Er ist Trainer beim Eishockey-Oberligisten ECC Preussen. Seine Tochter stürmt für die OSC Eisladys in der Fraueneishockey-Bundesliga und steht kurz vor dem Sprung in die Nationalmannschaft. Klar, dass sich die Gespräche am heimischen Frühstückstisch bei
Len und Kelsey Soccio oft nur um ein Thema drehen.
Eigentlich war Len Soccio nur nach Berlin gekommen, um eine Bleibe für seine Tochter Kelsey zu finden. Sie hatte gerade einen Vertrag beim Eishockeyteam der OSC Eisladys unterschrieben und suchte nun nach einer Wohnung in der neuen Stadt. Len Soccio begleitete sie und traf sich anschließend noch auf einen Kaffee mit Thomas Leonhardt. Die beiden kennen sich seit Jahren; Leonhardts Sohn Björn hatte einst mit Len Soccio zusammen in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) bei den Hannover Scorpions gespielt. Inzwischen ist Leonhardt Vizepräsident des Berliner Oberligisten ECC Preussen. Als er erfuhr, dass Len Soccio seinen Vertrag als Trainer der Scorpions gekündigt hatte, wurde aus dem herzlichen Wiedersehen im Café schnell ein Arbeitstreffen. Wenig später wurde Len Soccio als neuer Coach der Preussen vorgestellt. Die Wohnungssuche für Kelsey hatte sich damit auch erledigt: Heute wohnen Vater und Tochter gemeinsam in Spandau. Gesprächsthema Nummer eins am heimischen Frühstückstisch: natürlich Eishockey.
Gemeinsame Wohnung in Spandau
Dass Len Soccio seine Zelte in Hannover abgebrochen hat und nach Berlin gewechselt ist, darf man getrost als kleine Sensation bezeichnen. Der Deutsch-Kanadier und die niedersächsische Landeshauptstadt das gehörte für mehr als 20 Jahre einfach zusammen. Für die Eishockeyfans dort ist er bis heute eine Legende. "Ich glaube, niemand in Hannover hatte sich vorstellen können, dass ich wechsele", sagt er. "Die sind aus allen Wolken gefallen."
Im Sommer 1993 war Len Soccio aus seinem Heimatland nach Deutschland gekommen und hatte sich dem drittklassigen ESC Wedemark angeschlossen, dem Vorgängerverein der späteren Hannover Scorpions. Binnen drei Jahren führte er den Club in die DEL. Mit 334 Vorlagen ist er bis heute zehntbester Passgeber der DEL-Geschichte, mit 488 Punkten rangiert er auf Platz 20 der ewigen Scorer-Liste. Seine 504 Spiele in der Deutschen Eishockey-Liga absolvierte er im Scorpions-Trikot, denen er bis zum Ende seiner aktiven Karriere 2005 stets treu blieb. Seine Rückennummer 20 wurde vom Verein danach nie wieder vergeben. Zum offiziellen Abschiedsspiel im Februar 2006 kamen noch einmal über 3.500 Zuschauer in die Halle.
Kelsey Soccio stand an diesem denkwürdigen Abend ebenfalls auf dem Eis. Mit gerade einmal acht Jahren stellte sie sich ins Tor und stoppte die Schüsse der gestandenen Eishockeyprofis. Dabei wollte Len Soccio eigentlich gar nicht, dass seine Tochter einmal selbst Eishockey spielt. "Mädchen spielen kein Eishockey", hatte er ihr immer wieder versucht beizubringen, doch ihrer Faszination für den schnellen Kufensport tat das keinen Abbruch. Bei den Scorpions-Heimspielen saß Kelsey fast immer auf der Tribüne. Einmal gab es in der Drittelpause ein Einlagespiel einer Mädchenmannschaft. "Nach Spielende bin ich wutentbrannt in die Kabine gestürmt", erinnert sie sich. "Nun hatte ich selbst gesehen, dass Mädchen sehr wohl Eishockey spielen können. Jetzt konnte er mir nichts mehr erzählen." Beide müssen lachen, als sie die Geschichte erzählt. "Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht sie das auch durch", sagt Len Soccio. "Das hat sie von mir."
