Früher einmal arbeitete sie als Verkäuferin. Seit 15 Jahren aber ist Anastasia, die sich bereits in ihrer Jugend von Latex und Leder angezogen fühlte, in der Prostitutionsbranche. Inzwischen betreibt sie ein Bordell in Saarbrücken.
Anastasia, wie kamen Sie eigentlich zur Prostitution?
Schon als Jugendliche habe ich mich für Latex und Leder interessiert, für das Mystische, Geheimnisvolle. Eingestiegen bin ich dann über eine Freundin, die in dieser Szene aktiv war und noch ein paar Kontakte hatte. Irgendwie faszinierte mich das Ganze, und ich bekam Lust, es auszuprobieren. Dann habe ich Nägel mit Köpfen gemacht – mit immerhin 24 Jahren! Es ist eher unüblich, so spät in diese Branche einzusteigen. Beruflich war ich damals wegen einer Schmerzkrankheit ohnehin eingeschränkt und für normale Arbeitgeber schwer zu vermitteln. So bin ich dann dabei geblieben.
2010 haben Sie sich entschieden, ein eigenes Bordell zu eröffnen. Warum?
Ich habe noch nie für jemanden gearbeitet, nur für mich selbst. Ich war immer milieufrei. Das war mir persönlich sehr wichtig. Am Anfang habe ich noch in Bordellen gearbeitet oder in Terminwohnungen, wie man das so nennt, also in Appartements oder kleinen Privatclubs. Aus freien Stücken. Ich gehörte niemandem. Aber ich habe gleich gemerkt, dass das nur ein paar Wochen oder Monate gutgehen konnte, Stichwort Zickenterror. Bald hat das nicht mehr funktioniert, weil die Bordellbetreiber gemerkt haben, dass ich da nicht mitmachen würde. Ein anderes großes Thema: die Hygiene! In manchen Bordellen muss man sich wirklich übergeben. Ich war oft die Putzfrau, meist für mehrere Damen. Deshalb habe ich mich entschieden, lieber auf eigenen Beinen zu stehen. Natürlich musste ich erst einmal ganz bescheiden angefangen, in kleinem Rahmen. Irgendwann kam mehr dazu.
Ist es schwer, in dieser Branche als Inhaberin einzusteigen?
Klar, kommt aber auch auf den Charakter an. Wenn man stark genug ist, um sich durchzusetzen, wenn man Führungsqualität hat, kann man das machen. Aber es wird sehr viel von einem verlangt.
Haben Sie Probleme mit dem Milieu oder Gruppierungen? Ist so etwas nur ein Klischee?
Nein, das ist kein Klischee. Natürlich gibt es das. Ich halte mich fern von dem Milieu. Ich habe keine Lust auf so etwas und spüre da auch keinen Respekt. Man muss aber vorsichtig sein und schauen, mit wem man sich anlegt. Natürlich kennt man den einen oder anderen – die wissen aber auch, wer ihnen gegenüber-steht! Mir ist so etwas weitgehend erspart geblieben, ich kann mich aber an eine eher unschöne Situation erinnern: Es ging zwar nicht um Schutzgeld, aber die Person wollte mir Druck machen. Sie dachte, man könnte mich damit einschüchtern.
Oft sind es Strohmänner oder -frauen, die die Bordelle offiziell leiten. Sind Sie eine Ausnahme?
Schwer zu sagen. Das gibt es schon, dass Frauen wirklich ganz allein arbeiten. Aber oft wird eine sogenannte Geschäftsführerin eingesetzt, und die anderen machen sich die Taschen voll, obwohl sie kaum auftauchen.
Kennen Sie Fälle von Zwangsprostitution?
Wenn eine Frau sagt „Ich prostituiere mich" oder „Ich mache Erotikmassagen" oder „Ich arbeite als Domina", dann muss das auf freiwilliger Basis passieren. Es kann ja nicht sein, dass jemand mit Schlägen oder unter Androhung von Gewalt oder unter Zuhilfenahme von chemischen Drogen unter Druck gesetzt und genötigt wird.
Es gab früher Leute, die in der Regel korrekt waren – man nannte sie Wirtschafter – und sich um die Frauen gekümmert haben. Sie achteten darauf, dass den Frauen nichts passiert. Das war in Ordnung. Dass sie dafür einen Obolus bekommen haben – auch in Ordnung. Aber eben nicht, wenn Zuhälter den Frauen die große Liebe vorgaukeln, ihnen aber die Kohle abnehmen und sie ausnehmen wie eine Weihnachtsgans und sie halt zwingen.
Wie läuft das bei Ihnen?
Solche Herren haben bei mir Zutrittsverbot. Wenn eine Frau bei mir neu anfängt und ich merke, dass ein Mann 30 Mal am Tag anruft und sie unter Druck setzt – „Warum machst du kein Geld?", „Wie viel haben die anderen verdient?" –, und wenn die Frau dann weinend aus dem Zimmer kommt, weil sie denkt, dass sie nicht gut genug ist, dann unterbinde ich das. Das erzeugt Stress bei den Frauen, und ich dulde das nicht. Wenn es nicht anders geht, muss die Frau halt gehen. Man muss auch festhalten: Einige wollen sich nicht helfen lassen. Sie werden geschlagen, ihnen wird ihr Geld abgenommen, aber sie finden das absolut normal. Egal, was man ihnen sagt: Sie gehen wieder zu diesen Zuhältern zurück. Weil sie psychisch abhängig sind.
