Das deutsche Gesundheitssystem hinkt im internationalen Vergleich mittlerweile hinterher, zeigen Studien. Die Herausforderungen sind, gerade was seine Zukunftsfähigkeit angeht, immens – auch für das Saarland, das sein System umbauen will.
Pflegenotstand, lange Wartezeiten, Zweiklassenmedizin, Betrugsskandale, Krankenhausschließungen, hohe Beiträge: Die Deutschen haben nicht unbedingt eine positive Wahrnehmung der medizinischen Versorgung hierzulande. Dabei spielt das Thema Gesundheit nach Angaben des Wertemonitors für die Deutschen die wichtigste Rolle neben den Bereichen Sicherheit und Familie. Hinzu kommt die immens hohe wirtschaftliche Bedeutung des Sektors. Die Ausgaben für Gesundheit betragen im Jahr rund 364 Milliarden Euro, davon alleine vier Milliarden Euro im Saarland. 5,5 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im Bereich Gesundheit. Das entspricht statistisch gesehen jedem achten Arbeitsplatz.
Das ist auch im Saarland nicht anders: 73.000 Menschen finden im Gesundheitsbereich Arbeit, unter ihnen mehr als 4.000 Ärzte, 4.000 Auszubildende und etwa 400 Unternehmen, darunter Spitzenforschung wie das Helmholtz-Institut für pharmazeutische Forschung oder das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik. 300.000 Behandlungen werden pro Jahr in saarländischen Kliniken durchgeführt sowie 30.000 in Reha-Kliniken, wobei die Hälfte der Patienten sogar von außerhalb des Saarlandes kommt.
Gut gefüllter Gesundheitsfonds
Diese Angaben machte Staatssekretär Stephan Kolling aus dem saarländischen Gesundheitsministerium vor Vertretern aus dem Arbeitskreis Wirtschaft in Saarbrücken. Angesichts dieser Zahlen dürfte der miserable Ruf, den das Gesundheitssystem hat, in der Realität eigentlich gar nicht so schlecht sein. Immerhin hätten wir „in Deutschland freie Arztwahl, Anspruch auf so gut wie alle therapeutischen Maßnahmen und mit 28 Milliarden Euro einen gut gefüllten Gesundheitsfonds", betonte Kolling. Dennoch rangiert das deutsche Gesundheitssystem in einer 2017 veröffentlichten, internationalen Studie der University of Washington, Seattle, mittlerweile im weltweiten Vergleich auf Rang 20 – hinter Griechenland, Kanada, Österreich und Luxemburg. Auf den Plätzen eins bis drei: Andorra, Island und die Schweiz. Die Herausforderungen an eine zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung sind auf jeden Fall enorm: Der demografische Wandel mit immer mehr Älteren und immer weniger Jüngeren, das Schritthalten beim medizinisch-technischen Fortschritt inklusive Digitalisierung sowie die notwendigen Investitionen bei knapper Kasse in einem Haushaltsnotlageland wie dem Saarland. Überspitzt könnte man sagen: Es gibt zu viele Ältere und damit zu viele, die zu lange medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. Dafür gibt es auf der anderen Seite zu wenig Geld.
Der saarländische Landtag hat Mitte Juni das neue Krankenhausgesetz auf den Weg gebracht, das die medizinische Versorgung langfristig sichern und vor allem die Berufe im Gesundheitswesen deutlich attraktiver machen soll. Ein Schwerpunkt soll sein, eine integrierte Versorgungslandschaft im Krankenhausbereich zu schaffen. Bis 2025 will das Land 300 Millionen Euro für Investitionen bereitstellen. Der Abbau von Doppelstrukturen in Krankenhäusern steht dabei genauso im Fokus wie die Spezialisierung einzelner Häuser. „Nicht jedes Krankenhaus muss alles behandeln", so Staatssekretär Kolling. Das sei auch im Sinne der Patienten, die sich bei einer Operation auf erfahrene und erprobte Ärzte verlassen wollen.