Aus der anfänglichen Skepsis des 49-Jährigen gegenüber dem Fraueneishockey ist längst Begeisterung über das eiskalte Hobby seiner Tochter geworden. Zeitweise war Len Soccio sogar als Trainer für ihre Mannschaft tätig, die eigens für sie (und einige andere Talente) gegründet worden war, weil sie irgendwann nicht mehr mit den Jungs zusammen spielen konnten. "Ich wollte nicht, dass sie mit dem Sport aufhören muss. Ich habe versucht sie voranzubringen", sagt Len Soccio.
Mittlerweile haben die Hannover Lady Scorpions sogar den Sprung in die Bundesliga geschafft, stehen dort aktuell aber mit null Punkten und erst vier geschossenen Toren am Tabellenende. Kelsey hat alleine schon öfter getroffen: Fünf Mal hat sie in dieser Saison schon eingenetzt, damit ist sie bei den OSC Eisladys hinter Nationalspielerin Lisa Schuster (neun Tore) die zweitbeste Torschützin. Aus der kleinen Torhüterin aus dem Abschiedsspiel ihres Vaters ist über die Jahre eine torgefährliche Stürmerin geworden. Selbst eine Handverletzung, wegen der sie einige Spiele pausieren musste, brachte sie nicht aus dem Rhythmus. In der Tabelle sind die Eisladys momentan trotzdem nur Fünfter, nur die besten vier Mannschaften qualifizieren sich für die Endrunde. "Wir wollen aber unbedingt noch in die Playoffs", sagt Kelsey Soccio.
Fünf Mal waren die Berlinerinnen bislang deutscher Meister, zuletzt 2010; vier Mal holte man den Pokal. Der Verein, der seit einigen Jahren im Wellblechpalast spielt, der früheren Heimstätte der Eisbären Berlin, hat zahlreiche Nationalspielerinnen hervorgebracht. Auch Kelsey Soccio trug bereits das DEB-Trikot. Die 18-Jährige hat alle Nachwuchsteams des Deutschen Eishockey-Bunds durchlaufen, inzwischen gehört sie zum erweiterten Kreis der A-Nationalmannschaft. Spätestens bei den Winterspielen 2022 in Peking will sie sich ihren olympischen Traum erfüllen.
Kelsey will sich
ihren olympischen Traum erfüllen
Auch ihr Vater hat große Ziele. Er will nicht länger nur in der Oberliga coachen, stattdessen hoch in die Zweite Liga, am liebsten mit den Preussen. "Ich bin überzeugt, dass die Preussen eine große Zukunft haben", sagt er. In der laufenden Saison bangt der Club aber zunächst einmal um die Playoff-Teilnahme. Nur die beiden Erstplatzierten der Qualifikationsrunde erreichen die Pre-Playoffs gegen die Teams auf den Rängen sieben und acht der Meisterrunde die Preussen sind aktuell jedoch nur Vierter, der Rückstand beträgt bereits mehr als zehn Punkte. "Wir haben oft gut gespielt, aber am Ende doch knapp verloren", sagt Len. "Außerdem hatten wir großes Verletzungspech, das verfolgt uns schon die ganze Saison." Zusätzliche Unruhe brachte die Trennung von Veit Holzmann und Michael Raynee, die vom Verein wegen mangelnder Einstellung suspendiert wurden. "Es ist eine schwierige Saison", sagt Len Soccio. Seine persönliche Zukunft lässt er deshalb offen. Sein Vertrag beim ECC Preussen gilt nur für diese Saison. Sollte er bald erneut umziehen, dann dieses Mal ohne seine Tochter. "Ich habe mich für Berlin entschieden, weil hier die Rahmenbedingungen am Olympiastützpunkt ideal sind", sagt Kelsey. "Das werde ich so schnell nicht aufgeben, bloß weil mein Vater vielleicht woanders einen Job bekommt."
Jan Philip Häfner