Die Azoren vor Portugal gelten als Hotspot für die Beobachtung von Walen. Die grauen Riesen sind das ganze Jahr rund um die Inseln anzutreffen. Bei Whale-Watching-Touren kann man den großen Meeressäugern und auch Delfinen sehr nah kommen.
Heute werde ich einen Wal sehen! Live, ganz echt, ganz nah! Zumindest hoffe ich das. Eine Garantie gibt es natürlich nicht, wie Laura Otero mir und den anderen Touristen beim ausführlichen Briefing erklärt hat. "Das hier ist kein Zoo, das ist die freie Wildbahn", hatte die dunkelhaarige Meeresbiologin gesagt. Alle haben genickt und sich gefreut. Die freie Wildbahn wollen wir alle erleben, die wir wegen der dicken Schwimmwesten leicht zusammengequetscht hintereinander auf der Sitzbank im Schlauchboot sitzen. Laura hat keine Schwimmweste. Die 30-Jährige ist das Bootfahren gewöhnt und sitzt locker auf dem Rand, während ich mit beiden Händen die Festhaltestange vor mir umklammere. Skipper Verissimo Silva fragt, ob es uns allen gut geht und gibt dann ordentlich Gas. Das Schlauchboot steigt mit der Nase über die Wellen nach oben und knallt mit einem heftigen Rums aufs Wasser. Immer und immer wieder. Jetzt weiß ich, was Verissimo meinte, als er uns grinsend warnte, die Fahrt könnte "bumpy", also "holprig" werden. Vor mir sitzen zwei junge Kanadierinnen, die jedes Mal begeistert johlen. Wasser spritzt hoch, meine Haare sind schon komplett nass. Ich bin froh über die wasserfesten Überziehhosen und Jacken, die Laura uns gegeben hatte. Es macht mir nichts aus, nass zu werden, im Gegenteil. Irgendwie fühle ich mich in diesem Schlauchboot dem Meer ganz nah, der Kontakt zum Atlantik ist ganz direkt, man könnte mit der Hand fast ins Wasser greifen. Das ist anders als auf einem der größeren Boote, die Futurismo für die Wal-Touren auch im Angebot hat. Die Vorfreude lässt sowieso alles zur Nebensache werden. Ich scanne förmlich die Wasseroberfläche ab und lausche dabei Laura, die unablässig viel Spannendes über die Wale erzählt. Zum Beispiel, das der Blauwal das schwerste Lebewesen ist, dass jemals gelebt, schwerer als die Dinosaurier. Ein Blauwal kann bis zu 33 Meter lang werden und satte 200 Tonnen auf die Waage bringen. "Vielleicht sehen wir heute einen", ruft Laura über den Motorenlärm, "mit der Gruppe gestern haben wir zwei gesehen."
Per Fernrohr auf der Suche
Die Aufregung im Boot ist nun fast greifbar. Wir düsen immer weiter aufs Meer hinaus, ich drehe mich um und stelle fest, dass die Küste von São Miguel mittlerweile klein aussieht. Die größte der Azoren-Inseln rückt immer weiter weg. Im Schlauchboot so weit draußen auf dem Atlantik, schießt es mir durch den Kopf. Doch ich habe keine Angst, denn erstens ist noch ein zweites Boot von Futurismo mit uns unterwegs und zweitens ist unser Skipper mit dem Land über Funk im Kontakt. Muss er auch, denn um die Wale zu finden, sind vor allem die verschiedenen Aussichtstürme an der Küste ganz entscheidend. Hier sitzen Mitarbeiter, die mit einer Art Superfernrohr kilometerweit aufs Meer schauen und so die Atemfontänen der Wale ausmachen können. Wenn sie eine oder mehrere entdecken, dirigieren sie die Boote per Funk dorthin.