Die Attraktivitätssteigerung der Berufe im Gesundheitsbereich, insbesondere die Pflegeberufe, steht ebenfalls ganz oben auf der Agenda des neuen Gesetzes. Neben einer höheren Vergütung sollen die Ausbildungsbedingungen und die Akademisierung der Pflegeberufe mittels eines Fernstudiums verbessert werden. Außerdem geht es um die Anerkennung und Qualität von Berufen wie Heilpraktiker oder Osteopathen. Hier gebe es leider immer noch eine hohe Grauzone, was häufig zu Problemen bei der Abrechnung führe. „Der Gesundheitsbereich muss für die Jugend attraktiv sein. Wir haben alte Ausbildungsverordnungen – die für Zahnärzte war schon 62 Jahre alt – entstaubt und den modernen Anforderungen angepasst. Unser Gesetz ist in diesem Bereich modellhaft für ganz Deutschland." Erfreut zeigte sich Kolling, dass mittlerweile 65 Prozent der Medizinstudenten im Saarland weiblich seien. Dafür müssen künftig aber auch neue Arbeitszeitmodelle, die der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entsprechen, mehr Berücksichtigung finden.
Weitere Schwerpunkte sind Effizienz und Effektivität. Nach wie vor herrsche im Gesundheitswesen zu viel Bürokratie. So müsse beispielsweise die Sprache auf den Formularen erleichtert werden. Große Bedeutung wird zudem der elektronischen Patientenakte beigemessen. Sie sollte bereits 2005 eingeführt werden. Passiert ist bis heute nichts. „Innovationen dauern einfach viel zu lange", beklagte Stephan Kolling. Dabei würde die Digitalisierung vieles erleichtern – für Ärzte, Pflegepersonal und Patienten gleichermaßen. Vorgesehen ist zum Beispiel der Aufbau einer digitalen Grundstruktur in Krankenhäusern. Im Universitätsklinikum des Saarlandes gebe es bereits teilweise eine digitale Begleitung. Das ist eine Art digitaler Assistent, der den Patienten den Weg durch das Krankenhaus zu den entsprechenden Untersuchungen vorgibt.
Nach wie vor zu viel Bürokratie
Die Digitalisierung nimmt ohnehin großen Raum in den Krankenhäusern der Zukunft ein. Das beginnt bei der Telemedizin über Telekonsultationen mit Ferndiagnosen bis hin zur 24-stündigen Teleüberwachung. Statistisch gesehen konsultiert jeder Patient heutzutage zweimal im Monat Dr. Google im Internet. Allein 100.000 Gesundheits-Apps sind weltweit auf dem Markt bereits verfügbar. „Diesem Trend kann und wird sich die analoge Medizin nicht entziehen können", ist sich der Staatssekretär sicher, obwohl einige in der saarländischen Ärzteschaft dieser digitalen Entwicklung noch skeptisch gegenüberstehen. Schon heute werden die Gäste der Aida, wenn sie auf dem Kreuzfahrtschiff auf den Weltmeeren mal zum Arzt müssen, von Hamburg-Eppendorf aus mittels Ferndiagnose behandelt.
Zentrales Thema in der Gesundheitsversorgung der Zukunft ist außerdem das weite Feld der Prävention. Es könne nicht angehen, dass in Deutschland rund 278 Milliarden Euro für die Beseitigung von Gesundheitsschäden und nur elf Milliarden Euro für Präventionsmaßnahmen ausgegeben werden. Hier sieht der Staatssekretär dringenden Handlungsbedarf und begrüßt Maßnahmen wie das Betriebliche Gesundheitsmanagement, Vorsorgeuntersuchungen oder den geplanten Aufbau eines Impfregisters samt Auswirkungen im Saarland für ganz Deutschland. Größte Vorsorgemuffel seien im deutschlandweiten Vergleich übrigens die saarländischen Männer.