Was halten Sie von den neuen Gesetzen in Deutschland?
Zunächst einmal finde ich es nicht schlecht, dass die Frauen sich melden müssen. Ob nun mit Steuernummer oder 25-Euro-System oder Tagessteuerpauschale … Eine Steuernummer hat ihre Vorteile: Das erspart mir viele Probleme und viel Bürokram, weil die Frauen sich selber darum kümmern müssen. Nicht gut finde ich, dass unsere Obrigkeit behauptet, dieses Gesetz sei zum Schutz der Prostituierten erlassen worden. Die glauben doch selbst nicht, dass sie das damit in den Griff kriegen.
Die Politik hat sich 20, 30 Jahre lang einen Dreck um uns Prostituierte geschert. Auch wenn unsere Tätigkeit inzwischen legalisiert ist, haben wir noch lange keine Lobby. Denn von Prostituierten will man lieber nichts wissen. Jeder weiß: Man braucht sie. Die Behörden wissen auch, dass man die Prostituierten braucht, sie wollen aber nur die Kohle haben. Das hat mit Schutz nichts zu tun. Wo bitte genießen denn die Prostituierten Schutz? Ruf doch mal die Polizei, wenn einer blöd macht! Ruf doch mal die Polizei in einen Laden! Entweder kommt die Polizei gar nicht, oder es wird nur ein Protokoll geschrieben. Wer etwas unternimmt, geht in der Regel leer aus.
Aber letztlich wissen die Behörden gar nicht, was sie da tun. Sie wollen, dass die Frauen keine horrenden Wuchermieten zahlen. Sie vergessen aber, dass die Frauen teilweise hausen wie die Schweine. Viele machen alles kaputt, sie klauen alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Und nehmen wir nun einmal als Beispiel einen sogenannten Betreiber, der verschiedene Terminwohnungen hat. Der sagt: „Okay, ich melde die Frau an." So wie gewünscht, damit nämlich der Staat seine Steuern bekommt. Dieser Betreiber schreibt nun 350 Euro Kaltmiete in den Mietvertrag. Nennen Sie mir eine Frau, die sich wehrt, wenn ein Mann – zwei Meter groß, so breit wie eine Tür – vor ihr steht und sagt: „Also Schätzchen, ich kriege 1.600 Euro im Monat, macht 400 Euro die Woche, aber in den Mietvertrag schreiben wir 350 Euro plus Nebenkosten". Dann nämlich hat er das Geld schwarz in der Tasche, ohne Steuern zu zahlen. Welche Frau wird ihm in einer solchen Situation sagen: „Nein, mein Freund, wir haben ein neues Gesetz, und ich bestehe darauf, nur die korrekte Miete von 350 Euro plus Nebenkosten zu zahlen?" Welche Frau macht das denn? Keine. Die Frauen haben Angst. Weil sie oft allein in solchen Appartements arbeiten.
Und so spielen die Behörden genau den Falschen die Bälle zu, die sich dann schön weiter die Taschen vollmachen. So schlau wie unsere Behörden sind die Hintermänner schon lange. Natürlich ist es in Ordnung, wenn die Frauen Steuern zahlen. Wir haben ja einen Steuerstaat. Es geht nicht darum, dass Prostituierte schwarzarbeiten sollen. Aber nie hat man sich um die Prostituierten wirklich gekümmert. Und nun aber will man alles schön dargelegt haben. Wird aber keiner machen, weil es einfach nicht geht. Das ist ja auch eine Frage der Diskretion. Man schreibt dem Freier doch keine Quittung nach dem Motto „50 Euro für sexuelle Dienstleistungen erhalten".
Schützen diese neuen Gesetze in Deutschland so eher die Betreiber als die Prostituierten?
Ja. Die Prostituierten haben keinen Schutz. Sie haben nur den Schutz, um den sie sich selber kümmern. Die Frauen sind registriert, und so ist leichter nachzuvollziehen, wo sie gearbeitet hat, wenn eine mal verschwindet. Aber die Kontrollen müssten prinzipiell ja fast täglich stattfinden, um da irgendeine Richtung reinzukriegen. Das kann sich kein Land leisten. Kein Bundesland der Welt hat das Personal. Wer geht denn jeden Tag in ein Bordell, um Kontrollen zu machen?
Welches Gesetz wäre Ihrer Meinung nach gut?
