Die traumhaft schöne Insel Ærø im südfünischen Meer ist vor allem bei Hochzeitspaaren beliebt. Zwischen endlosem Sandstrand, farbenfrohen Häusern, pittoresken Gassen und grünen Hügeln wird im Akkord geheiratet. Kein Wunder, gibt’s hier doch die perfekte Inselromantik in Hülle und Fülle.
Det Lille Hotel", Ærøskøbing: Ein nervöser junger Mann im schicken Anzug tigert ruhelos vor der Tür zur Herrentoilette auf und ab. Immer wieder fährt er sich mit der Hand durchs Haar, nestelt an seiner Krawatte, rückt die Manschettenknöpfe zurecht, schaut auf die Uhr. Nach ein paar Minuten klopft er ungeduldig an die Tür und ruft: „Könnten Sie sich etwas beeilen? Ich heirate um 11.30 Uhr!" Darauf die Antwort von hinter der Tür: „Na und? Ich heirate um 11 Uhr! Stellen Sie sich hinten an!" Schuld an dieser geradezu slapstickhaften Situation ist Louise Badino Moloney. Als die heute 47-Jährige 2008 ihre Firma Danish Island Weddings gründete, heirateten auf Ærø etwa 200 Paare pro Jahr. Heute sind es über 4.000 – bei grade mal knapp 6.300 Einwohnern. Die Insel mit den bunten, windschiefen Fachwerkhäuschen, dem malerischen Kopfsteinpflaster, den verträumten Dörfern und sanft gewellten Hügeln liegt in der dänischen Südsee. Sie ist nur 30 Kilometer lang und damit so klein, dass sie sich ein wenig zwischen den größeren Nachbar-Eilanden Fünen, Langeland und Alsen versteckt. Wenn Touristen sie bisher besuchten, dann waren es meist Segler. Oder wenige Eingeweihte, die um die märchenhafte Schönheit Ærøs wussten. Doch dann kam, wie gesagt, Luise Badino Moloney. „Ich sprach mit der Kommune und sagte ihnen, dass ich Hochzeiten ganz anders aufziehen möchte. Dass ich es schön und romantisch gestalten will, zum Beispiel im Leuchtturm oder am Strand", erzählt sie rückblickend. Mittlerweile bietet die Weddingplanerin, die von ihren beiden Schwestern Yuki und Anna sowie Ehemann John unterstützt wird, einen umfassenden Rundum-Service für Verliebte an. Eine Trauung im Flugzeug über der Insel? Kein Problem! Oder doch lieber ganz klassisch im wild blühenden Garten? Im historischen Herrensitz? Oder dem entzückenden kleinen Strandhäuschen? „Nur bei weißen Tauben ziehen wir die Reißleine. Die können und wollen wir nicht liefern", sagt Louise lachend, die im September 2017 ihr 2.000stes Paar unter die Haube brachte. Ihre Kunden kommen aus der ganzen Welt. Erst vergangene Woche war da dieses indische Professoren-Paar. Louises Schwester Yuki betreute die beiden und verrät: „Die hatten keine Lust, die traditionelle indische 3.000-Gäste-Hochzeit zu feiern. Wir haben ganz viele Paare, die durchbrennen und vor dem Trubel zu Hause flüchten." Doch die meisten Paare heiraten aus einem profaneren Grund auf Ærø: Die dänischen Behörden machen es ihnen deutlich leichter als die der Heimatländer. Oft besteht ein Ærø-Brautpaar aus zwei verschiedenen Nationalitäten, die in einem dritten Land leben und nach der Hochzeit in ein viertes ziehen wollen.
Rund 4.000 Paare im Jahr heiraten hier
Wer den ziegelroten, eher reizlosen Flachbau betritt, in dem das Standesamt von Ærøskøbing untergebracht ist, versteht schnell, warum Dänemark für viele Liebende eine Art rettender Anker geworden ist. „Wir verlangen viel weniger Dokumente als andere Länder", erklärt Standesbeamtin Tina Eriksen, die Trauungen im Zehn-Minuten-Takt und in Deutsch, Englisch und Dänisch vornimmt. „In Deutschland beispielsweise brauchen Sie als Ausländer in jedem Fall eine Geburtsurkunde und ein Ehefähigkeitszeugnis, das nicht älter als sechs Monate sein darf – das können viele gar nicht beschaffen, weil ihre Heimatländer so etwas nicht ausstellen." Dänemark hingegen gibt sich mit einem gültigen Pass und einer von den Paaren ausgefüllten Eheerklärung zufrieden. Die Dokumente müssen einen Tag vor der Trauung im Original vorgelegt werden. Das ist ein geschickter Schachzug der Behörden, denn es zwingt die Paare, mindestens eine Nacht auf der Insel zu verbringen. Paare wie Alex und Anne. Er stammt aus Beirut, lebt in London. Sie ist Deutsche, wohnt in Dänemark. Gerade haben sie sich im alten „Kaufmannshof" das Jawort gegeben. Jetzt strahlt das Glück in ihren Augen mit der Sonne um die Wette. Verliebt spazieren sie durch die romantischen Gassen von Ærøskøbing. Die Hauptstadt der Insel ist über 800 Jahre alt und bestens erhalten. Viele der aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammenden Häuser stehen unter Denkmalschutz. Stockrosen und Malven klettern die bunten Fassaden hinauf – das perfekte Setting für Hochzeitsfotos. Alex und Anne posieren bereitwillig, tauschen Küsse aus, nehmen freudig die Glückwünsche fremder Passanten entgegen. Nur wie sie ihren Familien gestehen sollen, dass sie hier in aller Heimlichkeit geheiratet haben, wissen sie noch nicht so genau. „Das müssen wir ihnen nächste Woche schonend beibringen", sagt Alex, dessen Stirn sich bei dem Gedanken ganz kurz furcht. Doch dann schließt er auch schon wieder seine frisch angetraute Frau in die Arme, und alles ist gut.
