen sich in den Statistiken der Politik – ohne erkannt zu werden, ohne in reale Politik umgesetzt zu werden. Die Mittelschicht des Landes bröckelt, das Auseinanderdriften von Arm und Reich nimmt zu. Einer Erhebung des Washingtoner Pew-Institutes zufolge lagen die mittleren Einkommen, der sogenannte Median, acht Prozent niedriger als 1999. Die Mittelschicht bilde nicht mehr die Mehrheit der Gesellschaft, stattdessen nehme die Zahl der reichen Haushalte zu, so das Institut. Gegenüber FORUM äußerte ZDF-Heute-Journal-Chef und USA-Kenner Claus Kleber die Befürchtung, dass alle etablierten Parteien und Politiker in den USA genau diese Entwicklung unterschätzt haben.
Kein Wunder, dass ein Nicht-Politiker, nicht einmal unterstützt von der eigenen Partei, das Rennen machte. Ob Trump bis zum Wahlabend überhaupt daran geglaubt hatte, am nächsten Tag als "President-elect", als gewählter Präsident aufzuwachen, darf bezweifelt werden. Jetzt muss er liefern. Wer jedoch geglaubt hatte, Trump werde sich deshalb mit erfahrenen Beratern umgeben, wird gerade eines Besseren belehrt. Sein Kabinett besteht aus Wirtschaftsgrößen, Militärs, Rechtskonservativen – alle, die ihm die Treue hielten, werden belohnt. Das Establishment der Republikaner bleibt außen vor. Die Strafe dafür, dass die Partei lange Zeit die Nase zu hoch trug. Stattdessen setzt Trump neue Maßstäbe. "America first" könnte man sie überschreiben. Politik ist eine Sammlung von Deals, also was könne man besseres für die USA tun, als die besten "Dealmaker", Unternehmensgrößen, Investoren, Wirtschaftstycoons, in die Regierungsmannschaft zu berufen. Dass er genau gegen diese Eliten des Landes noch im Wahlkampf zu Felde gezogen war, stört ihn nicht.
Ebenso wenig stören ihn die Gepflogenheiten öffentlicher politischer Kommunikation. Auch hier wirft er alles über den Haufen, was Journalisten kennen. Pressekonferenzen? Fehlanzeige.
Stattdessen scheint Twitter der bevorzugte Kanal zu sein, über den sich der Milliardär als "@realDonaldTrump" an die Öffentlichkeit wendet. Der Kurznachrichtendienst wird zu seinem Sprachrohr und dem seiner Anhänger – eine Filterblase, in der Verschwörungstheorien kursieren, die "political correctness" verdammt und ein Amerika beschworen wird, dass es seit der Reagan-Ära nicht mehr gibt. Seit Sommer dieses Jahres hat Trump keine Pressekonferenz mehr gegeben, sondern äußert sich hauptsächlich über den Kurznachrichtendienst, in wenigen exklusiven Interviews oder über seine Anhänger – auch nach seiner Wahl reißt der Nachrichtenstrom nicht ab, er kritisiert China wegen seiner abgewerteten Währung, wirbt für ein Fox-News-Feature über ihn und beschwert sich über seine Darstellung in der Satiresendung Saturday Night Live. Er bedient die Medien, die ihm zum Wahlsieg verhalfen – behauptet jedenfalls Cambridge Analytica, ein britischer Big-Data-Spezialist, der auch schon der Brexit-Kampagne zum Durchbruch verholfen hat und für Trumps Wahlkampfteam arbeitete. Das Washingtoner Pressekorps darf sich jedenfalls warm anziehen.
Was letztlich von Trumps rüder Agenda aus dem Wahlkampf Realpolitik wird, könnte von einem der einflussreichsten konservativen Think Tanks gesteuert werden: der Heritage Foundation. Das ist kein Einzelfall in der US-amerikanischen Politik: die Stiftung hat zahlreiche konservative Politiker und auch Präsidenten unterstützt und seit Langem bereits eine Liste möglicher Unterstützer einer konservativen Politik, abseits von Obamas liberaler, ökologischer, sozialer Agenda. Kürzlich hatte sie zu einem Meeting eingeladen, berichtete das US-Magazin "The Atlantic", unter den Gästen auch der künftige Vizepräsident Mike Pence und der Republikaner Newt Gingrich, einst Dreh- und Angelpunkt der Partei in den 90ern. Gingrich empfahl sich an jenem Abend als Trump-Versteher und "Trumpismus"-Erklärer: "Trump wird alles umstoßen. Er ist wie ein Bär. Hast du seine Aufmerksamkeit erregt, kommt er zu dir, beißt dir ins Gesicht und setzt sich auf dich."
Von Falk Enderle