Man müsste vor allem schauen, dass der ganze illegale Dreck wegkommt. Also Männer, die Menschenhandel betreiben, Frauen hierher schleusen und unter Zwang und Drogen setzen. Diese Männer sollten richtig bestraft werden. Man müsste ihre Bordelle schließen − und zwar dauerhaft. Es kann doch nicht sein, dass die Läden zwei Wochen später wieder geöffnet sind, weil die Beschuldigten Widerspruch eingelegt haben. Das deutsche Gesetz ist einfach eine Lachnummer. Und das wissen alle. Diejenigen, die keine vernünftige Grundeinstellung haben, wollen einfach kein sauberes Geschäft führen. Das ist der springende Punkt. Und durch dieses aktuelle Gesetz wird sich das auch nicht ändern. Die großen Fische, die die Frauen unter Zwangsprostitution stellen, kommen am Ende dann schon irgendwie raus; dafür bekommen es die Kleinen ab. In Saarbrücken sind zwar schon einige große Fälle von Zwangsprostitution entdeckt worden und auch vor Gericht gekommen. Die Herren zahlen dann 150.000 Euro an Vater Staat wegen der Steuerhinterziehung. Beim Menschenhandel ziehen sie sich gut aus der Affäre – mit anderthalb bis zwei Jahren.
Laut Vereinen, die sich gegen die Prostitution einsetzen, stellen die Medien bei manchen Skandalen die Prostitution zu glamourös dar. Auch Filme wie „Fifty Shades of Grey" schaffen ein Bild von Glamour. Halten Sie es für bedenklich, wenn die Medien manches zu positiv schildern?
Was „Fifty Shades of Grey" auf der Leinwand zeigt, halte ich für grob fahrlässig. Für junge Mädchen ist das sehr gefährlich. Natürlich kann Prostitution glamourös sein. Aber nur dann, wenn man es mit sich selber vereinbaren kann. Aber wenn du als junges, naives Mädchen irgendwo in dieses Geschäft reinstolperst und im Leben noch nichts gesehen hast, dann ist das sehr gefährlich. Dann gerätst du nämlich schnell an die Falschen. Und wer einmal drin ist, kommt nur schwer wieder raus. Das Verlockende ist nun mal: Du hast immer Geld in der Tasche. Die Leute zahlen ja schließlich in der Regel bar. Aber es ist eben meistens eher nicht so glamourös. Wie jeder andere Job, sagen wir mal Altenpflegerin oder Putzfrau, hat auch dieser Beruf seine negativen Seiten. Deshalb nehme ich ja auch nur Frauen auf, die mindestens 21 Jahre alt sind. Weil sie im Kopf schon ein bisschen weiter sind als ganz junge Mädels. Wer Minderjährige anschaffen lässt, der gehört für mich ohnehin ins Loch gesperrt. Oder wenn jemand pädophil ist und auf Kinder steht, der wird bei mir kein Tageslicht mehr sehen. Nie wieder.
Sind Sie im Vergleich zur Mehrheit der Prostituierten, die unter sehr schwierigen Bedingungen arbeitet, privilegiert?
Klar – schließlich führe ich ja meinen eigenen Laden, und zwar so, wie ich es für richtig halte. Ich lasse mir von niemandem sagen, was ich zu tun habe. Und ich kann hinter die Kulissen blicken. Manchmal nehme ich ein Mädel zur Seite und sage: „Hör mal zu, das ist schlecht, was du gerade machst." Etwa wenn ich merke, da steckt ein Zuhälter oder ein Loverboy dahinter. Aber leider fruchtet es nicht immer. Unter zehn Frauen gibt es vielleicht eine, die es kapiert; ihr kann ich helfen. Aber die Frau muss die Hilfe annehmen wollen. Ich kann sie dazu nun mal nicht zwingen.
Aktivisten aus Hilfsvereinen sagen oft, sie hätten noch nie eine glückliche Prostituierte erlebt.
Das kann ich definitiv nicht unterschreiben. Jemand, der zu einem solchen Verein geht und um Hilfe bittet, wie zum Beispiel bei der Hurenhilfe, hat natürlich Probleme. Da ist dann mit Sicherheit von Anfang an nicht alles gut gelaufen. Ich habe aber viele, die seit Langem bei mir arbeiten. Sie sind tageweise bei mir, sie haben Familien, die bei uns im Umkreis leben. Sie sind alle glücklich. Sie leben in glücklichen Beziehungen. Sie haben ein Leben, sie haben zum Teil Kinder, sie kommen damit klar. Weil sie es aus freien Stücken tun. Ich würde jetzt nicht sagen, dass sie jeden Tag glücklich sind. Natürlich hat man ab und zu einen Tag, wo man auf zwei oder drei Idioten trifft – wie in jedem anderen Job. Es ist ohnehin nicht so, wie die Normalgesellschaft sich das vorstellt: dass es nur mit Drogen und reichlich Alkohol ginge. Meine Mädels haben während der Arbeit Alkoholverbot. Auch mit Drogen darf hier niemand rummachen. Viele Frauen haben natürlich Probleme, wenn sie es aus der puren Not heraus machen oder für jemanden arbeiten. Die sollten sich auf jeden Fall helfen lassen. Aber es stimmt definitiv nicht, dass in unserem Beruf alle unglücklich sind.