In Deutschland und Frankreich steht die Politik unter massivem Rechtfertigungsdruck. Ausgerechnet in Frankreich versucht man, die Kluft zwischen Bürgern und Politikern zu verringern. Der LREM-Abgeordnete Christophe Arend plant außerdem grenzüberschreitende Projekte.
Herr Arend, was hat Sie als gut etablierter Zahnarzt motiviert, in die Politik zu gehen?
Ich bin überzeugter Europäer. Europa mit seinen vielen Vorteilen ist ein Projekt, für das es sich lohnt, andere zu überzeugen und zu begeistern. Schließlich lebe ich direkt an der Schnittstelle von Deutschland und Frankreich. Aber vor allem eine Debatte im Fernsehen hat mich dazu bewogen, in die Politik zu gehen. Politiker aus dem linken und rechten Lager haben in dieser Diskussion politisch geantwortet, also aus taktischen Erwägungen und Machterhalt, und nicht im Interesse der Sache beziehungsweise im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Ich versuche, es anders zu machen. Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum die einstige Bewegung und heutige Partei La République en Marche so erfolgreich ist und worin sie sich von den etablierten Parteien unterscheidet.
Der Aufstieg Macrons und seiner Bewegung „La République en marche" (LREM) hat die Deutschen verblüfft. Wie war das möglich?
Die Franzosen hatten 2017 einfach genug von den vollmundigen Versprechungen der etablierten Parteien. Alle Kandidaten versprechen vor den Wahlen das Blaue vom Himmel, und hinterher wird davon so gut wie nichts eingehalten. Das erklärt unter anderem den großen Erfolg Macrons. Seine Bewegung hat es verstanden, in kürzester Zeit die Unzufriedenheit vieler Franzosen in einen Wahlerfolg umzumünzen. Außerdem wollten viele Franzosen letztendlich Marine Le Pen nicht als Präsidentin. Erleichtert wurde das Ganze sicherlich auch durch die Parteienlandschaft und die Vorwahlen. Die konservativen, liberalen und sozialistischen Lager sind in unserem Land arg zersplittert, mit mehreren Spitzenkandidaten. Macron ist von Anfang an seiner Linie von einem kompletten Neuanfang treu geblieben.
Aus einer Bürgerbewegung ist in kürzester Zeit die Partei LREM entstanden. Wäre so etwas auch in Deutschland denkbar?
Das kann ich mir in dieser Form nicht vorstellen. Die Parteien sind in Frankreich im Gegensatz zu Deutschland „lockerer" aufgestellt. Sowohl im konservativen als auch im liberalen Lager gibt es unterschiedliche Bewegungen und Strömungen, die sich für das Erreichen eines Wahlziels zusammenschließen, wieder auflösen oder sich neue Namen geben. Wenn Sie in Deutschland CDU oder SPD wählen, wissen Sie, was „drin" ist. Dort einigt man sich jeweils auf einen Spitzenkandidaten. Das System der Parteienlandschaft wirkt viel traditioneller. In Frankreich waren beispielsweise die Sozialisten mit verschiedenen Kandidaten unterschiedlicher Richtungen unterwegs. Die Wähler wissen letztendlich nicht, wofür der Kandidat steht. Das erzeugt bei ihnen eher Misstrauen und erweckt den Anschein, dass es den Politikern nur um Machterhalt geht.
Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der regierenden Elite und mangelnde Bürgernähe sind nichts Neues. Was verspricht sich Macron von den sogenannten „consultations des citoyens", also den Beratungen mit den Bürgern?
Die Bürgerkonsultationen gelten als erstes paneuropäisches Projekt, um über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft Europas zu diskutieren, und zwar über alle Mitgliedstaaten hinweg. Es ist ein neues Format, das Ohr am Bürger zu haben, um zu wissen, wo der Schuh drückt. Die da oben machen Politik im Elfenbeinturm, das gemeine Volk da unten versteht nichts von Politik, die Verwaltung befindet sich zwischen allen Stühlen und muss das umsetzen. Wir brauchen mehr gegenseitiges Verständnis für unsere Arbeit, für die Anliegen der Bürger. Daran müssen wir ständig arbeiten, den anderen zuhören, auch wenn sie politisch anderer Meinung sind. Für das Thema Europa ist das besonders schwierig.
Wieso?
Europa gilt als Sündenbock, wenn etwas schiefläuft. Steigen die Brotpreise, ist Europa schuld. Sind die Straßen kaputt, ist Europa schuld. Geht die Arbeitslosigkeit nach oben, ist Europa schuld. Dass das nicht stimmt, darüber müssen wir im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern besser aufklären. Wir sollten auch mehr über die Vorteile reden, die Europa den Bürgern bringt. Das Feld dürfen wir den Populisten und Europaskeptikern nicht tatenlos überlassen.
Der Elysée-Vertrag, sprich der Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich, soll auf Drängen von Macron überarbeitet werden – zu einer Art Elysée 2.0. Was ist neu daran?
Wir haben als Parlamentarier ein Positionspapier erarbeitet, das künftig die Bedeutung der Grenzregionen stärker berücksichtigt. Wo erleben die Bürger Europa stärker als in Grenzräumen wie hier zwischen dem Saarland, Lothringen und Luxemburg? Das gehört in den neuen Vertrag, der, wenn alles planmäßig verläuft, am 22. Januar 2019 verabschiedet werden soll. Was aber letztendlich im Vertrag drinsteht, bestimmen die nationalen Politiker, also Merkel und Macron.
Als einer der politisch Verantwortlichen für die deutsch-französische Zusammenarbeit planen Sie ein grenzüberschreitendes politisches Projekt mit Bürgerbeteiligung. Wie weit ist dieses Format gediehen?
So ein Projekt würde ich gern umsetzen. Zurzeit laufen Vorgespräche in der Region Grand Est. Um so etwas grenzüberschreitend zu organisieren, spreche ich beispielsweise mit dem Bevollmächtigten des Saarlandes für Europaangelegenheiten, Roland Theis, und dem Bundestagsabgeordneten Christian Petry. Weitere Institutionen sind als Organisatoren denkbar. Wenn der organisatorische Rahmen dazu erst einmal steht, können die Bürger beteiligt werden. Wir brauchen neue Mittel und Wege einer konstruktiven Bürgerbeteiligung zu ganz bestimmten Themen. Das stärkt in jedem Falle die Demokratie und Europa. •