Skipper Verissimo gibt noch mal ordentlich Gas, mittlerweile habe ich nur noch eine Hand an der Haltestange und johle mit den beiden Kanadierinnen mit, wenn wir über eine Welle springen. Es macht Riesenspaß. Ganz unvermittelt bremst Verissimo ab. "Hey Leute, hier wurde eine Atemfontäne gesehen", ruft er und zeigt mit dem Finger rechts vom Boot aufs Meer. Ich starre aufs Wasser, einige stehen auf, um besser sehen zu können. Das Boot dümpelt jetzt im Leerlauf vor sich hin, die Spannung ist kaum auszuhalten. "Da!", schreit Laura und zeigt in eine bestimmte Richtung. Jetzt kann ich es auch sehen. Ein riesiger grauer Rücken taucht auf. "Ein Finnwal", ruft die Meeresbiologin, und obwohl die 30-Jährige schon auf der halben Welt unterwegs war, um Wale zu studieren, ist ihr die Begeisterung deutlich anzuhören. "Das sind die zweitgrößten Lebewesen der Welt, sie werden um die 24 Meter lang." Die Informationen sprudeln nur so aus der jungen Frau raus, doch ich bin abgelenkt, denn das gigantische Tier schwimmt dicht an unserem Boot vorbei. "Was für ein Glück", ruft Verissimo, "sonst kommen sie nicht so nah." Ganz ruhig, scheinbar gelassen, bewegt sich der Wal durchs Wasser, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Tränen der Rührung schießen mir in die Augen. Einen Wal im Fernsehen zu sehen, ist eine Sache, aber diese faszinierenden Tiere hautnah zu erleben, ist einfach überwältigend.
Der Wal kommt sehr nah ran
Meinen Mitstreitern geht es nicht anders, Hände mit Kameras schnellen in die Höhe, aufgeregt schwirren die Stimmen durcheinander. "Da!", ertönt Lauras Stimme wieder. "Da ist noch einer!" Und tatsächlich, der Rücken eines zweiten Finnwals ist zu sehen. Die Tiere sind vermutlich auf der Durchreise, erklärt Laura. Die Riesen verlassen ihr Winterquartier und kommen dabei an den Azoren vorbei. Deshalb gilt die Inselgruppe auch als Hotspot für Whale-Watching. Das ganze Jahr über kann man hier viele verschiedene Walarten beobachten, die sich auf ihrer Durchreise auch gerne eine Weile in den futterreichen Gewässern aufhalten. Unsere beiden Finnwale bewegen sich mittlerweile vom Boot weg, Skipper Verissimo fährt langsam und vorsichtig hinterher, immer darauf bedacht, einen gebührenden Abstand zu den Tieren zu halten und keinesfalls ihren Weg zu kreuzen. Wale sind in der Regel nicht gefährlich und greifen keine Boote an, doch den Betreibern von Futurismo ist es wichtig, die Touren möglichst tierfreundlich zu gestalten, wie Verissimo später erzählt. Sein Vater ist einer der Miteigentümer des Unternehmens. Die Wale lassen sich von uns offenbar nicht stören, ruhig ziehen sie ihre Bahn, immer wieder tauchen ihre großen Rücken auf, was jedes Mal ein "Aaaaah" oder "Ooooh" bei uns allen auslöst. In dem dunklen Wasser sehen wir nur etwa ein Drittel der Ausmaße der Finnwale. Wie gigantisch müssen diese Tiere sein!
Delfine mit Babys schwimmen vorbei
Mittlerweile entdecke ich noch ein paar weitere Whale-Watching-Boote von anderen Anbietern. Ich frage mich, ob es jetzt nicht zu viel wird für die Tiere. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, dreht Verissiomo ab. "Es sind jetzt zu viele Boote hier", ruft er uns zu. "Schauen wir mal, ob wir noch andere Tiere finden". Alle nicken zufrieden. Unser Skipper gibt Gas und fährt in einem Bogen Richtung Land. Der Wind bläst uns um die Ohren, die Sonne wirft ein Glitzern übers Wasser. Ich könnte ewig weiterfahren. Unsere Wale sind nun außer Sichtweite. Ich bin ein bisschen traurig, doch nicht lange. Plötzlich tauchen die sympathischsten Lebewesen auf, die das Meer zu bieten hat: Delfine. Ein Gruppe Großer Tümmler schwimmt neben uns her. Sie scheinen es nicht eilig zu haben. Gelassen bewegen sie sich durchs Wasser, dabei beäugen sie uns neugierig. Ich sehe ein anderes Schlauchboot, von dem drei Leute, in Neoprenanzügen und mit Tauchmasken ausgestattet, ins Wasser gleiten. Schwimmen mit Delfinen gehört hier auch zum Angebot an der Küste von São Miguel. Um die Tiere nicht zu stressen, dürfen aber immer nur ein paar wenige Leute gleichzeitig ins Wasser. Die Delfine würdigen die Schwimmer allerdings keines Blickes und ziehen uninteressiert ab. Mit Walen zu schwimmen ist übrigens streng verboten.