„Wir verlangen viel weniger Dokumente"
Fast scheint es so, als durchdringe das Glück der Brautpaare die komplette Insel. So als wäre Ærø ein großer Schwamm, der gierig das Hochgefühl in sich aufsaugt, das mit den drei kleinen Wörtchen „Ja, ich will" einhergeht. Lebten die Insulaner früher hauptsächlich vom Fischfang, dem Handel und der Landwirtschaft, so haben nun viele am Hochzeits-Business Anteil. Wie Rikke, die im Café „Den Gamle Købmandsgaard" hingebungsvoll ein paar letzte Blaubeeren auf die buttercremige Hochzeitstorte tupft. Oder Hotelier Gunnar, der ein begeistertes Paar aus Berlin in die im nordischen Stil designte (Hochzeits-)Suite führt. Fotograf Jens hält das Glück der Brautleute an den schönsten Orten der Insel mit seiner Kamera fest, und in der Vestergade betreibt Floristin Bjørg, die eigentlich von den Färöer Inseln stammt, den Blumenladen „Lilletorv Blomster". Mindestens 30 Brautsträuße pro Woche bindet sie. Aufgrund der Insellage ist es gar nicht so einfach, stets ein großes Blumensortiment vorrätig zu haben. Zwei- bis dreimal die Woche kommt Ware aus Holland. Grade packt Bjørg eine frische Lieferung aus. „Neben Klassikern wie Rosen und Päonien bestelle ich immer ein paar blaue Blumen, weil es bei euch in Deutschland da wohl so eine Tradition gibt, dass man etwas Blaues an seiner Hochzeit tragen muss", sagt Bjørg. Einige fertige Last-Minute-Sträuße hält sie stets in ihrem Laden bereit für diejenigen, die das Bouquet verschwitzt haben. Die meisten ihrer Kunden haben aber sehr konkrete Vorstellungen, wie das florale Kunstwerk auszusehen hat. Einmal hatte sie eine Braut, die ein Medaillon ihrer verstorbenen Mutter in den Strauß eingearbeitet haben wollte. „Für viele der Paare, die ganz allein nach Ærø zum Heiraten kommen, werden wir zu einer Art Familie. Da entstehen recht persönliche Beziehungen", erzählt Bjørg. Ein Eindruck, den John Moloney von Danish Island Weddings bestätigt. „Wir messen die Emotionalität einer Hochzeit in der Maßeinheit Taschentücher. Die gefühlsintensivsten schaffen mindestens zwei Schachteln", verrät der ehemalige Kampfpilot mit typisch britischem Humor und fügt hinzu:. „Ich erinnere mich an dieses Paar aus Äthiopien. Sie glaubte, er sei im Bürgerkrieg gefallen. Dann trafen sie sich 25 Jahre später bei einer Hochzeit in Deutschland zufällig wieder. Kurz darauf heirateten sie bei uns auf Ærø." Sehr ergreifend seien auch die vielen gleichgeschlechtlichen Trauungen, die auf der Insel stattfinden. Standesbeamtin Tina Eriksen erzählt, wie sie den Paaren oft zweimal sagen muss, dass sie sich nun küssen dürfen. „In ihrer Heimat in Arabien, Russland oder China dürfen sie ihre Liebe nicht offen zeigen. Auf Ærø können sie zum ersten Mal frei atmen."
„Es entstehen persönliche Beziehungen"
Ein gutes Stichwort. Wer hier tief einatmet, füllt die Lungen mit frischer, herber Seeluft. Marstal, der mit 2.400 Einwohnern größte Ort der Insel, liegt an ihrem östlichen Ende. Bis in die 20er-Jahre war er der zweitgrößte Hafen Dänemarks nach Kopenhagen. Noch heute ankern in der Marina viele altehrwürdige Segelschiffe. Die bedeutende Seefahrtschule bildet Navigationsoffiziere für die dänische Handelsflotte aus. In Søby am Westende der Insel liegt der Heimathafen der Fischfangflotte und mit der Søby-Werft der größte Arbeitgeber der Insel. Und dazwischen: idyllische Dörfer und viel großartige Natur. Immer wieder eröffnen sich grandiose Ausblicke über den Kleinen Belt und die Ostsee. Im Gråsten Noor rasten etliche Seevögel, und im Südwesten gibt es mit Vorderup Klint eine echte Steilküste. Von der höchsten Stelle gelangt man auf natürlichen Terrassen hinunter zum Strand. Wer die Augen zusammenkneift, entdeckt dort vielleicht ein weiteres Brautpaar. Und wer abends in Ærøskøbing im Restaurant „Mumm" – dem vielleicht besten Lokal der Insel – sitzt, der ertappt sich über gedünstetem Lachs mit Fenchel-Spinat möglicherweise beim Spekulieren: Welches der anwesenden Paare wird wohl am nächsten Tag heiraten? Die hübsche Blondine und der ebenso attraktive Mann am Nachbartisch sehen jedenfalls angemessen verliebt aus. Wieder mal wabern romantische Schwingungen durch den Raum. Ein jäher Gedanke schleicht sich ein: Ærø muss der schlimmste Ort sein, wenn man grade an Liebeskummer leidet – doch auch für diejenigen gibt es einen Tipp: Montags wird auf Ærø nicht geheiratet. Dann kann man die märchenhaft schöne Insel auch ganz ohne „Ja, ich will" erleben.