Die Digitalisierung wird die ganze Wirtschaftswelt auf den Kopf stellen
Im Jubiläumsjahr von Karl Marx anlässlich seines 200. Geburtstags nicht zumindest auch der Revolution zu gedenken, wäre mehr als nur ein Verstoß gegen den kulturellen Geist des Abendlandes. Kein Mensch und keine Idee hat die Menschheit zahlenmäßig bis zum heutigen Tag mehr bewegt, als der revolutionäre Geist aus Trier. Deshalb scheint es nicht ganz falsch, an dieser Stelle des gepflegten Querdenkertums auch einmal der Revolution als solcher, nämlich als Treibsatz der Geschichte und der Evolution zu gedenken. Denn überall finden heute vermeintliche Revolutionen, Umstürze – neudeutsch: Disruptions – statt. Grund genug, genauer hinzuschauen.
Eine sehr hinterfotzige Definition von Revolution ist dem Philosophen Ortega y Gasset Mitte des letzten Jahrhunderts eingefallen, einem der bedeutendsten spanischen Denker seiner Zeit. Für ihn ist Revolution nicht gegen den Missbrauch gerichtet, sondern immer gegen den Brauch. Auf dieser Basis gründet auch die Ideologie von Karl Marx.
Dem folgt auch der Duden. Er definiert Revolution als ein „auf radikale Veränderung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteter, gewaltsamer Umsturz(versuch)" oder auch eine „umwälzende, grundlegende Neuerung". In diesem Sinne definierte Joseph Schumpeter den idealen Unternehmer als „schöpferischen Zerstörer", jenen Entrepreneur also, der durch seine Produkt- und Dienstleistungs-Innovationen die Geschicke von Märkten und Menschen lenkt und bisweilen auch auf den Kopf stellt.
Dass in diesem Zusammenhang von Werbung und Marketing, die ja stets auf der Suche sein müssen nach neuer „Nahrung" für den einerseits gesättigten, andererseits nimmersatten Verbraucher, der Begriff „Revolution" als Lockmittel inflationär eingesetzt wird, muss nicht verwundern. Was da oft als „revolutionär" angepriesen wird, ist zumeist nur die Verlängerung bereits vorhandener Entwicklungen, ein kleiner Fortschritt in Form und Farbe, bestenfalls eine Innovation. In der Automobilindustrie seit Jahrzehnten in Form von Modellwechseln, Facelifts, zunehmender Elektrifizierung und Automatisierung von Bedienungsfunktionen bekannt. So gab Bosch vor Kurzem die Einführung einer „Revolution" in der Dieseltechnik bekannt, die den Diesel absolut sauber machen soll, sauberer sogar als den Benzinbruder. Dem mag so sein, eine Revolution wie 1786 in Frankreich in 1919 in Russland sieht anders aus.
Auch wenn von „Küchenrevolution" geredet wird, wenn es sich um eine neuartige Dunstabzugshaube handelt, oder von der „Shave-Revolution" bei einem neuen Rasiergel hat das mit dem, von dem hartgesottene Marxisten bei der kommunistischen Weltrevolution träumen, nichts zu tun. Meist handelt es sich um „neuen Wein in alten Schläuchen".
Anders ist mit der Digitalisierung, die als letzte „Disruption" dabei ist, die ganze Wirtschaftswelt, vor allem die der Arbeit, auf den Kopf zu stellen. Das ist Revolution pur! Denn die Digitalisierung ist laut unserer Staatssekretärin für Digitales Dorothee Bär, „… eine Querschnittsmaterie, die sich nicht nur über unser ganzes Leben ergießt, sondern gewissermaßen auch in die kleinsten Ritzen des Alltags vordringt." Wir erleben gerade die Vertreibung aus dem analogen Paradies und den Eintritt in das digitale Zeitalter der disruptiven Transformation aller Lebensritzen.
Ähnlich, so schreibt die „Süddeutsche Zeitung", ist es auch dem Kakapo ergangen, einem dicken, flugunfähigen, überflüssigen Bewegungen abgeneigtem, aber stets gut gelaunten Papagei auf Neuseeland. Die gute Laune hörte dann abrupt auf, als von Siedlern eingeschleppte Hauskatzen auftauchten – für den Kakapo ein ausgesprochen disruptives Ereignis. Möge die Digitalisierung für unsere Spaßgesellschaft nicht ähnlich disruptive Folgen haben wie für den Kakapo in Neuseeland: Dort gibt es heute sehr viel Hauskatzen, aber kaum noch Papageien!