Skipper Verissimo bringt uns nach einer schönen langen Fahrt an der Küste zum Hafen zurück.
Ich bin so begeistert, dass ich sofort wieder zur Anmeldung marschiere und für den nächsten Tag noch eine Fahrt buche. Und ich bereue es nicht. Wir starten am nächsten Morgen schon um halb neun, es ist kühl und dunkle Wolken hängen am Himmel. Das Meer ist noch unruhiger als am Tag zuvor. Wir treffen diesmal auf drei Finnwale, die wieder für Begeisterungsstürme auf unserem Boot sorgen. Dieses Mal ist die Meeresbiologin Laura Gonzalez mit an Bord, die uns wie ihre Kollegin mit vielen Informationen versorgt und geduldig alle Fragen beantwortet. Als Skipper steht wieder Verissimo hinterm Steuer. Er hält das Boot ruhig in der Nähe der Tiere. Man könnte ihnen stundenlang zuschauen, wie sie so friedlich ihre Bahnen ziehen. Irgendwann müssen wir uns dann doch wieder losreißen. Verissimo bringt unser Boot auf Heimatkurs, als plötzlich jemand ruft: "Delfine, Delfine!" Ich schaue angestrengt aufs Wasser und dann sehe ich sie. Wie Pfeile schießen sie aus dem Meer, um blitzschnell wieder einzutauchen. "Das ist der sogenannte Gemeine Delfin", erklärt Laura, die gerade an ihrer Doktorarbeit über Wale sitzt. "Die leben hier das ganze Jahr bei den Azoren". Diese Delfinart ist wesentlich kleiner als die Großen Tümmler vom Vortag und wirkt temperamentvoller. Und neugieriger. Die Tiere umkreisen unser Boot, schwimmen darunter durch und "reiten" auch mal in der Bugwelle. Es ist ein tolles Schauspiel, faszinierend und berührend zugleich.
Plötzlich entdecken wir vereinzelt Babys. Die kleinen Delfine schwimmen und springen synchron mit ihren Müttern. Der Anblick ist herzergreifend. Schrecklich, die Vorstellung, wie viele Delfine es weltweit in Delfinarien aushalten müssen. Auch Meeresbiologin Laura findet diese Haltung "furchtbar". Ich glaube, dass die Teilnehmer unserer Tour mit Sicherheit kein Delfinarium mehr betreten.
Ob denn Wal- und Delfintouren nicht stressig für die Tiere sind, fragen mich später zu Hause in Deutschland ein paar Leute. Wenn sie so rücksichtsvoll gemacht werden, wie von Futurismo, dann nicht, antworte ich. Letzten Endes nützt es den Tieren vielleicht mehr als dass es ihnen schadet. Denn diese gewaltigen und wunderbaren Wesen in ihrer natürlichen Umgebung zu erleben, macht aufmerksam und sensibel für den Schutz der Meere und ihrer einzigartigen Bewohner.
Heike Sutor
Info:
Die Azoren sind eine Inselgruppe mit insgesamt neun Inseln im Atlantik vor Portugal. Die größte und Hauptinsel São Miguel hat auch einen Flughafen. Ihre größte Stadt ist Ponta Delgada, hier hat neben anderen Anbietern Futurismo seine Station. Das Unternehmen bietet neben Whale-Watching auch noch verschiedene andere organisierte Aktivitäten an, wie zum Beispiel Wander- und Fahrradtouren, Tauchen und Jeepsafaris. In der Hauptsaison im Sommer empfiehlt es sich, vor der Reise die Whale-Watching-Tour bereits zu buchen.
Infos: www.futurismo.pt
Ein Mietauto ist auf SãoMiguel empfehlenswert. Damit kann man die schöne Insel mit üppiger Natur und äußerst freundlichen Menschen prima erkunden.
Ebenfalls sehenswert sind die Inseln Pico (auch hier gibt es hervorragende Anbieter für Whale-Watching) und Santa Maria. Die anderen Inseln kann man von Ponta Delgada mit den kleinen Inselflugzeugen oder per Fähre erreichen.